Kein Kopftuch, kein Kreuz, keine Kippa?
Die Alhambra Gesellschaft will aufgeklärten Muslimen in Deutschland eine Plattform geben, um sich kontrovers auszutauschen und Themen in den Fokus rücken, die in traditionellen Moscheeverbänden wenig Raum bekommen. Vor rund zwei Jahren wurde sie gegründet. Mit ihrer Veranstaltungsreihe "Das muslimische Quartett" ist sie seitdem in vielen Städten zu Gast. Im Haus der Religionen in Hannover ging es letzte Woche um den Islam als religiöse Ressource.
Murat Kayman von der Alhambra Gesellschaft begrüßt das Publikum des gut gefüllten Saals im Haus der Religionen und beginnt selbstkritisch: Der Termin am Freitagabend während des Schabat sei schlecht gewählt, lasse die Wertschätzung für die jüdischen Nachbarn vermissen. Dann setzt er zu einem Vortrag an und hinterfragt, wie es in einer zunehmend säkularen Gesellschaft um die Religionsfreiheit bestellt ist: "Sie wird in all ihren Facetten von der Glaubensfreiheit über die Bekenntnisfreiheit bis hin zur öffentlichen Religionsausübungsfreiheit durch unsere Verfassung garantiert. Gleichwohl haben wir es in viele Bereichen unserer Gesellschaft mit der Vorstellung zu tun, man habe ein Recht darauf, von fremden religiösen Bekundungen verschont zu bleiben."
Kopftuch aus Trotz?
Fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland seien Muslime, sagt Kayman. Ihre religiösen Symbole würden jedoch nicht als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft wahrgenommen, sondern als Bedrohung vor Überfremdung. Eine Wahrnehmung, die sich gewandelt habe, sagt Volker Beck, bis 2017 migrationspolitischer Sprecher der Grünen. Hatte etwa das Kopftuch für die sogenannte Gastarbeiter-Generation noch eine positive, identitätsstiftende Funktion, wird es für die junge, dritte Generation mit Diskriminierungserfahrung aus einem gewissen Trotz heraus getragen, hat der Lehrbeauftragte für Religionspolitik an der Ruhr-Universität Bochum beobachtet. "Man kommt in eine Bäckerei, und die Mütter haben alle kein Kopftuch, aber die Töchter. Da denkt man sich: Was ist denn da los? Ob das Ausdruck von religiösen Praxen ist, kann man sehr in Zweifel ziehen. Über diese Phänomene wird nicht richtig gesprochen, sondern es wird aufgeladen - von Sarrazin und anderen. Und das macht es so schwierig."
Den Islam als positive Ressource wahrnehmen
Man komme nur weiter, wenn man das ein Stück weit dekonstruiere, sagt Beck. Damit ist auch die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika beschäftigt. Sie plädiert an diesem Abend in Hannover dafür, den Islam als positive Ressource wahrzunehmen: "Im Moment passiert gerade unter jungen Musliminnen und Muslimen in Deutschland auf der zivilgesellschaftlichen Ebene sehr viel in diese Richtung. Sie lösen sich langsam von dieser Übermacht dessen, was wir 'organisierten Islam' nennen. Nicht, dass das automatisch eine Distanzierung bedeutet - viele sind noch aktiv in Gemeinden. Aber sie stellen sich andere Fragen, die auch andere, nicht-muslimische Gesellschaftsteilnehmer genauso anpacken, wie Fragen des Umweltschutzes beispielsweise."
Erfolg durch "intelligente Religionspolitik"
Und immer wieder geht es um die Frage nach Bildung und mehr Aufklärung über den Islam in der Schule. Michael Heinig, Leiter des kirchenrechtlichen Instituts der EKD, sieht da neben dem Religionsunterricht auch weitere positive Entwicklungen: "Die Etablierung islamischer Theologie an staatlichen Hochschulen ist ein echtes Erfolgsmodell. Das führt zu einer anderen Form von Diskursfähigkeit, von Sprachfähigkeit, das eröffnet Debattenräume. Und das zeigt, dass man mit intelligenter Religionspolitik doch etwas gestalten kann."
Es sind wichtige Impulse, die das "muslimische Quartett" gegeben hat. Das zeigte sich auch an den Fragen und Kommentaren aus dem Publikum. Der Wunsch, den Islam auf eine positive Weise wahrzunehmen, sprach aus vielen Wortmeldungen. Murat Kayman las am Ende eine Auswahl vor: "Ich möchte jemanden, der mir begegnet, zuerst als Menschen wahrnehmen, nicht als Angehörigen einer Religion. Welcher Religion er angehört, möchte ich an seinem Verhalten sehen, nicht am Kreuz, an der Kippa oder dem Kopftuch."