Moderatorin Andrea Schwyzer und Eckhart Altenmüller © NDR, Michael Stoob

Musikmediziner Eckart Altenmüller begeistert für das Singen

Stand: 28.10.2022 00:01 Uhr

Der Musikgeschmack sei ein wichtiger Teil unserer eigenen Persönlichkeit, sagt Eckart Altenmüller. Er weiß, was Musik in uns auslöst und begeistert deshalb für das Singen. Und das hilft uns in vielen Lebenslagen.

Er ist Neurologe, hat Medizin und Musik studiert: Eckart Altenmüller. Der Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Musikhochschule Hannover weiß, was Singen in uns auslöst, wie dabei die Synapsen zu tanzen beginnen. Passend zum "NDR Kultur Chorexperiment", bei dem sich der größte virtuelle Chor im Norden zusammenfindet, spricht Eckart Altenmüller in "NDR Kultur à la Carte" über die nachweisliche Heilkraft des Singens und warum Musik unser Leben bereichert.

Wie starten Sie als Neurologe und Musiker in den Tag? Sie starten mit Musik, oder?

Eckart Altenmüller: Ja, ich höre gerne Musik am Morgen. Wenn ich zum Beispiel Gymnastik mache, höre ich immer Musik, ich höre sehr gerne beim Frühstückmachen den NDR. Ich schaue mir auch gelegentlich Livestreams am Morgen vom Abend zuvor an. Also, ich starte den Tag mit Musik.

Eckart Altenmüller © picture alliance/dpa Foto: Hauke-Christian Dittrich
AUDIO: Musikmediziner Eckart Altenmüller begeistert für das Singen (55 Min)

Was passiert dann so bei Ihnen?

Altenmüller: Es beflügelt mich und gibt mir auch Energien, gleichzeitig regt es mich auch geistig an. Beispielsweise habe ich vor Kurzem die dreistimmigen Inventionen von Johann Sebastian Bach gehört und habe gemerkt, dass ich diese Stücke gar nicht kenne, obwohl sie sehr bekannt sind und ich sie selber, als Jugendlicher am Klavier gespielt habe. Das finde ich total begeisternd, dass ich jeden Tag etwas Neues entdecken und lernen kann.

Ein Grund, warum wir miteinander sprechen, ist das NDR Kultur Chorexperiment. Wir singen gemeinsam mit Hörerinnen und Hörern das Lied "Wir ziehen in den Frieden" von Udo Lindenberg. Wir sprechen also auch über Chormusik und über das Singen. Wann haben Sie das letzte Mal gesungen, oder was haben Sie gesungen?

Altenmüller: Ich singe für mich sehr viel, das letzte Mal habe ich vor wenigen Wochen in einem Chor gesungen - das war auf einer Konferenz. Es war ein spontaner Chor, wo wir dreistimmige Lieder gesungen haben. Ich habe als Kind auch sehr viel gesungen. Ich war in der Singschule in Rottweil, meiner Heimatstadt und dann wollte ich eigentlich bei den Rottweiler Münstersängerknaben mitmachen, unter anderem, weil die grandiose Konzertreisen machten. Aber ich durfte nicht mitmachen, weil ich evangelisch bin und nicht katholisch. Das hat sich zum Glück geändert. Ich singe sehr gerne und ich finde es auch ganz wichtig. Man kann mit der Stimme wahnsinnig viel ausdrücken und wahnsinnig viel damit machen. Gleichzeitig kann man tolle Dinge erleben, gerade auch, wenn man mit mehreren Menschen zusammensingt.

Über Musikgeschmack lässt sich streiten. Wann wird der denn gebildet? Ändert der sich im Alter nochmal?

Altenmüller: Der Musikgeschmack ist tatsächlich variabel und kann sich im Leben sehr gut verändern. Wann er gebildet wird, ist nicht ganz klar. Es ist interessant, denn es gibt offensichtlich schon bei sehr kleinen Kindern bestimmte Vorlieben. Manche Kinder mögen bestimmte Instrumente und bestimmte Klänge sehr gerne, und das hat wahrscheinlich etwas mit Genetik zu tun. Dann gibt es natürlich auch den starken Einfluss der Eltern, etwa bis zum Alter von elf, zwölf Jahren. Danach kommt der entscheidende Punkt im Verlaufe der Adoleszenz - also im Ablöseprozess. Da ist die Musik ein ganz entscheidender und wichtiger Faktor. Es ist vielleicht sogar ein so wichtiger Faktor, der einen jungen Menschen dazu bringt, sich von seinen Eltern zu unterscheiden. In jeder Schule können Sie beobachten, wie Kinder und Jugendliche ihre Klangbeispiele austauschen und sich über ihre bevorzugten Musiken unterhalten, sich definieren und in den Gruppen zusammenschließen. Das ist ein natürlicher Prozess der Ablösung vom Elternhaus und die Findung der Peergroup - das ist entscheidend für den Musikgeschmack.

Eckart Altenmüller © picture alliance/dpa Foto: Hauke-Christian Dittrich
AUDIO: Musikmediziner Eckart Altenmüller begeistert für das Singen (55 Min)

Danach, im Laufe des Lebens werden wir natürlich von sehr viel mehr kognitiven Faktoren beeinflusst. Mich selbst hat zum Beispiel in meinem Musikgeschmack die Arbeit sehr stark geprägt. Ich war eigentlich ein begeisterter Klassiker - das hat sich so ergeben - ich habe sehr gerne klassische Musik gespielt und gehört. Mit 18 Jahren habe ich dann über Freunde angefangen in einer Popgruppe in Rottweil Keyboards, Vocals und Flöte zu spielen: "Forgotten Rose" hieß die Band. Wir haben vor allem die Gruppe 'Exception' gecovert, also nachgemacht. Die haben klassische Musik für Rock adaptiert. Im Laufe meiner Forschung habe ich mich mit Musiken befasst, die ganz abwegig von meinem ursprünglichen Geschmack waren, zum Beispiel Death oder Black Metal. Ich habe rausgefunden, dass das auch interessant ist. Es gibt total differenzierte und auch enorm witzige und gleichzeitig vielschichtige Musiken in Genres, die ich vorher nicht kannte und das begeistert mich.

Wenn die Kinder jugendlich sind, sagen viele Eltern, das House-Musik oder auch Techno und Rap gar keine Musik sind. Da würden Sie aber dagegen gehen, oder?

Altenmüller: Absolut, das ist Musik. Dahinter steckt zum Teil großartige und hohe künstlerische Qualität. Die Kinder und Jugendlichen brauchen ihren eigenen Weg, den müssen sie finden, denn das ist Persönlichkeitsbildung. Der Musikgeschmack ist ein wichtiger Teil unserer eigenen Persönlichkeit.

Das Gespräch führe Andrea Schwyzer.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 28.10.2022 | 13:00 Uhr

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