Charly Hübner vor einem Plakat für den Film "Mittagsstunde" © NDR Foto: Lornz Lorenzen

Charly Hübner über den Filmdreh von "Mittagsstunde" auf Platt

Stand: 31.08.2022 18:03 Uhr

Am 22. September kommt mit "Mittagsstunde" die Verfilmung des Romans von Dörte Hansen in die Kinos. Charly Hübner spielt darin Ingwer Feddersen. Ein Gespräch über den Dreh auf Platt- und Hochdeutsch.

Im Interview spricht der Schauspieler Charly Hübner über seine ländliche Herkunft sowie die Dreharbeiten auf Platt- und Hochdeutsch in der Literaturverfilmung des Erfolgsromans "Mittagsstunde" von Dörte Hansen. Er gibt zu, ein großer Freund des Mittagsschlafes, der Siesta zu sein und erzählt, dass er die Vorbehalte gegenüber den Leuten vom Land bei Städtern kennt. Sein Ingwer Feddersen sei "ein sturer Hund und wenn ein Stein erstmal anfängt zu rollen, dann rollt er."

Sie sind im Landkreis Neustrelitz aufgewachsen, Jahrgang 1972. Kennen Sie so eine klassische Mittagsstunde aus Ihrer Kindheit? Oder kennen Sie den Mittagsschlaf, so wie Dörte Hansen ihn in ihrem Buch beschrieben hat? 

Charly Hübner: Ich kenne den Mittagsschlaf, die Mittagsstunde, die Siesta - und bin wirklich ein großer Freund davon. Nach dem Mittag wurde sich hingelegt. Es gab immer den Spruch: "Nach dem Mittag sollst du ruhen oder tausend Schritte tun." Und meine Mutter hat immer gesagt: "Nach dem Mittag sollst du ruhen und dann tausend Schritte tun." So haben wir das gemacht. 

Gab es Restriktionen, wenn man die Mittagsstunde der Eltern störte?

Hübner: Nein, dafür waren die viel zu erschöpft und der Schlaf war sehr tief (lacht). Später, im Alter zwischen 14 und 17, gab es dann ja zum Glück den Walkman.

Wie leicht oder schwer fiel es Ihnen, sich in die Rolle des Universitätsdozenten Ingwer Feddersen hineinzuversetzen, der nach Jahrzehnten in der Stadt zu seinen Großeltern in die dörfliche Heimat zurückkehrt? Da gibt es ja einerseits dieses Stadt-Land Ding, die Dorfleute nehmen einen nicht mehr ernst. Andererseits rümpfen Stadtleute gern mal die Nase, wenn so ein Landei in die Metropole kommt. Gibt es da Ähnlichkeiten zu Ihnen?  

Hübner: Ich habe das so nicht erlebt, sondern eher auf der Ost-West-Ebene. Als ich in Frankfurt am Main war und dann nach Hause bin, war ich immer der "assimilierte Wessi". 

In der Rolle des Ingwer Feddersen sind die Ressentiments aber doch zu spüren, also in beide Richtungen.

Charly Hübner sitzt beim Interview dem NDR Redakteur Lornz Lorenzen gegenüber. © NDR Foto: Lornz Lorenzen
Charly Hübner beim Interview mit dem NDR. Redakteur Lornz Lorenzen (links): "Es war ein heißer Sommertag, man wollte eine kurze Hose anziehen - und Charly Hübner hat's einfach gemacht."

Hübner: Das gab es in der Welt, in der ich groß geworden bin, nicht so, dass über Jahrhunderte der Kröger immer der Kröger war. Das hat mit den Verwerfungen des Zweiten Weltkrieges zu tun. In  der ehemaligen DDR haben dann die Geschichtsläufe eine ganz andere Richtung genommen.

Der Eingriff in die wirtschaftlichen Strukturen war auch viel stärker. Dieses: "Wir sind seit 500 Jahren Bauern oder Kröger", das hat es bei uns so nicht gegeben. Sondern es war immer klar: Der eine geht studieren, der andere macht eine Berufsausbildung mit Abitur oder eben nur eine Berufsausbildung. 

Das andere, diese Vorbehalte gegenüber den Leuten vom Land, das kenne ich eher - gerade von echten Städtern, da bist du ein Landei. Oder als wir dann hoch sind, nach Rostock, hieß es: "Du bist doch gar kein richtiger Norddeutscher, du kommst vom See. Echte Norddeutsche leben am Meer". Das ist natürlich auch Spaß.

Ingwer Feddersen kehrt in "Mittagsstunde" zurück zu den Großeltern. Er kümmert sich die, die sich um ihn aufgezogen haben - und hat Schuldgefühle, weil er die Gastwirtschaft nicht übernommen hat. Konnten Sie sich da hineinfühlen, aufs eigene Gefühlsregister zuzugreifen? 

Hübner: Ich selbst bin nicht in die Situation gekommen, weil sich das biografisch bei mir anders verhält. Aber bei Ingwer war es so: Er hat eine ganz klare Empfindung an dem Tag, als er mit 18 diese Teller serviert und sagt, dass er nach Kiel zum Studieren geht. 

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Da ist eine Schuldempfindung, so wie wenn andere jemandem den Schädel einschlagen oder einen Unfall bauen, bei dem ein Mensch stirbt. So eine Schuldempfindung hat er schon bei "ich verlasse die Tradition" - nicht wissend, dass diese Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich gar keine mehr ist. Denn seine Mutter ist gar nicht die Tochter seines Großvaters. Das erfährt er im Film mit 50. Das ist auch irre: Wo andere eine Midlife-Crisis haben, weil die Lebenspartnerin nicht mehr jung genug erscheint oder der Berufsweg zu langweilig ist, da sagt Ingwer: "Ich bin denen etwas schuldig".

Es gibt eine Szene, da wäscht Ingwer seinem alten Großvater, gespielt von Peter Franke, in der Badewanne den Rücken. War das eine Herausforderung das zu spielen, auch das Anfassen des anderen?  

Hübner: Nein, für mich nicht, weil ich dachte, das nimmt Ingwer sich jetzt einfach pragmatisch vor. Auch mit Muddern auf der Toilette: "Ja Mensch, das ist jetzt so". Er hat sich das vorgenommen. Er ist ein sturer Hund und wenn ein Stein erstmal anfängt zu rollen, dann rollt er. Warum soll man anfangen zu rollen, wenn man gleich wieder liegen bleiben will. Ingwer Feddersen ist für mich am Anfang ein Stein. Dass er dann eine zarte Maus ist am Ende, ist ja doll, das macht aber der Film. Er sagt, jetzt setze ich mich mal in Bewegung, und dann ist das wie eine Dampfwalze. Ob dann die Großmutter inkontinent ist oder der Vater blaue Flecken hat, das wird einkassiert. Nach einem halben Jahr merkt er: "Da habe ich mir aber ganz schön was vorgenommen".

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Hübner: Also, wenn man das Buch zweimal liest, findest du diese Stellen. Sie beschreibt ihn sehr konkret. Er schwebt ja eigentlich wie ein Geist durch das Buch. Aber dann habe ich irgendwann gesagt: Ich muss das nochmal lesen. Und dann beschreibt sie ihn sehr konkret, zum Beispiel diese Szene mit dem Korb, wo er telefoniert. Dass er da so seine Aggression an Gegenständen auslässt. Aber er bleibt immer verbindlich, weil er nicht gelernt hat, auszuteilen. Für etwas einzustehen wurde ihm nicht beigebracht. 

Das steht alles im Roman. In meinem Exemplar sieht man dann immer so hellgrün markierte Stellen, drei Wörter im Nebensatz - wenn du das dann als durchgehende Linie im Buch erkennst, dann sieht er so ähnlich aus, wie ich. Ich glaube aber, er ist ein bisschen schlanker … 

Dörte Hansen hat im Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk gesagt: "Ich hatte mir so einen ganz schmächtigen Ingwer Feddersen vorgestellt, mit Bart und Brille, eher so verhuscht."

Hübner: Was Dörte Hansen in ihrem Roman beschreibt, ist eine innere Beschreibung der Figur.  Das andere ist eine Vision eines Regisseurs, und ich kann froh sein, dass der Regisseur mich damit in Verbindung setzen wollte. Reines Schauspieler-Glück!

Dörte Hansen war dann ja auch im Nachhinein sehr begeistert, Sie hätten das grandios gemeistert, sagte sie. Was war die größte Herausforderung beim Hineinspielen in die Rolle? 

Hübner: Um im Bild zu bleiben: Hin zu diesem verhuschten Typen mit der Brille zu kommen. Ingwer Feddersen ist nicht in der Lage, etwas zu riskieren, nimmt sich zurück, lässt die Emotionen versickern. Den zu spielen ist für den Tatmenschen Hübner eine echte Herausforderung. Das war der Spaß an der Nummer.

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Viele Dialoge wurden auf Plattdeutsch aufgenommen. Was macht das mit einem?

Hübner: Meine Tanten und Onkel haben alle Mecklenburger Platt gesprochen. Für mich ist das tatsächlich so, wie eine innere Wärme. 

Stimmt es, dass Sie bei den Dreharbeiten zuerst die plattdeutschen Dialoge gespielt haben?  

Hübner: Wir haben an den ersten beiden Drehtagen immer erst einmal Hochdeutsch gespielt, weil das ja so üblich ist und Plattdeutsch sich mittlerweile ja wie eine Fremdsprache anfühlt.

Dann haben Peter Franke und ich gesagt: "Es fühlt sich irgendwie viel richtiger an, zuerst die plattdeutsche Fassung zu drehen." In Dörtes Romanwelt kann man alles kommentieren. In der Filmhandlung nicht. Der Kern der Szene wird klarer, wenn wir Plattdeutsch spielen. Deshalb ist es auch richtig, sie auf Plattdeutsch zu spielen. So lernen wir die Szene besser kennen und dann können wir uns im Hochdeutschen darauf berufen.

Wenn du im Hochdeutschen spielst, dann machst du viel mehr Kapriolen, du hast auch viel mehr Silben. Das war interessant. Manchmal haben wir dann vergessen, die hochdeutsche Variante am Schluss noch drehen. Dann sagte die Regieassistentin: "Leute!" - und zeigte dabei auf die Uhr. Ach ja, da fehlt doch noch etwas!

Also "Plattdeutsch first" in diesem Fall!

Hübner: Ja, total! 

Das Interview führte Lornz Lorenzen.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 27.08.2022 | 19:30 Uhr

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