Welt der Musik

Ungeahntes von Mozart - die Streichquartette neu beleuchtet

Sonntag, 25. September 2022, 18:00 bis 19:00 Uhr

Wien im Februar 1785. Leopold Mozart ist zu Gast bei seinem Sohn, er berichtet seiner Tochter Nannerl: "... am Samstag war abends... Joseph Haydn und die 2 Baron Tindi beÿ uns, es wurden die neuen quartetten gemacht, aber nur die 3 neuen die er zu den andern 3, die wir haben, gemacht hat..." Haydn hatte schon im Januar mit Mozart und zwei weiteren illustren Komponistenkollegen an der ersten Geige die "andern 3" Quartette gespielt, Dittersdorf übernahm die zweite Geige, Vanhal saß am Cello und Mozart an der Bratsche. Später sollte Mozart diese sechs Quartette seinem "caro amico", seinem lieben Freund Haydn widmen. Und Leopold hat bei dem Quartett-Abend das wohl größte Lob über seinen Sohn gehört, wie er Nannerl schreibt: "Haydn sagte mir: ich sage ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der grösste Componist, den ich von Person und dem Nahmen nach kenne: er hat Geschmack, und über das die grösste Compositionswissenschaft."

Streichquartette ein kompositorisches Experimentierfeld

Armida Quartett © Oliver Borchert
Einen besonderen Schwerpunkt legt das Armida Quartett auf das Werk Wolfgang Amadeus Mozarts.

Schnell wird Wolfgang Amadeus Mozart als ein Genie bezeichnet, das spielend leicht die schönste Musik erfindet, einfach mal so. Dabei denken viele an Mozarts Ausspruch aus einem Brief: "komponirt ist schon alles - aber geschrieben noch nicht". Im Kopf war die Komposition fertig, sie musste nur noch notiert werden. Zum Teil stimmt das vielleicht. Aber es gilt nicht für die 23 Streichquartette. In seiner Widmung der sechs Haydn gewidmeten Quartette aus den 1780er-Jahren bekennt Mozart, dass sie die "Frucht einer langen, mühevollen Anstrengung" gewesen seien. Streichquartette waren für ihn ein kompositorisches Experimentierfeld. Das Armida Quartett und der Musikwissenschaftler Wolf-Dieter Seiffert, Leiter des Henle Verlages, haben die heute bekannten und verfügbaren Handschriften Mozarts und auch Drucke der Quartette penibel unter die Lupe genommen. Dabei sind sie auf viele Überraschungen gestoßen. Sie haben festgestellt, dass sich schon lange, bis heute, eine Menge Ungenauigkeiten eingeschlichen haben - zum Teil aus Unkenntnis der Quellen.

Viele offene Fragen

"Ab den Haydn-Quartetten ist das Streichquartett-Komponieren für Mozart die höchste Kunst. Die höchste Gattung, wie wir sie heute auch sehen, die Königsdisziplin aller Kammermusik." Wolf-Dieter Seiffert ist "die Adresse", wenn es um Mozarts Streichquartette geht. Sie waren das Thema seiner Doktorarbeit. Ein Thema, das Seiffert bis heute nicht losgelassen hat. Er kennt Mozarts Notenhandschrift aus dem Effeff. Er wusste immer, dass es gerade bei den Streichquartetten noch viele offene Fragen gab. Eine neue kritische Urtextausgabe stand irgendwann an. Allein wollte er das aber nicht machen. Das Berliner Armida Quartett wurde der ideale Partner. So entstanden die neue vierbändige Urtextausgabe und die Gesamtaufnahme der Mozart-Quartette auf fünf CDs.

Für Kenner und Liebhaber

"Mit so einem Spezialisten für Mozart-Handschriften zusammenarbeiten zu dürfen, wann hat man das schon mal? Das war phänomenal." Eine Chance, ein großes Abenteuer, verrät Johanna Staemmler, zweite Geigerin im Armida Quartett. "Mozart hat sich bei den Streichquartetten nicht an das große Publikum gewandt, er hat für Kenner und Liebhaber geschrieben. Da ist er nicht der gefällige Mozart. Er ist komplex in den Streichquartetten, schon in den frühen. Er hat einen ganz anderen Anspruch, er will sich weiterentwickeln. Das hat uns das gereizt. Und wir hatten das Gefühl, dass wir bei Mozart etwas sagen können." Allerdings. Die kürzlich abgeschlossene Gesamtaufnahme der Quartette beweist es. Da vermittelt sich ein unglaublich lebendiger Puls, eine große Musizierlust, Eleganz und genaue Kenntnis der Partitur.

Mozarts Handschrift

Johanna Staemmler ist die Entdeckerfreude anzumerken: "Wir haben gemerkt, was für ein Universum sich hinter den bloßen Noten eröffnet, wieviel es zu lernen gibt." Note für Note wurde in Mozarts Handschrift und in den erhaltenen Erstdrucken verglichen. Was kommt Mozarts Intention am nächsten? "Uns war überhaupt nicht klar, wie Mozart in seiner Handschrift zum Beispiel die dynamischen Zeichen einträgt, das hat eine ganz bestimmte Bewandtnis, die teilweise falsch gelesen wurde." Wolf-Dieter Seiffert, bestens vertraut mit Mozarts Handschrift, entdeckte zum Beispiel im sogenannten "Hoffmeister-Quartett" D-Dur KV 499 - 1786 für den gleichnamigen Verleger geschrieben - an einer Stelle eine fremde Handschrift im Autograf. Andere Wissenschaftler haben das nicht erkannt. Und so gelangte ein falsches, kräftiges Forte in eine Druckausgabe, das über Jahrzehnte immer wieder übernommen wurde. Johanna Staemmler: "Es wurde immer laut gespielt, aber es geht im Pianissimo weiter. Ein riesiger Unterschied für den ganzen Satz, fürs ganze Stück!"

Es geht um Mikrodetails

Das ist nur ein Beispiel. Hunderte von Stellen zur Dynamik, zu Tempo- oder zu Artikulationsangaben und mehr habe man sich gemeinsam angeschaut, erklärt Wolf-Dieter Seiffert, vieles sei in seiner neuen Ausgabe anders als in der bisherigen Ausgabe bei Bärenreiter. "Wir können nicht behaupten der Weisheit letzter Schluss zu besitzen. Oft ist es auch Interpretation, es geht um Mikro-Details. Man muss unglaublich genau hinschauen, es gibt sehr viele Fragezeichen durch die Ungenauigkeiten in Mozarts Feder. Er schrieb ja extrem schnell."

Aber hört man dieses ganze Wissen hinter dem puren Notentext überhaupt in einem Konzert oder einer Aufnahme? Davon ist das Armida Quartett hundertprozentig überzeugt. Martin Funda, der erste Geiger, glaubt, dass es das Spiel lebendiger und vielschichtiger mache, und vor allem freier: "Es schärft das Bewusstsein ganz neu! Natürlich fühlen wir uns berufen, diese Neuerungen so gut wie möglich auch auf der Bühne zu zeigen. Einige überraschende Stellen werden den gewohnten Mozart-Hörer vom Stuhl fegen!"

Eine Sendung von Elisabeth Richter.

 

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