Christian Dürr | Bild: fdp.de © fdp.de
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AUDIO: Dürr: "Größtes Modernisierungspaket der letzten Jahrzehnte" (10 Min)

FDP-Politiker Dürr: "Umweltverbände müssen in der Realität ankommen"

Stand: 29.03.2023 10:36 Uhr

Schnellerer Autobahnbau, mehr Geld für die Schienen und kein striktes Gasheizungs-Verbot mehr: Nach fast 30-stündigen Beratungen haben die Spitzen von SPD, Grünen und FDP Kompromisse beim Klimaschutz und in der Verkehrspolitik verkündet. NDR Info sprach mit dem Fraktionschef der Liberalen im Bundestag, Christian Dürr.

Hat Ihnen dieser Koalitionsausschuss in Überlänge auch "so viel Freude gemacht" wie ihrem Parteichef Christian Lindner?

Christian Dürr: Also, es ist gut, wenn man zusammenkommt und sich über wichtige Themen des Landes unterhalten kann. Jetzt gebe ich offen zu, dass ich manchmal nachts auch lieber schlafe, als Sitzung zu machen. Das finde ich, da will ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Aber das, was wir gemacht haben, ist das wahrscheinlich größte Modernisierungspaket der letzten Jahrzehnte für Deutschland. Und dann darf man sich auch mal 30 Stunden Zeit nehmen.

Vor allem ihre Partei hatte sich vor diesem Treffen mehr Führung vom Kanzler gewünscht. Und dass auch mal Projekte gegen die Grünen durchgesetzt werden müssen. Haben Sie als Liberale diese Führung der SPD jetzt bekommen?

Dürr: Da möchte ich widersprechen. Wir haben nirgendwo markiert, dass wir mehr Führung vom Kanzler haben wollen. Da waren, in der öffentlichen Kommentierung jedenfalls, andere Parteien im Fokus. Ich habe den Kanzler immer als führungsstark empfunden, während der Sitzung sowieso, aber auch in den letzten Wochen und Monaten. Das ist nicht das Problem. Natürlich gibt es bei drei unterschiedlichen Parteien höchst unterschiedliche Auffassungen. Das ist auch vollkommen legitim, dass das transparent wird - beispielsweise bei der Frage der Technologie-Offenheit. Da waren wir nicht immer einer Meinung.

Bei der Frage des Aus- und Neubaus von Bundesautobahnen sind wir jetzt zusammengekommen, weil wir uns wirklich pragmatisch die Dinge angeschaut haben und gesagt haben: Was braucht jetzt dieses Land? Weil die Menschen in den letzten Jahren das Gefühl bekommen haben, dass Deutschland viel zu langsam geworden ist, und das macht Unternehmerinnen und Unternehmer rasend. Das macht auch die Menschen rasend. Und da wollen wir schneller werden. Und deswegen dieses umfangreiche Paket. Es hat länger gedauert, aber mit der Führungsstärke des Kanzlers bin ich vollkommen zufrieden.

Sie haben das Stichwort Autobahnausbau gerade schon genannt. 144 Autobahnen- und Bundesstraßen-Projekte im überragenden öffentlichen Interesse, sollen da jetzt Vorrang bekommen. Das war ihnen als Partei, als FDP, sehr wichtig. Haben Sie da die Grünen weichgekocht? Die haben das ja bislang abgelehnt.

Dürr: Dass die Grünen mit dem Aus- und Neubau von Autobahnen ein Problem haben, das erklärt sich vielleicht auch aus der Parteihistorie heraus. Das ist auch vollkommen legitim, dass man da unterschiedliche Auffassungen hat. Aber mit Autobahnen, die im sogenannten vordringlichen Bedarf sind, war es in der Vergangenheit so: Das hat man auf‘s Papier geschrieben und es ist nichts passiert. Und jetzt haben wir gesagt, wenn wir diese Autobahnen haben wollen, dann lasst uns doch die lieber schnell bauen als langsam. Und da konnten wir uns am Ende gegenseitig überzeugen, dass Langsamkeit bei Projekten, die ohnehin in den kommenden Jahren kommen sollen, kein Ziel sein kann. Und deswegen haben wir uns da gemeinsam zu entschlossen, das zu tun. Das freut mich sehr.

Jetzt sollen an neuen Autobahnen auch immer gleich Solarzellen- oder Photovoltaikanlagen am Straßenrand mitgebaut werden. Ist das ein Paradigmenwechsel oder eher symbolhaft?

Dürr: Es ist eines der Beispiele für Deutschland, wo man sich in der Vergangenheit gefragt hat, warum man das nicht schon längst gemacht hat. Also, warum muss man eine Flächensolaranlage oder Windenergieanlagen irgendwo in die Landschaft bauen? Wenn man die Möglichkeit hat, das an Stellen zu machen, wo es ohnehin einen Eingriff in die Natur gibt, nämlich in Form einer Bundesautobahn. Warum nutzt man nicht diese Flächen für die Erzeugung erneuerbarer Energien? Das ist in der Vergangenheit an der Bürokratie gescheitert und wieder so ein Beispiel, wo Deutschland in der Vergangenheit zu langsam und zu kompliziert war. Ich könnte viele andere Beispiele nennen, beispielsweise bei den Brückenbauten. Das hat teilweise Jahre gedauert. Obwohl vorher eine Brücke da war, musste man eine komplizierte Planfeststellung machen, nur um eine neue Brücke zu bauen. Jetzt sagen wir, darauf verzichten wir schlicht. Wir bauen die neue Brücke. Also ein sehr pragmatischer Ansatz, das Land schneller zu machen und sich von bürokratischen Fesseln zu befreien.

Pragmatisch wollen sie auch beim Klimaschutz sein. Sie wollen auch das Klimaschutzgesetz noch einmal ändern. Die Sektorziele für Bereiche sollen bestehen bleiben, aber flexibler gehandhabt werden?

Dürr: Bisher ist dort von der großen Koalition ein Klimaschutzgesetz gewesen, was jenseits der Realität ist. Und wir machen das Ganze rational und vor allen Dingen marktwirtschaftlicher. Wir sagen, dem Klima ist es doch vollkommen egal, wo die CO2 -Emission herkommen. Wichtig ist, dass sie insgesamt geringer werden. Deswegen mehr Marktwirtschaft, Entwicklung in Richtung des europäischen Emissionshandels. Also all die Elemente, das gebe ich zu, für die die FDP auch ein Stück weit brennt. Aber ich glaube, das sind wirklich sehr rationale Ansätze, und ich bin der Überzeugung, wir werden Klimaschutzziele besser erreichen - beispielsweise durch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe, die in anderen Teilen der Welt aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Wir werden in Zukunft ein Energie-Importland bleiben. Aber anstatt auf fossile Kraftstoffe zu setzen, setzen wir auf CO2-neutrale Kraftstoffe.

Sie kennen die Debatte auf europäischer Ebene um den Verbrennungsmotor. Dafür haben wir gekämpft, damit der in Zukunft klimaneutral betrieben werden kann. Also weg von diesen ideologischen Verboten hin zu Technologie-Offenheit auch im Verkehrssektor - und da ist die Änderung des Klimaschutzgesetzes ein ganz, ganz wichtiger Punkt.

Umweltverbände sprechen dennoch schon von Horror-Szenarien, auch wenn man auf die sogenannte Flächennutzung schaut. Auch da soll ein Paradigmenwechsel sein. Man soll jetzt auch Geld als Ausgleich zahlen dürfen - künftig. Das könnte ganz schnell zum Ablasshandel werden. Wie wollen Sie das verhindern?

Dürr: Ich empfehle den Umweltverbänden, wirklich in der Realität anzukommen. Ich komme aus Niedersachsen, ich habe mal Naturschutzpolitik gemacht. Viele Menschen vor Ort raufen sich die Haare darüber, warum, wenn ein Infrastrukturprojekt gebaut wird - ein Unternehmen also wirklich investiert und Arbeitsplätze schafft - warum dann Ausgleichsflächen in der Nähe geschaffen werden müssen, die wirklich vollkommener Quatsch sind. Das bringt für den Naturhaushalt gar nichts. Das ist nur ein formeller Akt, eine Fläche auszuweisen. Und in Niedersachsen entzieht das übrigens insbesondere der Landwirtschaft ganz wichtige Bewirtschaftungsfläche.

Viel sinnvoller ist es doch, in größeren Schutzgebieten, wo ohnehin ein intakter Naturhaushalt ist, diese vernünftig zu unterhalten, gegebenenfalls zu erweitern. Das ist viel, viel sinnvoller, als dass man es vor Ort macht, wo einfach nur landwirtschaftliche Fläche entzogen wird. Und in einem solchen Fall ist es sinnvoll, dass dann Geld gezahlt wird und an Stellen, wo es sinnvoll ist, wo es der Natur wirklich etwas bringt, dass man diese Flächen dann voranbringt. Das ist für mich moderner Naturschutz - verbunden mit vernünftiger Wirtschaftspolitik. Da gehen wir sehr pragmatisch, sehr rational vor. Und dann muss ich wirklich sagen, empfehle ich den Umweltverbänden im 21. Jahrhundert anzukommen. Da sollte man nicht dogmatisch sein, das bringt der Natur in Wahrheit nämlich gar nichts.

Ein wichtiger Punkt bei diesem Koalitionsausschuss war auch die Wärmewende. Die soll jetzt sozialverträglich kommen, wenn es um Gebäudeheizungen geht. Keiner werde da vergessen, hat ihr Parteichef Lindner gestern gesagt. Aber da ist man doch noch sehr vage geblieben. Wie soll denn das aussehen?

Dürr: Das war ja in den letzten Wochen eine Debatte in Deutschland, die auch Menschen verunsichert hat. Weil sie sich gefragt haben: Muss ich jetzt noch schnell eine Gasheizung bekommen? Kommt da irgendetwas Merkwürdiges im kommenden Jahr? Und hier ging es darum, politisch zu sagen: 'Nein, wir bleiben technologieoffen, wir setzen nicht nur auf die Wärmepumpe.' Wer ein älteres Haus bewohnt, soll auch in Zukunft die Möglichkeit haben, eine Gasheizung einzubauen und diese dann später auch mit Wasserstoff nutzen kann. Wichtig ist jetzt, dass sich das gesetzlich widerspiegelt. Wir konnten keine Gesetzesarbeit in den vergangenen Nächten machen, sondern wir wollten politisch klarmachen: Wir machen hier nichts, was sozusagen irrational ist, sondern wir machen das sehr pragmatisch. Und das war wichtig, das als Signal in das Papier niederzuschreiben.

Das Interview führte Liane Koßmann, NDR Info

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NDR Info | 29.03.2023 | 07:48 Uhr

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