Ulrich Kühn © NDR Foto: Christian Spielmann

NachGedacht: Blackout und Resilienz

Stand: 07.10.2022 11:19 Uhr

Wohin Sie auch schauen, welche Zeitung Sie auch aufschlagen, über kurz oder lang ist das Thema da: Blackout. Grund zur Sorge? Irgendwie schon, meint Ulrich Kühn.

von Ulrich Kühn

Ist das nicht Horror in Potenz? Das Smartphone aus, der Akku leer, weit und breit kein Strom. Draußen alles zappenduster. Was gestern noch geflimmert hat, ist schwarze Oberfläche. Tauwasser tropft aus dem Eisfach, Gerüche entströmen dem Kühlschrank, angenehm sind sie nicht. Im Flackerlicht tröstet Annie Ernaux, dann geht die letzte Kerze aus. Auch die Konserven werden bald knapp. Hätte man mal vorgesorgt. Hat man leider nicht.

Man wollte gern, aber irgendwie kam immer was dazwischen, und außerdem, bei Licht betrachtet, wäre es nicht übertrieben gewesen? Ein tagelanger Blackout mitten in diesem reichen Land, das notfalls mit doppel-wummsiger Kraft dermaßen hart auf die Bremse tritt, dass niemand verunglücken muss. Gut, eine Vollbremsung kann schmerzhaft sein und danebengehen, aber so ist das mit den Sprachbildern in der Politik, sie künden von maximaler Entschlossenheit und sind einprägsam, aber schief.

Blackout: Das verdrängte Thema

Jetzt schwirren sie durch die zarte Herbstluft: Gaspreisbremse, Doppel-Wumms und immer öfter: Blackout. Ein großes Kauderwelsch, so scheint's. Es liegt aber nicht nur an den Begriffen, es liegt an der Überforderung. Alles hängt so ungut mit allem zusammen, wer will das im Detail durchdringen, verstehen, die richtigen Schlüsse ziehen?

Allein die Vorstellung vom Blackout. Früher war sie für Bestseller gut, die das Gruseln lehrten. Inzwischen dämmert uns, dass ein länger andauernder Blackout in der wirklich realen Realitäts-Wirklichkeit so ziemlich alles lahmlegen würde, was zivilisiertes Leben ausmacht. Ich zeige mich hier gedanklich offen für diese Option, in Wahrheit habe ich das Thema bisher verdrängt und keine Vorkehrungen getroffen. Ich ahne, dass ich damit nicht allein bin.

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Ein finsteres Faktum

Der Landrat von Steinfurt, Martin Sommer, macht es besser. Die Zeitung "DIE WELT" hat ihn über Blackouts interviewt. Das Risikobewusstsein sei in der Gesellschaft "nur in Ansätzen vorhanden", sagt der Landrat, viele Menschen "ahnen ja gar nicht, was alles nur mit Strom funktioniert". Was mich betrifft, hat er recht. So viel verstehe ich immerhin: Es ist ein finsteres Faktum, dass ohne Strom weder Krankenhäuser noch Kommunikationstechnik noch Pflegewesen noch Energieversorgung noch Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln funktionieren. Aber muss man sich wirklich mit einer so düsteren Vision befassen an einem sympathischen Herbsttag, der zufällig Putins 70. Geburtstag ist?

Man muss wohl, sie tun es jetzt überall. Selbst in Berlin, wo in normalen Zeiten schon eine schlichte Wahl ein unlösbares Problem darstellt, präpariert sich die Polizei für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beim Blackout. Selbst in Berlin. Das alarmiert.

"Es müsste viel zusammenkommen"

Der Landrat von Steinfurt meint, wir bräuchten in dieser Lage mehr Resilienz. Er hält uns wohl für ein bisschen verwöhnt. Okay, zugegeben, es war schon schön, zivilisiert zusammenzuleben, mit all den üblichen Konflikten, aber ohne die Verwerfungen eines nahen Krieges. Wenn das unser Verwöhnt-Sein war, müssen wir uns jetzt wohl ranhalten, denn für den Resilienz-Erwerb brauchen wir bestimmt eine App, und wenn der Strom erst fehlt, spricht keine App mehr zu uns. Stummes Smartphone, Horror in Potenz, wie gesagt.

Zu diesem Äußersten kann es wohl im Ernst nicht kommen. Irgendwo findet sich bestimmt noch ein kleines Atomkraftwerk, das unsere Smartphones mit Reststrom versorgt. Dann lesen wir auf dem Display die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und freuen uns, denn da steht: "Ganz ausgeschlossen ist ein Stromausfall nicht. Aber es müsste viel zusammenkommen." Und das klingt doch beruhigend. Wenn nur nicht schon so elend viel zusammengekommen wäre in diesem verdammten Jahr.

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Unsere Kolumnisten lassen die Woche mit ihren Kulturthemen Revue passieren und erzählen, was sie aufgeregt hat. Persönlich, kritisch und gern auch mit ein wenig Bösartigkeit gespickt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 07.10.2022 | 10:20 Uhr

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