Dietrich Lehmann von NDR 90,3. © NDR Foto: Screenshot

Kommentar zur Gasversorgung: Wir müssen uns warm anziehen

Stand: 25.06.2022 08:40 Uhr

Gas ist ab jetzt ein rares Gut in Deutschland - das sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er hat in dieser Woche die Alarmstufe für die Gasversorgung ausgerufen, nachdem Russland die Lieferungen stark gedrosselt hat. Und Habecks Parteifreund, Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan, kündigte an, dass mindestens 20 Prozent gespart werden müssen beim Gasverbrauch. Das trifft uns alle, wird aber nicht reichen, meint Dietrich Lehmann in seinem Kommentar.

von Dietrich Lehmann

Es ist eine unverhohlene Drohung, die Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan ausspricht: Entweder jede und jeder spart schon jetzt - oder die Politik entscheidet in ein paar Wochen darüber, wer noch Gas bekommt und wer nicht. Keine warmen Aussichten, auch jetzt nicht, wo Hochsommer herrscht. Wir müssen uns warm anziehen.

Eigentlich wissen wir es schon lange genug: Sich auf billige Energie aus Russland zu verlassen, war blauäugig, ja fahrlässig. Und die fossilen Alternativen? Fracking-Gas, bei dem die Umwelt zerstört wird? Oder LNG aus Golfstaaten wie Katar, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden?

Industrie ist alarmiert

Profitiert vom günstigen russischen Gas hat über Jahrzehnte vor allem die deutsche Industrie. Der Hamburger Industrieverband war einer der ersten, der auf Habecks Alarmstufe reagiert hat in dieser Woche. Tenor: Wir haben schon längst alles eingespart, was geht. Wer mehr Kürzungen von uns fordert, der riskiert einen wirtschaftlichen Abschwung sondergleichen. Da ist schon was dran: Wenn der Hamburger Kupferproduzent Aurubis keine Rohstoffe mehr liefert, dann stehen auch bei Volkswagen in Wolfsburg und bei Daimler in Stuttgart bald die Bänder still. Und Windräder können auch nicht mehr gebaut werden. Andererseits: Dafür die Fernwärme abzuschalten, Privatleuten das Heizen zu verbieten, ist auch keine Lösung.

Jeder kann etwas tun

Klar: Kraftwerke und die Industrie sind in Hamburg die größten Gasverbraucher, hier gibt es auch die größten Möglichkeiten, noch mehr zu sparen. Aber auch viele kleine Dinge, die jeder schnell tun kann, bringen etwas fürs große Ganze und fürs eigene Portemonnaie: Die Heizung etwas runterdrehen, oder das warme Wasser ein paar Grad kälter einstellen. Von den Heizpilzen, die auch jetzt noch vor vielen schicken Cafés und Restaurants zwischen Elbe und Alster stehen, ganz zu schweigen.

Hamburg setzt länger auf Kohle

Dass ausgerechnet der grüne Umweltsenator Jens Kerstan andeutet, dass im schmutzigen Kraftwerk Wedel wegen der Gaskrise länger Kohle verfeuert werden soll, ist ein geschicktes Ablenkungsmanöver. Schließlich hat es Kerstan selbst versäumt, schon längst für Alternativen zu sorgen. Für umweltfreundliche Alternativen wohlgemerkt.

Hohe Nachzahlungen

Die Rechnung für das Dilemma zahlen wir nun alle: Selbst, wenn wir im Winter lieber eine Decke mit aufs Sofa nehmen, statt die Heizung höher zu drehen. Auch, wenn die Dusche nur drei Minuten läuft statt zehn - und Schwimmbäder vielleicht ganz schließen: Die nächste Nebenkostenabrechnung und die Strom- und Gasrechnung werden einige in Hamburg kaum noch zahlen können.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Der Hamburg-Kommentar | 25.06.2022 | 08:40 Uhr

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