Die Büste von Richard Wagner des Bildhauers Arno Breker am Grünen Hügel. © picture alliance/dpa | Daniel Vogl
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AUDIO: Service "wie zu Wagners Zeiten": Bayreuths Kartenkrise (9 Min)

Service "wie zu Wagners Zeiten": Bayreuths Kartenkrise

Stand: 24.07.2023 10:35 Uhr

Am Dienstag beginnen die Bayreuther Festspiele - nach wie vor sind noch immer viele Tickets für das Festival zu haben. Teile des Publikums scheinen sich von den Bayreuther Festspielen abzuwenden. Opernkritiker Markus Thiel hat vor 14 Tagen im Interview erklärt, woran dies liegen könnte und was auf dem Grünen Hügel besser laufen muss, damit wieder mehr Zuschauer kommen.

Wenn man früher um diese Jahreszeit Opernfans getroffen hat, erzählten diese häufig mit glänzenden Augen und zitternder Stimme: "Wir haben Karten für Bayreuth." Bekommen haben sie diese entweder über Beziehungen oder nach acht Jahren Wartezeit. Das ist nun vorbei: Für die Festspiele in Bayreuth gibt es noch Karten, auch kurzfristig. In den Feuilletons wird bereits von "Hügel-Dämmerung" und "Kartenkrise" gesprochen. Dazu ein Gespräch mit Opernkenner Markus Thiel, der als Kritiker für den Münchner Merkur schreibt.

Herr Thiel, gibt es eine Krise in Bayreuth?

Markus Thiel: Nein, es ist keine Krise. Ich sehe das als einen guten Schritt in Richtung Normalität. Sie müssen bedenken: Auch andere Festivals sind in einer ähnlichen Situation. Bei den Salzburger Festspielen gibt es auch noch für manche Premieren Karten und in Aix-en-Provence ist es glaube ich ähnlich. Für Bayreuth musste ich auch schon einmal zehn Jahre warten auf eine Karte, das war eine völlig andere Situation. Es hat sich aber schon die letzten Jahre abgezeichnet, dass es nicht mehr so sein wird - und daran ist nicht nur Corona Schuld. Es ist eine allgemeine Entwicklung im Publikumsverhalten, die durch die Pandemie noch befördert wurde. Die Leute sind jetzt flexibler, sie wollen sich nicht mehr festlegen. Sie wollen nicht mehr im September schon wissen müssen, was sie am 10 . April des Folgejahres machen wollen und sollen und müssen und dürfen. Bayreuth ist einfach Teil dieser Entwicklung und man muss Abschied nehmen von der Vorstellung, dass es sofort ausverkauft ist. 

Wie muss das Festival denn reagieren? Ich habe gehört, es gibt in Bayreuth noch nicht einmal eine richtige Marketing-Abteilung. In manchen Konzerthäusern arbeiten dort drei Dutzend Menschen.

Thiel: Das stimmt, es ist ein bisschen handgestrickt. Bayreuth war immer schon ein Familienbetrieb. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass es in Sachen Marketing und PR noch sehr hakt und hinterherhinkt. Ich glaube, man müsste zum Beispiel das Verfahren vereinfachen. Ich habe in diesem Jahr eine Kaufkarte bestellt und dann eine Zusage bekommen. Da hieß es: Die muss ich personalisieren, indem ich wieder etwas zurückschicke. Und dann kriege ich diese Karte wiederum personalisiert zurückgeschickt. Es ist ein bisschen wie zu Wagners Zeiten, wie dort mit solchen Sachen umgegangen wird. Obwohl es bereits eine Homepage gibt, die leidlich funktioniert, sollte man die Dinge verschlanken und direkter machen.  

Als konkrete Maßnahme gegen leere Plätze könnte man ja auch günstigere Karten abends herausgeben für Studenten. Bleibt natürlich die Frage, ob man relativ kurzfristig zum Hügel fährt. Aber vielleicht könnte man Extra-Kontingente einrichten für Kurzentschlossene, die vielleicht etwas günstiger sind. Man muss schon dazusagen: Die Preise sind deutlich angestiegen in Bayreuth. Mittlerweile zahlen Sie für den teuersten Platz in der Premieren-Kategorie 459 Euro!

Die Sommer werden ja auch in Bayreuth immer heißer. Und es ist ja bekannt, dass heiße Tage im Festspielhaus besonders anstrengend sind. Kann es nicht auch sein, dass die Menschen darauf wenig Lust haben? 

Thiel: Das glaube ich nicht. Dieses gemeinsame Schwitzen gehört so ein bisschen zu  diesem Erlebnis Bayreuth dazu. Es mag sein, dass die Sommer heißer werden. Aber ich fahre seit fast 25 Jahren hin und kann mich nicht erinnern, dass es in der Eröffnungswoche jemals kalt gewesen wäre oder kühler. Es waren immer um die 25 bis 35 Grad. Das kann man einigermaßen erdulden und für mich gehört das zu diesem Erlebnis dazu. Was eher der Fall sein wird, ist, dass die Leute vielleicht nicht mehr für eine ganze Woche kommen wollen - Stichwort Ring-Premiere dieses Jahr. Das sind ja vier Opern verteilt auf eine knappe Woche. Vielleicht sollte Bayreuth auch hier reagieren, indem diese Ring-Opern auch einzeln abgegeben werden. Dass man einfach nur eine Nacht oben bleibt am Hügel. Denn man muss sagen: Auch die Hotelpreise sind ziemlich angestiegen . 

Katharina Wagner wird vorgeworfen, dass sie gern experimentiert und gewagte Inszenierung auf die Bühne bringen möchte. Gibt es dafür ein Publikum, das daran wirklich Interesse hat?

Thiel: Ich glaube schon. Diese gewagten Inszenierungen gab es ja schon immer. Man darf Bayreuth jetzt nicht unbedingt mit den Inszenierungen von ihrem Vater Wolfgang Wagner verwechseln. Der "Tristan" von Roland Schwab, der momentan noch läuft, ist eine sehr bildkräftige Angelegenheit, die aber nicht sonderlich avanciert ist, sage ich jetzt mal ein bisschen böse. Diese Wagnisse gab es schon immer: Hans Neuenfels' "Lohengrin", Schlingensiefs "Parsifal" - und nach dem ersten Erschrecken sind viele von diesen Produktionen richtig verklärt worden, sie wurden dann auch Kult. Oder auch der "Tannhäuser" jetzt von Tobias Kratzer, der sicherlich nichts für die orthodoxen Hügel-Gänger ist: Der hat 1A-Verkaufszahlen in diesem Jahr und läuft wirklich sehr gut. Etwas Neues aus Richard Wagners Werk zu erschaffen war in Bayreuth schon immer Programm, und das wird auch so weitergehen. 

Katharina Wagner hat Pech, denn sie hat besondere Regisseure verpflichten wollen, wie Lars von Trier für den "Ring" vor einiger Zeit. Der hat dann abgesagt. Und es sind ja auch ein, zwei andere Sachen passiert. Aber prinzipiell muss man sagen: Sie tut genau das, was eine Intendantin tun muss, wenn sie mit einem festgefügten Werke-Kanon zurechtkommen muss. Das heißt, Sie müssen diese Werke immer wieder einer neuen, aktuellen Lesart unterziehen.

Das tut jetzt auch Jay Scheib mit seiner "Parsifal"-Inszenierung, bei der Augmented-Reality-Brillen erteilt werden - allerdings nur für 330 Menschen, die anderen haben keine. Das klingt ein bisschen unfertig . 

Thiel: Das stimmt, das ist sehr unfertig. Das war auch ganz anders geplant. Unter dem vorherigen Geschäftsführer in Bayreuth, unter dem kaufmännischen Geschäftsführer Holger von Berg, gab es Modellrechnungen, die 2.000 Brillen hätten anschaffen sollen, für das gesamte Publikum. Das ist eine Kostenfrage. Man muss auch sagen: Es gibt am Hügel eine Kluft zwischen Katharina Wagner und ihrem sehr avancierten Programm und den Traditionalisten, zu denen die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, also die Förderer, und der aktuelle Geschäftsführer gehören. Da gibt es einfach verschiedene Bestrebungen. Katharina Wagner konnte sich gegen vieles nicht durchsetzen, konnte auch nicht genug Geld locker machen. Die 330 Brillen sind jetzt ein erster Versuch in diesem ersten Jahr für den “Parsifal”. Ich habe letzte Woche mit Jay Scheib gesprochen. Er hofft, dass 2024 mindestens doppelt so viele Brillen zur Verfügung stehen werden. Und er hat einen ganz interessanten Gedankengang ausgesprochen: Er glaubt, dass in wenigen Jahren viele Leute ihre eigene AR-Brille mitbringen. Diese Entwicklung wird sich so schnell fortsetzen, gerade auch beim jüngeren Publikum, dass viele Hürden, wie etwa, dass man den Bayreuther Festspielen seine Dioptrien durchgeben muss, wegfallen werden. Man wird mit der eigenen Brille auf den Hügel reisen.

Mit Christian Thielemann, einem der besten Wagner-Dirigenten, hat sich Katharina Wagner überworfen. Es sei auch sehr schwer, mit ihm zu arbeiten, hörte man. Gleichzeitig gibt es im Moment aber auch viele Absagen in Titelpartien. Ist das einfach Pech - oder womit hängt das zusammen? 

Thiel: Bei den Rollen ist es Pech. Es haben jetzt ein halbes Dutzend Sänger und Sängerinnen abgesagt in dieser Saison zum Teil. Zum Teil sind dies sehr prominente Sänger. Man muss dazu sagen, dass Katharina Wagner immer wieder einen sehr starken und sehr prominenten Ersatz gefunden hat. John Lundgren hat bekanntlich den "Fliegenden Holländer" abgegeben. Dafür ist jetzt Michael Volle gekommen, für mich der momentan beste Heldenbariton, der auf dem Markt zu haben ist. Die aktuellste Absage ist Joseph Calleja, der in der Neuproduktion des "Parsifals" die Titelpartie singen sollte. Er hat wegen einer Halsentzündung abgesagt. Für ihn kommt jetzt Andreas Schager, der bereits als Siegfried auf dem Hügel aktiv ist. Das sind jetzt keine B- und C-Klassen-Ersatzlösungen, die Katharina Wagner da bringt. 

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Bei Christian Thielemann muss man sagen: Das ist wirklich ein Problem. Da gibt es eine Kluft und vielleicht auch ein Zerwürfnis zwischen beiden. Ich finde es schade, dass er nicht mehr dirigiert in Bayreuth.  Der "Lohengrin" war für mich letztes Jahr ein großer Höhepunkt der Festspiele. Er ist der Dirigent, der am besten zurechtkommt mit der Akustik dort. Er ist natürlich schwer einzubauen, wie bei jedem anderen Orchester und Opernhaus, wo er tätig war. Er ist ein sehr besonderer, eigensinniger Mensch, aber immer noch der beste Wagner-Dirigent. Er befriedigt auch die Traditionalisten, die immer wieder nach Bayreuth kommen. Die sagen: Wir möchten Thielemann hören. Viele Orchester-Musikerinnen und -Musiker sind auch nur wegen Thielemann nach Bayreuth gekommen, weil man einfach mal unter ihm Wagner spielen wollte.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott am 10. Juli 2023

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 10.07.2023 | 16:14 Uhr

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