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"Wie - auch kein Wasser?" - Ramadan erklären

Stand: 23.03.2023 11:27 Uhr

Der Fastenmonat Ramadan ist für Muslime eine besondere Zeit. Silvia Horsch-Al Saad, die vor Jahren zum Islam konvertierte, erinnert sich an ihr erstes Fasten - und an die Reaktionen.

von Silvia Horsch

Millionen Muslime verzichten im Fastenmonat Ramadan tagsüber darauf, zu essen und zu trinken. Es ist für sie eine Zeit der Besinnung, der Nächstenliebe und auch der Begegnung von Muslimen und Nicht-Muslimen beim gemeinsamen Fastenbrechen. Silvia Horsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, ist vor vielen Jahren zum Islam konvertiert. Im Freitagsforum erinnert sie sich an ihren ersten Ramadan - und an die Reaktionen ihrer nicht-muslimischen Freunde und Kolleginnen.

Als ich vor etwas mehr als 20 Jahren zum ersten Mal im Ramadan fastete, lag der Fastenmonat im Winter. Fasten bedeutete damals eigentlich nur, das Frühstück etwas vorzuziehen und das Mittagessen ein bisschen zu verschieben. Trotzdem hatte ich großen Respekt vor den zehn Stunden zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang, in denen ich nichts essen und trinken sollte. Ich bemühte mich daher, in der übrigen Zeit die verpassten Kalorien wieder einzuholen. Ein typischer Anfängerfehler, die Folge war eine spürbare Gewichtszunahme.

Fasten im Ramadan: Auch kein Wasser trinken

Trotz der kurzen Fastentage begleiteten mich schon damals die erstaunten Fragen und ungläubigen Blicke meiner nichtmuslimischen Freunde, Kommilitoninnen und Kollegen: "Den ganzen Tag nichts essen?" "Nein", erklärte und erkläre ich bis heute geduldig, "nichts essen und auch nichts trinken." Eine Auskunft, auf die zuverlässig die Nachfrage folgt: "Wie, auch kein Wasser?!" "Wasser ist natürlich eine Ausnahme!", bin ich jedes Mal versucht zu sagen, aber ich verkneife mir den Scherz. Vor meiner Konversion hätte ich wahrscheinlich die gleichen Fragen gestellt.

Über die Autorin

Silvia Horsch arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Sie studierte Germanistik und Arabistik in Berlin und promovierte zu frühislamischen Märtyrerfiguren. Seit 20 Jahren ist Silvia Horsch Muslimin. Es ist ihr wichtig, sich am gesellschaftlichen Diskurs über den Islam und muslimische Frauen zu beteiligen. Mit der Website Nafisa.de zum Beispiel. "Nafisa" ist auch auf Facebook vertreten und hat einen eigenen Youtube-Kanal.

Muslime fasten nicht für die Gesundheit

Schwieriger finde ich die ungebetenen Kommentare: "Gesund ist das ja nicht!" merkt meine Zahnärztin während der Behandlung an. Mit aufgesperrtem Mund lege ich mir die Erwiderung zurecht, dass Muslime seit immerhin 1.400 Jahren ohne größere gesundheitliche Schäden fasten. Aber sie kommt mir zuvor: "Naja, Sie machen das ja auch nicht für die Gesundheit."

So ist es - Muslime fasten nicht für die Gesundheit. Auch wenn viele von ihnen den immer wiederkehrenden Fragen mit der Strategie begegnen, das Fasten als eine Art Gesundheitskur darzustellen. Sie zitieren medizinische Studien zum Fasten und verweisen mit Stolz auf den neuesten Trend des Intervallfastens, bei dem 16 Stunden am Tag nichts gegessen wird. Aber auch solche Erklärungen sorgen nur begrenzt für Verständnis. Einer meiner Bekannten wurde über Jahre von ihren Kollegen - und zwar immer den gleichen - die Frage nach dem Wasser gestellt, bis sie schließlich zurückgab: "Tja, der Islam ist halt nichts für Weichlinge!"

Die spirituelle Seite des Ramadan lässt sich nicht erklären, nur erleben

Diese Antwort ist vielleicht nicht ideal, aber sie verweist auf einen wichtigen Punkt: Natürlich ist Ramadan anstrengend, besonders im Sommer. 18 Stunden nichts zu essen und zu trinken und dabei den alltäglichen Verpflichtungen nachzugehen, die Arbeit und Familie mit sich bringen, ist nicht einfach. Aber es gehört zum Sinn des Fastens, uns aus unserer Bequemlichkeit und unseren Gewohnheiten herauszureißen.

Seit ich die Anfängerfehler hinter mir gelassen habe, fühle ich mich tatsächlich nach dem Ramadan fitter als davor. Aber wie meine Zahnärztin schon sagt, es geht nicht um die Gesundheit. Der Verzicht auf Essen und Trinken ist nur die körperliche Seite des Ramadan, die andere Seite ist die seelische. Diese ist viel schwerer zu erklären und nach ihr werde ich auch nur selten gefragt. Während die Nahrung im Ramadan für den Körper reduziert wird, wird die Seele durch zusätzliche Nahrung aufgepäppelt: durch Gebete, das Lesen des Koran und Kontemplation. Für mich ist das eine Zeit, in der das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele wieder hergestellt wird, und das Wohlbefinden, das sich bis zum Ende des Ramadan bei mir einstellt, führe ich auf diesen Ausgleich zurück. Diese Erfahrung kann man aber niemandem erklären - man kann sie nur machen.

Fünf Fragen und Antworten zum Ramadan

1. Was bedeutet Ramadan?
Ramadan leitet sich ab von dem arabischen Wort ramad, was so viel wie "Hitze" und "Trockenheit" des Bodens bedeutet. Neben der Erklärung, der Ramadan verbrenne die Sünden wie die Hitze den Boden, verweist das Wort auch auf das Gefühl von Durst während des Fastens. Zwischen dem Beginn der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang sollen Muslime nicht essen, trinken, rauchen oder Sex haben. Mit einem Abendessen wird das Fasten täglich im Familien- oder Freundeskreis gebrochen (auf Arabisch: Iftar). In Deutschland ist der Ramadan auch ein Monat der interreligiösen Begegnungen beim Iftar.
2. Warum wird gefastet?
Das Fasten geht auf ein koranisches Gebot zurück und gehört zu den sogenannten fünf Säulen des Islam, also zu den zentralen gottesdienstlichen Handlungen im Leben einer Muslimin oder eines Muslims. Es soll die Menschen gottesfürchtig machen, die Seele des Fastenden erfährt dadurch eine Reinigung und Läuterung.
3. Wer muss fasten?
Alle geistig gesunden Muslime, die die Pubertät erreicht haben und damit als mündig gelten. Es sei denn, sie gehen damit gesundheitliche Risiken ein. Reisende zum Beispiel oder Schwangere können die versäumten Fastentage später nachholen.
4. Können Nichtmuslime ihre fastenden Arbeitskollegen unterstützen?
An erster Stelle sollten Nichtmuslime respektieren, wie wichtig diese Zeit für gläubige Muslime ist. Sie können auch fastende Arbeitskollegen unterstützen, indem sie versuchen, sie körperlich weniger zu fordern oder ihnen beispielweise ermöglichen, ihre Arbeitszeiten während des Fastens flexibel zu gestalten.
5. Wie wird am Ende des Ramadan gefeiert?
Ramadan endet traditionell mit einem dreitägigen Fest. Auf Arabisch heißt es Id al-Fitr (Fest des Fastenbrechens), auf Türkisch Seker Bayrami (Zuckerfest). Muslime beginnen das Fest mit einem besonderen Gebet nach Sonnenaufgang. Danach feiern sie gemeinsam in der Familie und mit Freunden.

Das Freitagsforum zum Nachhören
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 18.05.2018 | 15:20 Uhr

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