Hurricane Festival-Blog 2022 - Tag 2: Heiß, entspannt und wilde Shows
Nach langer Zeit erlebt NDR Musikjournalist Matthes Köppinghoff wieder das Hurricane Festival in Scheeßel. Der zweite Tag wird nicht nur durch die Sonne heiß.
Es ist der zweite Festivaltag und damit schon Bergfest. Obwohl wir ja gerade erst hier sind, fühlt sich das Gelände auf und um den Eichenring in Scheeßel schon wie ein Zuhause an. Interessanterweise gewöhnt man sich auch recht schnell wieder an so viele Menschen auf einem Fleck. Doch machen wir es wieder chronologisch.
Mein Festival-Sonnabend startet mit The Lathums aus Wigan in England. Versehentlich habe ich die Bühnen durcheinandergebracht und bin über das komplette Gelände zur Wild Coast Stage (fortan von mir Zeltbühne genannt) gestiefelt. Gute Indie-Band, so erscheinen mir The Lathums, soweit ich das in dieser kurzen Zeit beurteilen kann. Denn ich mache mich nach wenigen Minuten direkt auf den Rückweg, um noch ein bisschen von Helgen abzubekommen - Indie-Pop aus Hamburg, war auch gut.
Bei Kat Frankie Ruhe finden
Sorry für das ganze Namedropping. Gleich werde ich fokussierter. Nur der Vollständigkeit halber: Half Moon Run und Holly Humberstone - die zeitgleich spielen - schaue ich jeweils zur Hälfte. Dieses Hin- und Her-Switchen und Rumlaufen stresst ganz schön, daher setze ich mich in der Zeltbühne auf den Boden und schaue mir in Ruhe Kat Frankie an. Anfangs tut mir die Sängerin plus Band etwas leid, weil noch etwas wenig Zuschauer*innen da sind, die kommen aber nach und nach - und alle Beteiligten sind happy. Meine Hausaufgabe: Ihr aktuelles Album "Shiny Things" muss ich öfter hören.
Niemand malt meine Shirts an!
Während ich also auf dem Boden sitze, das Konzert und die Sitzgelegenheit genieße, werde ich von einem jungen Mann angesprochen. Zunächst vermute ich ein Angebot zum Erwerb von Drogen, weil er mir irgendwelche bunten Röhrchen entgegenhält, bis er fragt: "Soll ich dir etwas auf's T-Shirt malen?" Auch das lehne ich dankend und schockiert ab, denn mein Sun Records-Shirt ist mir heilig (auch wenn ich davon gleich mehrere zu Hause im Schrank habe) und darf unbekritzelt bleiben. Der Typ jedenfalls geht achselzuckend, locker und Seifenblasen-pustend weiter seines Weges. Seine Filzstifte nimmt er mit. Mir fällt auf: Die Leute sind bisher wirklich sehr entspannt drauf.
Toller Punk-Rock aus L.A. und Husum
Nach Kat Frankie mache ich mich gemächlich auf den Rückweg über das Gelände, das gerade von Bad Religion beschallt wird. Ich finde, jeder Mensch sollte sich in seinem Leben mindestens einmal eine Show der Punk-Legenden aus L.A. anschauen. Da ich schon mehrfach in diesen Genuss gekommen bin, geht es für mich weiter zu Turbostaat. Die Band aus Husum ist, wie die Kollegen aus Kalifornien, sehr sympathisch und sozialkritisch, hat das Herz am rechten Fleck (zum Beispiel rufen sie das Publikum auf, für Hanseatic Help zu spenden) - und sie drischt ähnlich energisch auf ihre Instrumente ein. Wieder setze ich mich auf den Boden, genieße Musik, Stimmung, Sonne - es ist toll. Wobei auch viele Schatten suchen: So passiert es auch, dass selbst Mülltonnen zweckentfremdet werden, viele kuscheln sich an die grauen Kästen, alles für ein bisschen mehr UV-Schutz.
Jimmy Eat World: Schief, aber trotzdem super
Auf geht es zu Jimmy Eat World. Die Band aus Arizona gibt es seit 1993, obwohl sie eigentlich Alternative Rock machen, haftet ihnen bis heute das Wörtchen "Emo" an. Wie dem auch sei, von dieser Band bin ich seit ewigen Zeiten Fan, obwohl mich die Alben irgendwann nicht mehr so recht abgeholt haben. Egal, Platten wie "Clarity" und "Bleed American" werden für mich immer einen großen Platz im Herzen einnehmen. Dementsprechend gehe ich sogar mal nach vorn vor die Hauptbühne. Zugegebenermaßen trifft Sänger Jim Adkins hier und da die Töne nicht so recht, ehrlich gesagt klingt es oft doll schief, aber das macht mir und Tausenden anderen nichts aus. "Lucky Denver Mint", "Sweetness" oder "The Middle" zum Schluss, Tanzen und Mitsingen - was für ein Vergnügen! Danach nehme ich noch die Foals mit.
Herrlicher Krach von Idles
Ein richtiges Highlight sind aber Idles aus Bristol. Wie am Vortag schon erwähnt, gibt es aktuell viele laute, wütende Post-Punkbands aus Großbritannien. In dieser Meckerliga sind Idles wohl die lauteste Band. Schon beim zweiten Song macht einer der Gitarristen samt Instrument einen Ausflug ins Publikum, die Band schreit, brüllt, hämmert auf Gitarren, Bässe, Schlagzeug. Es ist ein Fest! Was für eine heiße Band!
Hier spürt man Wut auf die Welt, alles ist laut, bollernd, polternd, böse-bedrohlich, es ist ein kreischendes Fest. Selten war Krach und Geschrei so facettenreich. Man kann sich kaum entscheiden, ob die Bandmitglieder Genies sind oder doch eine Naturgewalt. Sänger Joe Talbot trommelt sich brüllend auf die Brust, die Zuschauer*innen vor der Bühne toben, pogen, wälzen sich im Staub. Fantastisch, die Band hat hier auf jeden Fall neue Fans gewonnen. Idles klingen wie zehn deiner Lieblingsbands - nur eben gleichzeitig abgespielt und dazu noch sehr laut.
Rap und Hip-Hop am Abend
Danach wird es deutlich Rap-lastiger. Auch wenn ich die Idles gerade sehr abgefeiert habe (schaut sie euch an, wenn ihr die Gelegenheit habt!), Hip-Hop zieht aktuell einfach mehr Leute an. Bei der Antilopen Gang inklusive Danger Dan (der hier auch seinen Solo-Nummer "Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt" spielt) stehen die Leute bis zum Horizont. Schon weit vor der Show von K.I.Z positionieren sich vorfreudige Fans vor der Bühne. So gibt es auch frenetischen Jubel, als die Formation aus Berlin mit "VIP In Der Psychiatrie" losballert. Hier wird gefeiert, gehüpft, ausgerastet - also alles, was man von einem guten Hip-Hop-Konzert braucht.
Deichkind lockt die Massen
Angefangen in Kostümen aus Mülltüten sind Deichkind heute wohl die Platzhirsche im deutschen Party-Show-Business. Ihren Ruf als grandioser Live-Abriss-Act samt etlicher Hits pflegt die Band aus Hamburg seit Jahren mit aufwändig-lustigen Inszenierungen - und eben noch mehr Hits. Los geht es dann - Ironie, Ironie - mit dem Song "Keine Party". Viele Leute strömen von K.I.Z rüber zur Hauptbühne, um sich das nicht entgehen zu lassen. Jetzt wird es ganz schön voll.
Zwischenzeitlich muss das Konzert wegen all der Leute sogar unterbrochen werden, zu viele warten auf die Hits wie "Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)". Von weit her schallt auch KitschKrieg - aktuell ebenfalls große Player im Hip-Hop-Geschäft. Das Produzenten-Team hat unter anderem Trettmann groß gemacht (Anspieltipp: "Grauer Beton"). Doch zurück zu Deichkind: Später wird noch ein übergroßes Fass in die Menschenmenge gerollt und selbstverständlich gibt es am Ende auch "Limit" und "Remmidemmi".
Großes Finale mit Twenty One Pilots
Wer jetzt immer noch nicht genug hat, läuft noch rüber zu Twenty One Pilots aus Ohio. Die sind mittlerweile auch ein würdiger Headliner. Ein poppiger Abschluss für den Sonnabend, ebenfalls mit massig Hits wie "Stressed Out" oder "Heathens" im Gepäck. Auch hier wird mit Effekten nicht gegeizt: So gibt es sogar ein Lagerfeuer auf der Bühne und "99 Luftballons" wird gecovert - die Leute sind happy und feiern ausgelassen das letzte Konzert des Tages.
Nur noch ein Tag Hurricane Festival 2022
Das Hurricane 2022 neigt sich auch schon wieder stark dem Ende entgegen. Doch eins nach dem anderen, auch der Sonntag hat viel zu bieten: Blond am frühen Nachmittag kann ich empfehlen. Zeitgleich spielen Royal Blood und Frittenbude, wie auch später leider Thees Uhlmann und Mine, und noch später eben auch die großartigen Hives und Kummer. Letzteren möchte ich eigentlich unbedingt sehen, mal gucken wie ich hier mein Zeitmanagement organisiere. Rise Against danach gehören quasi zum Hurricane-Inventar, großer Abschluss werden dann Kings Of Leon werden. Aber abwarten, vielleicht entdecke ich ja noch etwas anderes. Jetzt geh' ich erstmal kurz schlafen.
Hurricane Festival-Blog 2022 - Tag 2: Heiß, entspannt und wilde Shows
Nach langer Zeit erlebt NDR Musikjournalist Matthes Köppinghoff wieder das Hurricane Festival in Scheeßel. Der zweite Tag war nicht nur durch die Sonne heiß.
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