Plastik im Meer: Hamburgerin provoziert mit Aktionskunst
Die Hamburger Konzeptkünstlerin Swaantje Güntzel macht mit ihren Bildern und Aktionen auf die Vermüllung der Meere aufmerksam. Sie stellt die unbequeme Frage, wie unsere Liebe zur Natur mit unserem Konsumverhalten zusammenpasst.
Swaantje Güntzel provoziert: Die Konzeptkünstlerin aus Hamburg wirft in einer Art Ritual Plastikmüll in die Umwelt. Mit ihren Performances erntet sie oft heftige Reaktionen, wird beschimpft und sogar angegriffen. Dabei handelt es sich um Plastikmüll, den sie zuvor im Wasser gefunden hat und den sie nach ihren Performances auch immer wieder einsammelt.
Schätzungen zufolge befinden sich 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen der Erde. Welche Ideen und Konzepte könnten helfen, um die Meere sauberer zu machen? Lars Gutow, Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung in Bremerhaven betont, es gehe nicht darum, Kunststoff zu verteufeln. Kunststoff ist ein wichtiger Wertstoff für Industrie, Lebensmittelbranche, Hygiene oder Medizin - und ohne Kunststoffe wäre unser Lebensstandard gar nicht denkbar. Aber das globale Müllproblem wächst. Die Bilder von verdreckten Stränden, Müllstrudeln im Meer und verendenden Tieren kennen wir alle. Die Corona-Krise hat das Problem noch mal verschärft: noch mehr Verpackungen, noch mehr To-Go-Becher, noch mehr Plastikmüll.
Kunst und Wissenschaft gegen die Vermüllung der Meere
Swaantje Güntzel will mit ihren Aktionen unser Verhältnis zu Plastik und Müll sichtbar machen und unserer Wegwerfgesellschaft den Spiegel vorhalten. In ihren Werken setzt sie Plastik-Ramsch in Szene und stellt unbequeme Fragen: Wie passt unsere Liebe zur Natur mit unserem Konsumverhalten zusammen? Ein kitschiges Ölgemälde vom Meer: erst beim näheren Hinsehen zeigt sich, dass auf den Schaumkronen Mikroplastik schwimmt. Geschreddertes Plastik von Überraschungseiern, die nach einer Containerschiff-Havarie vor den Ostfriesischen Inseln angeschwemmt wurden.
Swaantje Güntzel arbeitet oft mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen - unter anderem auch mit Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, die mit dem Forschungsschiff "Polarstern" in der Arktis unterwegs ist. Die Künstlerin verarbeitet zum Beispiel Fotos von Plastiktütenresten in der arktischen Tiefsee, die sie beklebt. Besonders verstörend sind ihre Arbeiten mit Spielzeugfigürchen, die aus den Mägen verendeter Albatrosse stammen. "Eigentlich produziert man diese Dinge, um Menschen glücklich zu machen oder um Kinder zu unterhalten", sagt Swaantje Güntzel. "Dass sie dann aber ausgerechnet in den Mägen von Albatrosküken wiedergefunden werden, die diese Spielzeuge oder diese restlichen Fragmente von ihren Eltern verfüttert bekommen haben, ist einfach total tragisch und sagt viel darüber aus, wie wir sind und in welcher Rolle wir uns in dieser Natur sehen."
Die Menge an Mikroplastik wird künftig zunehmen
"Wir finden es mittlerweile überall", sagt Meeresbiologe Lars Gutow über Mikroplastik. Am Grund der Tiefsee und im Schnee der Arktis, auf einsamen Atollen - selbst dort, wo Menschen gar nicht hinkommen. Plastikmüll, zerrieben von Wind und Wellen zu winzigen, unter fünf Millimeter kleinen Teilchen. Die Folgen für Umwelt, Tiere und Menschen sind heute noch gar nicht klar, aber am Alfred-Wegener-Institut forscht Gutow an den Auswirkungen auf Meeresorganismen. "Was wir wissen, ist, dass die Menge des Mikroplastiks in der Umwelt zunehmen wird, selbst wenn wir jetzt jeglichen Eintrag von Kunststoffmüll in die Umwelt stoppen würden. Der Kunststoff, der bereits in der Umwelt ist, wird sich weiter zersetzen zu Mikroplastik. Und dadurch wird die Konzentration von Mikroplastik unweigerlich zunehmen in der Umwelt."
Recyceln - aber richtig
Der Mensch sei das einzige Lebewesen, das Abfall produziert, sagt Michael Braungart, Professor für Ökodesign in Lüneburg. "Wir sind also dümmer als andere Lebewesen, denn in einem begrenzten System wie der Erde Abfälle zu produzieren, bedeutet, dass wir unser eigenes Ende vorbereiten. Die Natur kennt keine Abfälle, dort ist alles Nährstoff, und deshalb müssen wir von der Natur lernen, dass eben alles, was wir machen, nützlich ist für Kreisläufe."
Michael Braungart ist Chemiker und Ökodesigner und hat das "Cradle to Cradle"-Prinzip erfunden - ein Konzept für eine Kreislaufwirtschaft, in der alle Stoffe wiederverwendet oder biologisch abgebaut werden können. Auch Plastik wäre kein Problem - wenn es hochwertig und wiederverwertbar wäre. "Es gibt gute Gründe, Plastik einzusetzen in bestimmten Bereichen. Aber es ist das falsche Plastik. So, wie Plastik jetzt ist, ist es die Pest des Jahrhunderts." In einem Supermarkt hat Braungart Verpackungen untersucht. "Da werden allein für Verpackungen 52 verschiedene Plastiksorten verwendet. Da ist nichts mit Recycling, überhaupt nicht. Das ist eine große Lüge."
Plastikmüll reduzieren reicht nicht
Auch Mikroplastik ist ein Reizthema für Michael Braungart. Ein Großteil stammt von Autoreifen-Abrieb und Fahrbahnbeschichtungen. Auch der neue Schriftzug der Fridays for Future-Bewegung auf einer Straße in der Hamburger Innenstadt ärgert ihn. Gut gemeint, aber schlecht gemacht. "Ich unterstütze Fridays For Future und finde es wirklich gut, dass die jungen Leute protestieren. Aber die Farbe ist natürlich mit Mikroplastik drauf. Nur dadurch bleibt sie ja fest. Aber sie reibt sich ab und fast zehn Prozent von Mikroplastik sind Fahrbahnmarkierungen oder eben Abrieb. Und darum ist das natürlich nicht unbedingt toll." Braungart fordert ein radikales Umdenken. Plastikmüll reduzieren - das reicht nicht aus. Wir sollten gar keinen Müll mehr produzieren. Alles Material sollte kreislauffähig sein. Und so forscht Braungart an biologisch abbaubaren Verpackungen und Textilien. Für eine Welt ohne Plastikmüll.