Das Friedericianum in Kassel unter wolkenverhangenem Himmel. © dpa Bildfunk Foto: Swen Pförtner

Das documenta-Debakel: Anhörung im Kulturausschuss

Stand: 07.07.2022 08:34 Uhr

Der Kulturausschuss des Bundestags hat sich mit dem Streit um antisemitische Motive in dem Banner "People's Justice" beschäftigt. Doch ein Teil der Verantwortlichen in Kassel erschien nicht zu der Sitzung.

von Barbara Kostolnik

"Kunst ist nicht streitfrei zu haben", sagte der Bundespräsident, als er die documenta fifteen in Kassel eröffnete. Selten aber hat eine documenta so viel Streit gesehen. Entzündet hat sich alles an dem Banner "People's Justice", das von dem indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi gemalt wurde, und in dem offen antisemitische Motive gezeigt wurden. Das Banner, ein Triptichon, wurde erst verhängt, dann abgehängt, und nun hat sich auch der Kulturausschuss des Bundestags damit beschäftigt. Der Bundestag wird sich heute ebenfalls in einer Debatte mit dem Thema beschäftigen.

Kulturausschuss ohne documenta-Direktorin Schormann

Die wichtigsten Figuren waren jedoch gar nicht erst erschienen. Sabine Schormann, Generaldirektorin der Ausstellung, konnte nicht zur Anhörung kommen, sie ist erkrankt. Auch der Oberbürgermeister von Kassel, Christian Geselle, Aufsichtsratsvorsitzender der documenta, schaffte es nicht an die Spree - wegen Terminproblemen. Sehr zum Verdruss von Erhard Grundl, dem Sprecher für Kulturpolitik von Bündnis90/Die Grünen. "Die Verantwortung liegt in Kassel, nur die Verantwortlichen sind nicht da. Das ist eine grobe Missachtung aller Beteiligten, eine Verkennung der Situation und eine eklatante Fehleinschätzung des entstandenen Schadens", sagt Grundl.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth: "erschüttert und entsetzt"

Der Schaden ist groß. Das gibt auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu Protokoll: Dass auf der documenta ein antisemitisches Bild aufgestellt wurde, hat uns alle erschüttert und entsetzt. Manche stellen sich sogar die Frage, ob wir aus der Vergangenheit gelernt haben und ob bei uns wirklich kein Raum für Antisemitismus sei." Auch Roth sieht ein Versagen bei der Planung und Durchführung der documenta. Den documenta-Verantwortlichen wirft sie Wortbruch vor, weil ihr versichert worden war, auf der documenta sei für Antisemitismus kein Platz.

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Hände zurren das schwarze Tuch über dem Großgemälde "People’s Justice" (2002) mit den umstrittenen Figuren des Kollektivs Taring Padi fest. © picture alliance/dpa Foto: Uwe Zucchi

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Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland, wird noch deutlicher. Er spricht von einem Scherbenhaufen: "Eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen antisemitischen Ressentiments kann unangenehm und mitunter schmerzhaft sein. Zu einer derartigen Auseinandersetzung war und ist in Kassel niemand bereit, von den Kuratoren und Künstlern ganz zu schweigen, die sich hinter ihrem amorphen Status als Kollektiv verstecken."

Dezentralisierte Rolle der künstlerischen documenta-Leitung als Risiko

Das Kollektiv ruangrupa immerhin, das die Ausstellung kuratiert hat, versteckte sich nicht und kam in Gestalt von Ade Darmawan zur Anhörung. Darmawan entschuldigte sich für Verletzungen und Ängste, die das Banner ausgelöst habe - und er versuchte eine Erklärung, die seine Übersetzerin vortrug: "Es gab leider praktische Probleme beim Aufbau des Gerüstes und auch beim Material des Banners, sodass dieses Banner noch nicht in der Preview zu sehen war. Das Material war brüchig, sodass es repariert werden musste und somit erst mit der Eröffnung sichtbar war."

Aber auch in der Struktur des Kollektivs könnte eine Erklärung gefunden werden. Ruangrupa lehnen Autoritäten aus traumatischen geschichtlichen Erfahrungen heraus ab. Dazu erläutert Darmawan: "Mit allen, mit denen wir zusammenarbeiten und die in diesem Prozess beteiligt sind, haben wir versucht, die Rolle der künstlerischen Leitung der documenta fifteen zu dezentralisieren. Wir wissen, dass das ein Risiko ist. Wir sind es aber bewusst eingegangen, da unserer Auffassung nach Fehler immer auch Lernmomente in sich bergen können."

documenta-Aufsichtsrat geht in die Analyse

Die Lernmomente werden jetzt verstärkt einsetzen: Generaldirektorin Schormann, die nicht die künstlerische Verantwortung trägt, hat einen Fragenkatalog beantwortet, der documenta-Aufsichtsrat wird sich kommende Woche damit beschäftigen, wie es zu all dem kommen konnte. Die stellvertretende Aufsichtsrats-Vorsitzende, Hessens Kunstministerin Angela Dorn, will eine ehrliche Analyse. Im Herbst will man dann weitere Konsequenzen erörtern, um künftige Schatten von der documenta abzuwenden. Ganz sicher aber wird es auch um die künftige Finanzierung gehen. Claudia Roth macht keinen Hehl daraus: Wenn es keine Strukturreform der documenta gibt, also wenn der Bund nicht deutlich mehr mitreden darf, dann wird aus Berlin auch kein Geld mehr nach Kassel fließen.

Künstlergruppe Taring Padi entschuldigt sich für antisemitisches Bild

Das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi hat sich unterdessen für antisemitische Motive auf seinem Banner "People’s Justice" entschuldigt. Im Interview mit der "Zeit" räumten die zu der Gruppe gehörenden Künstler Fitri Dwi Kurniasih, Muhammad Yusuf, Sri Maryanto und Alexander Supartono einen Fehler ein: "Wir entschuldigen uns dafür. Auch für die Verletzungen, die diese Karikaturen angerichtet haben."

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Ein leeres Stahlgerüst, an dem das Großbanner "People’s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi zu sehen war, steht auf dem Friedrichsplatz. Die documenta fifteen sieht sich mit einem Antisemitismus-Eklat konfrontiert. © picture alliance/dpa | Uwe Zucchi Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 07.07.2022 | 08:15 Uhr

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