Ein Fotograf fotografiert Iris Berben, Ruben Östlund und Sunnyi Melles © Screenshot
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AUDIO: Filmtipp "Triangle of Sadness" (4 Min)

Ruben Östlund: "Brecht ist eine große Quelle der Inspiration"

Stand: 30.10.2022 10:59 Uhr

Seit dem 13. Oktober läuft Ruben Östlunds Film "Triangle of Sadness" im Kino. Beim Filmfest Hamburg hat der schwedische Regisseur und Drehbuchautor mit NDR Kultur über die Satire gesprochen.

Zwei Mal hat Ruben Östlund in Cannes eine Goldene Palme geholt: 2017 mit "The Square" und 2022 mit "Triangle of Sadness". Beide Male unterstützte die Moin Filmförderung die Filme. Bei der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest Hamburg sprach der schwedische Regisseur und Autor am 2. Oktober mit NDR Kultur.

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Sie stellen Ihren Film bei der Deutschlandpremiere in Hamburg im Cinemaxx-Kino am Dammtor vor. Die Stadt, aus der Ihre Frau Sina Östlund stammt, die als Modefotografin mit zur Idee von "Triangle of Sadness" beigetragen hat. Wo in Hamburg ist die Idee zum Film entstanden?

Der schwedische Regisseur Ruben Östlund beim Filmfest Hamburg zur Deutschlandpremiere seines Cannes-Siegers "Triangle of Sadness" © C. Tamcke / Future Image Foto: C. Tamcke
Der 48-jährige schwedische Regisseur und Autor Ruben Östlund stellte beim Filmfest Hamburg in der Deutschlandpremiere seinen Cannes-Sieger "Triangle of Sadness" vor.

Ruben Östlund: Wir haben hier ganz in der Nähe vom Dammtor gewohnt, in der Schlüterstraße. Wir haben damals sehr viele Stunden in der Küche meiner jetzigen Ehefrau Sina verbracht und über den Inhalt dieses Filmes gesprochen. Wir hatten viel Spaß dabei, mit den Ideen für den Film herumzuspielen. Dass der Film in der Modeszene angesiedelt ist, kommt daher, dass sie Modefotografin ist: Als ich sie vor acht Jahren kennenlernte, wollte ich alles über ihren Beruf erfahren. Sie hat einen großen Anteil an diesem Film.

Was meinen Sie, wie die Modebranche auf den Film reagiert? Ihr satirischer Blick darauf ist voller schwarzem Humor - und haut ordentlich auf die Pauke.

Östlund: Am Abend kommen viele Freunde aus der Fashion-Szene meiner Frau Sina zur Premiere. Ich hoffe, die mögen ihn. Aber ich habe einfach einen verhaltenspsychologischen Blick auf die Milieus, die ich in meinen Filmen beschreibe. Wenn ich über die Modebranche spreche, schaue ich aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel darauf. Die Kunstwelt hat sich wahrscheinlich über gewisse Aspekte meines letzten Filmes über die Kunstwelt in "The Square" aufgeregt. Ich bin mir sicher, dass sich die Modewelt über gewisse Dinge in "Triangle of Sadness" ärgern wird.

Irgendwann gehen Ihnen die Bereiche der Künste für Ihre Filme aus.

Östlund: Ja, genau. Ich habe schon Witze darüber gemacht, dass ich beim nächsten Film die PR-Agenturen für Filme aufs Korn nehmen werde. Wenn ich jemals einen Film über die Kinobranche mache, wird die Hauptperson in einer PR-Agentur arbeiten. Sie arbeiten mit den Medien, und so könnte ich aus deren Blickwinkel die Medien ins Visier nehmen. Das könnte spannend werden!

Oh, das klingt nach einer Drohung!

Östlund: Genau! (lacht laut)

Sie könnten locker Blockbuster-Filme drehen, bringen das Publikum mit Ihren Filmen immer laut zum Lachen. Ihre Szenen gehen aber immer weiter. Nämlich dahin, wo es wehtut. Warum?

Östlund: Jemand hat gesagt, dass ich eine Mischung aus Michael Haneke und Larry David sei - der Schöpfer der US-Serie "Seinfeld". Mir gefällt dieser Vergleich. Ich bewundere Michael Haneke, wie er die Dinge im Kino verhandelt. Er bewirkt mit seinen Filmen, dass ich immer wieder gezwungen bin, über meine eigenen Verhaltensweisen nachzudenken. Er präsentiert mir nie Verhaltensweisen, die quasi richtig oder falsch sind. Er zeigt Dilemmata und seine Figuren kämpfen mit diesen Dilemmata.

Ich mache das genauso. Mich hat die europäische Kinotradition mehr beeinflusst als die US-amerikanische. Dennoch liebe ich gleichzeitig die Qualität von Figurenkonstellationen und Dialogen aus einer US-Show wie "Seinfeld".

Bertolt Brecht war übrigens auch eine große Quelle der Inspiration mit seinem Humor. Ursprünglich hatte Iris Berbens Rolle sogar die Zeile "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" im Drehbuch. Ich habe es dann aber herausgenommen, weil sie aufgrund einer Erkrankung nur eine Zeile im Film sagen kann, nämlich: "in den Wolken".

Ist das also die Definition Ihres Kinos, einen Dialog mit dem Publikum zu provozieren? Ich kann da eben nicht ruhig im Kinosaal sitzen und nicht auf Ihre Szenen reagieren. Entspanntes Zuschauen ist bei Ihrem Kino Fehlanzeige!

Der schwedische Regisseur Ruben Östlund mit den Schauspielerinnen Iris Berben (links) und Sunny Melles (r.) beim Filmfest Hamburg zur Deutschlandpremiere seines Cannes-Siegers "Triangle of Sadness" © C. Tamcke / Future Image Foto: C. Tamcke
Ruben Östlund kam mit seinen Schauspielerinnen Iris Berben (links) und Sunny Melles (rechts) zur Deutschlandpremiere seines Cannes-Siegers "Triangle of Sadness".

Östlund: Zu 100 Prozent, genau das! Für mich ist Filmemachen wie ein Dialog. Nehmen wir an, wir sitzen beim Abendessen und sprechen über die Gesellschaft. Wenn jeder Ihnen zustimmt, ist es eigentlich sinnlos, eine Debatte zu führen, oder nicht? Ich versuche also bei konkreten Themen einen Aspekt herauszupicken, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich nicht komplett mit dem Konsens der Gesellschaft zum Thema übereinstimme. Dann versuche ich, eine Reihe von Fragen im Film zu kondensieren - die Ideen, mit denen ich nicht übereinstimme. Um das Publikum dazu zu provozieren, sich Fragen zu stellen. Ich finde, das macht großartige Filmen aus.

Genießen Sie es also besonders, bei Filmfesten wie in Cannes oder wie jetzt hier in Hamburg bei der Vorführung im Publikum zu sitzen und die Reaktionen zu beobachten? Ist das kulturell unterschiedlich, worauf die Zuschauer*innen etwa nun bei "Triangle of Sadness" am lautesten reagieren?

Östlund: Stimmt, das mache ich gern. Die Reaktionen fallen in allen Ländern allerdings bislang ähnlich aus. Es gibt eine Szene, wo die Reinigungshilfe der Luxusyacht, auf der ein Großteil des Filmes spielt, an Land die Macht übernimmt. Sie sagt: "Auf der Yacht war ich Putzhilfe, aber hier bin ich Kapitänin". Bislang hat in allen Vorführungen, bei denen ich dabei war, das Publikum stark auf diese Szene reagiert. In vielen haben die Leute sogar geklatscht. Als ob viele sich wünschten, dass die Angestellten der Luxusyacht einmal die Chefs sein sollten. Dabei ist es ja vor allem Mittelklassepublikum, dass ins Kino geht. Dennoch: Wir lieben es anscheinend, wenn diese Angestellten ihre Rache kriegen (lacht).

Hamburg hat doch diesen Stadtteil Blankenese mit vielen Millionären, und Hamburg ist eine wohlhabende Stadt - ich lege mich also mit einer reichen Stadt in "Triangle of Sadness" an. Mal sehen, wie die Reaktionen ausfallen! Abgesehen davon: Was sollen wir denn von extrem reichen Menschen erwarten: Dass Sie all ihren Reichtum verschenken? Das ist nicht realistisch. Ich finde: Zahlt doch einfach Steuern!

Sie haben vorhin den österreichischen Filmemacher Michael Haneke erwähnt. Er ist der Einzige vor Ihnen, der in Cannes zwei Mal in Folge mit Filmen die Goldene Palme gewonnen hat. Was für eine Verantwortung liegt nun auf Ihnen als Filmemacher mit diesen zwei Palmen?

Östlund: Die erste Palme zu schultern war schwieriger als die zweite. Eine Jury kann sich irren und dir die Goldene Palme für etwas geben, wofür du es nicht zu 100 Prozent verdienst. Aber wenn du eine zweite Palme kriegst, gibst du der ersten Jury noch einmal Recht. Das fühlt sich also gut an. Ich bin nicht mehr jung, die Palmen erhalte ich also nicht am Anfang meiner Karriere. Ich habe gelernt, wie meine Herangehensweise an meine Filme ist. Wie ich gern arbeite. Aber ich habe ja noch mindestens 30 Jahre vor mir. Ich habe das Gefühl, ich halte jetzt die Fackel hoch, habe die Verantwortung, die Filmkunst weiter zu entwickeln und für das Kino zu kämpfen.

Was haben Sie als nächstes geplant, was haben Sie im Köcher?

Östlund: Mein nächster Film "The Entertainment System is Down" bearbeitet wieder einen soziologischen Aspekt. Er findet auf einem Langstreckenflug statt. Dort heißt es kurz nach dem Abheben in der Crew-Durchsage, dass das Unterhaltungssystem auf den Bildschirmen nicht funktioniert. Die Insassen sind also dazu verdammt, 15 Stunden ohne digitale Ablenkung zu verbringen.

Ich hatte von einem soziologischen Test gehört, in dem Testpersonen gebeten wurden, für eine Zeit lang in einem Raum nichts zu tun. Sie wussten nicht, wie lang das gehen würde. Die Leute sagten, es sei schrecklich gewesen. Dann wurde eine Möglichkeit gegeben, sich als Ablenkung einen kleinen elektrischen Schock zu verpassen: harmlos, aber schmerzhaft. Mehr als 40 Prozent der Testpersonen nutzen diese Möglichkeit, um sich nicht mit ihren eigenen grässlichen Gedanken zu beschäftigen! Das sagt etwas über unsere Dopaminausstöße aus, wenn wir auf unsere Smartphones und Tablets schauen.

Es wird sehr interessant, in meinem neuen Film mehr über dieses Setup zu erforschen. Wahrscheinlich baue ich eine vierminütige Szene darin ein, in der absolut nichts geschieht, kein Dialog, keine Action. Das wird für viele im Publikum bestimmt ein Horrortrip. Stellen Sie sich das mal in Cannes vor, wie die Leute im Publikum verzweifelt auf ihre Smartphones schauen.

Das Gespräch führte Patricia Batlle.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal 18:00 Uhr | 12.10.2022 | 07:55 Uhr

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