Frau mit Cello sitzt in einer Wiese © Felix Broede Foto: Felix Broede

Festspiele MV: Herausforderungen einer Festival-Karawane

Stand: 18.08.2022 14:46 Uhr

Wie organisiert man eigentlich ein Festival in einem Flächenbundesland wie die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern? Anina Pommerenke hat beim kaufmännischen Direktor und Leiter der Abteilung Organisation, Toni Berndt, nachgefragt.

von Anina Pommerenke

Herr Berndt, was sind die größten Herausforderungen für Sie bei der Organisation der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern in einem so großen Bundesland?

Toni Berndt: Die große Herausforderung ist, dass man die Nase ein bisschen im Land hat und mitbekommt, welche Möglichkeiten existieren. Wenn Sie in einer Stadt ein Festival machen und das Büro des Festivals dort ist oder Sie da wohnen, dann kriegt man es meistens durch den Flurfunk oder das Stadtgespräch mit, wenn eine neue Location aufmacht oder wenn sich eine alte Ruine als Spielort anbietet. Wir haben das ganze Land als Spielwiese. Das heißt: Wenn irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern ein interessanter neuer Spielort aufmacht, zum Beispiel eine Kirche saniert wird, braucht man ein gutes Netzwerk, um die entscheidenden Tipps zu bekommen.

Das war zum Beispiel wichtig für unsere Reihe "Sleeping Beauties", bei der wir in alten Ruinen und verfallenen Gutshäusern gespielt haben. Das kann man schlecht bei Google eingeben. Da braucht man Leute im Land, die einem diese Ideen zutragen, die man fragen kann, die einem helfen, da den Überblick zu behalten und auch im ganzen Land präsent zu sein. Wir haben den Anspruch, dass wir in allen Ecken des Landes Veranstaltungen machen. Und das ist manchmal nicht ganz einfach, immer eine zündende Idee zu haben.

Wie darf man sich das organisatorisch vorstellen: Ist das so wie beim Zirkus, dass Sie ein Team haben, das von Tag zu Tag weiter wandert?

Berndt: Das hängt immer davon ab. Wenn wir beispielsweise den "Jahrmarkt der Sensationen" haben - ein Programm, das fünf oder sechs Mal aufgeführt wird -, dann ist es tatsächlich ein festes Team inklusive Technik, das von Ort zu Ort zieht. Das ist dann wirklich wie im Zirkus: abends abbauen, morgens wieder aufbauen. Ähnlich ist das auch bei Musikern. Wir haben das öfter, dass Konzerte in anderen Orten wiederholt werden. Dann reisen wir geschlossen durchs Land und führen das am nächsten Tag noch einmal auf.

Ansonsten ist es so, dass wir eigentlich jeden Tag ein unterschiedliches Programm präsentieren und neue Künstler dabei haben. Dann ist es immer davon abhängig, wie die Reisezeit ist. Wenn wir westlich von der A19 - das ist immer unser Marker - spielen, dann versuchen wir noch nach Schwerin zurückzufahren am Abend. Wenn wir östlich davon sind, übernachten wir meist vor Ort im Hotel und fahren am nächsten Tag zum nächsten Konzert.

Was würden Sie schätzen? Wie viele Stunden sind Sie während der Festivalzeit unterwegs?

Berndt: Das ist endlos! Wir haben ein straffes Programm und machen fast gar keine Pause. Im Auto sitze ich im Schnitt etwa drei bis vier Stunden pro Tag.

Ist das die Mammutaufgabe bei der Vorbereitung des Festivals, das alles zu organisieren?

Berndt: Es ist eine von vielen. Das Ganze ist wie ein Puzzle. Zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit dem Flügelverleiher: Welcher Flügel muss wann wo stehen? Dann braucht man zu viele Flügel gleichzeitig - das ist schon eine Herausforderung. Der Personalplan wird von jeder Abteilung geschrieben, sodass jeder, bevor die Saison beginnt, weiß, wo er in den nächsten Tagen und Wochen eingesetzt ist. Es ist ein Puzzle - aber mittlerweile doch auch gelernt und Teil unserer Routine.

Ist dabei irgendwann mal etwas schief gegangen?

Berndt: Ein Klassiker sind beispielsweise Instrumente, die man nicht sieht. Es gibt Stücke, die haben einen Orchesterflügel - das heißt, es ist nicht der Solist vorne, sondern es ist ein Instrument, was Teil der Orchesterinstrumentierung ist. Es ist uns schon einmal passiert, dass in Redefin der Aufbau war und dann der Orchesterwart vom Orchester fragte: "Wo ist denn der Flügel?" - weil ein Stück, was bei der Planung noch nicht feststand, später kurzfristig ins Programm kam und bei dem dann übersehen wurde, dass dafür ein Flügel benötigt wird. Das war dann ein Anruf und anderthalb Stunden später stand der Flügel auf der Bühne. Von daher alles entspannt. Da muss man improvisieren können, aber so etwas passiert natürlich.

Mit Corona ist auch die Personalplanung eine große Herausforderung, denn wir haben nicht endlos Ersatzmitarbeiter und die Absagen kommen immer sehr kurzfristig. Bei Künstlern haben wir das auch öfter mal, dass die zum falschen Ort fahren: Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern drei Zarrentins und fünf Stolpes und wenn die Künstler mit dem eigenen Auto anreisen und es nicht so genau nehmen mit der Postleitzahl, landen die auch schon mal im falschen Ort. Da wüsste ich drei, vier Beispiele. Da sind die Künstler kurz vor dem Konzert abgekämpft angekommen. Man muss schon wissen, wo genau man hin will.

Wie gelingt es, auf so einer großen Fläche trotzdem ein Festival-Feeling zu erzeugen?

Berndt: Ich glaube, unser Geheimnis ist, dass wir als Team sehr viel vor Ort sind. Wir haben im Gegensatz zu anderen Festivals, die vieles outsourcen oder mit regionalem Personal bestücken, sechs bis 20 Personen aus dem Büro vor Ort. Das heißt, wenn Sie unser Festival besuchen, werden Sie auch immer an der Kasse und am Eingang und natürlich auch auf der Bühne bei der Begrüßung die bekannten Gesichter sehen. Und das Publikum hat - obwohl es dann unterschiedliche Orte sind - das Gefühl: "Ah, ich bin hier bei dem Festival. Ich bin hier bei den Festspielen."

Ich bin jetzt ein paar Jahre länger dabei. Mittlerweile kennt man das Publikum. Ich begrüße teilweise die bekannten Gesichter. Teilweise reist unser Publikum mit uns mit. Die tauchen dann in einer Woche bei drei verschiedenen Konzerten an drei verschiedenen Orten auf, weil sie Urlaub haben und sich diese Konzerte gönnen. Und so verabschiedet man teilweise die Menschen am Ausgang, sagt noch mal tschüss, und dann heißt es immer: "Sind Sie morgen dort, oder nächste Woche da und da?"

Ich glaube, das ist auch ein Teil, dass man das Gefühl hat, das ist eine reisende Karawane - sowohl das Publikum als auch das Team. Wir bespielen das ganze Land, aber wir sehen uns auch immer wieder. Ich glaube, das macht den entscheidenden Punkt aus: dass man das Gefühl hat, das ist eine Festivalfamilie mit den bekannten Gesichtern und der bekannten Stimmung. Wir versuchen mit dem ganzen Drumherum eine fröhliche, sommerliche Atmosphäre zu zaubern und das an allen 92 Orten, an denen wir in diesem Sommer sind. Ich hoffe, dass noch viele Menschen zu den Konzerten kommen. Wir leider darunter, dass es noch eine große Zurückhaltung bei den Gästen gibt - aus vielen guten Gründen - das ist wahnsinnig schade. Ich hoffe, es kommen noch viele, um die Konzerte zu genießen, um den Spaß an Kultur und Livekonzerten bei uns im Land zu entdecken.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 20.08.2022 | 08:15 Uhr

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