VIDEO: Trailer: "Club Zero" von Jessica Hausner mit Mia Wasikowska (2 Min)

Film "Club Zero": Jessica Hausner über die Macht der Ideologie

Stand: 28.03.2024 06:00 Uhr

Im Film "Club Zero", jetzt im Kino, unterrichtet eine Lehrerin (Mia Wasikowska) an einem Elite-Internat mit drastischen Folgen das Fach Ernährungsberatung. Es gehe darin vor allem um Radikalisierung und um die Macht des Glaubens, erzählt Regisseurin Jessica Hausner im Interview.

Jessica Hausner hat mit zwei Filmen um die Goldene Palme in Cannes konkurriert, zuerst 2019 mit ihrem englischsprachigen Debüt "Little Joe". Mit dem Horrorfilm war sie die erste Regisseurin und Drehbuchautorin aus Österreich, die am Wettbewerb in Cannes teilnahm. 2021 saß sie selbst dort in der Wettbewerbsjury. Seit 2020 unterrichtet die heute 51-Jährige das Fach Regie an der Filmakademie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Das satirische englischsprachige Drama "Club Zero" ist ihr fünfter Spielfilm. Darin geht es um eine neue junge Lehrerin (Mia Wasikowska), die bewusste Ernährung an einem Elite-Internat unterrichtet. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern sind bald Feuer und Flamme für das Thema und steigern sich, manipuliert durch die Lehrerin Miss Novak, zunehmend und aus unterschiedlichen Gründen in das Thema Ernährungsverzicht ein. Die Eltern können nur noch machtlos zuschauen. Obwohl der Film märchenhafte Züge trägt, hätten Märchen am Ende eine Moral, erzählt Hausner im Interview. Doch die Spezialität ihrer Filme sei, dass sie eine Moral verweigern. "Das ist die Spezialität meiner Filme, dass sie ziemlich widersprüchlich daherkommen und am Ende die Widersprüchlichkeit nicht auflösen."

Frau Hausner, Sie haben mit "Club Zero" letztes Jahr zum zweiten Mal seit 2019 am Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes teilgenommen und 2023 im Sommer beim Filmfest München den Ehrenpreis des Festivals entgegengenommen. Wie wichtig ist Festival-Publikum für so einen Film wie "Club Zero"?

Die Österreicherin Jessica Hausner beim Foto-Termin in Cannes zu ihrem Film "Club Zero" © Shootpix/ABACAPRESS.COM
Die 51-jährige Jessica Hausner ist Professorin für Regie an der Filmakademie Wien. Sie ist zudem Mitglied der Oscar-Academy.

Jessica Hausner: Für mich ist es sehr wichtig und interessant, wenn ich einen Film fertig habe, die Reaktionen des Publikums zu verstehen. Ich bin sehr gern dann bei Festivals, wenn es danach Gespräche gibt, weil es ein bisserl hilft zu sehen, wie mein Film ankommt.

Eine Lehrerin kommt neu an eine Privatschule und ermuntert eine Gruppe von Jugendlichen, bewusster mit ihren Essensgewohnheiten, mit ihrer Nahrung umzugehen und fängt erst einmal mit Fasten-Tees an. Danach steigert sie ihre Methoden. Mir scheint, dass diese doch fürs Publikum polarisierende Lehrerin diesen exklusiven "Club" mit den Internatsschüler*innen auch führt, um Akzeptanz zu finden, und Liebe. Das, was uns alle eint …

Hausner: Möglicherweise. Die Figur der Miss Novak wird nicht vollkommen durchleuchtet. Es wird in der Geschichte nicht auserzählt, warum sie das macht. Insofern ist hier Spielraum für Ihre eigene Interpretation. Was mich an der Figur interessiert, ist, dass sie fest davon überzeugt ist, dass es stimmt. Dass sie nicht lügt. Sie ist keine diabolische Manipulatorin, die die Kinder absichtlich in die Irre führt. Sie glaubt, dass sie die Kinder rettet und ihnen Gutes tut. Das ist der Aspekt, der mich an dieser Figur am meisten beschäftigt hat. Möglicherweise ist das ein Kernpunkt in der Geschichte: diese unglaubliche Gefangenheit von uns allen in unserer eigenen Welt. Das, was wir glauben, ist unsere eigene Wirklichkeit. Das habe ich versucht, bei Miss Novak auf die Spitze zu treiben.

Sie glaubt an etwas, was normalerweise die Mehrheit von uns für falsch hält, aber in ihrer Wirklichkeit ist das die Wahrheit und das Gute. Das ist natürlich absurd. Durch diese extreme Übersteigerung habe ich versucht, quasi die Absurdität zu erzählen. Daher kommt dieser seltsame Humor - aus der absurden Übersteigerung von einer Sache.

Eine Person in diesem Film ist halbwegs "normal", die Mutter des Jungen, der ein Stipendium hat, um auf der teuren Privatschule zu sein. Sie ist die Einzige, die die komischen neuen Essensgewohnheiten der Kinder alarmierend findet und versucht, die anderen Eltern zu wecken. Ohne Erfolg!

Hausner: Es war wichtig für mich zu zeigen: Es gibt eine Figur, die scheinbar erkennt, was hier los ist. Aber das ist genau die Person, der keiner zuhört. Daraus speist sich der absurde Humor. Egal, wie die Geschichte verläuft, ist sie voll von Irrtümern und Missverständnissen. Die Eltern sehen nicht, was eigentlich passiert und sehen nicht:  Es gibt eigentlich ein ganz anderes Problem.

Der Film zeigt kaum die realen Folgen von dem, was passiert, wenn jemand über einen langen Zeitraum nichts isst - wie es eigentlich bei der Lehrerin Miss Novak der Fall ist. Warum?

Eine Gruppe von Jugendlichen in grüngelben Uniformen steht in einem Stuhlkreis, darin eine Frau mit roter Kleidung (Szene aus "Club Zero" von Jessica Hausner) © Neue Visionen / dpa Bildfunk
"Dies ist kein sozialrealistischer Film. Es geht nicht um Essstörungen", sagt Hausner über den Film.

Hausner: Dies ist kein sozialrealistischer Film. Es geht nicht um Essstörungen. Es ging mir um die Macht der Ideologie. Die Macht des Glaubens. Und sei es noch so falsch, oder verrückt. Aber diese Jugendlichen und Miss Novak glauben daran. In dem sie daran glauben, erreichen sie in ihrer Vorstellung diesen Idealzustand - in diesem etwas abstrakten Bild am Ende des Films.

Dass wir wissen, wenn man nicht isst, geht man daran zugrunde, ist mit erzählt, weil man sieht, dass die Kinder dünner werden, dass die Kleidung zu groß wird. Das haben wir nicht ausgelassen. Aber es wird nicht auf eine naturalistische Art und Weise gezeigt. Die realistische Darstellung der Folgen des Hungerns auf den Körper hätte mich von meinem eigentlichen Thema entfernt. Für mich ist dieser Hungerstreik, dieser Nahrungsentzug, ein Beispiel. Ein Beispiel für eine Radikalisierung. Deswegen fand ich es wichtiger, den Untergang und den körperlichen Verfall symbolisch oder künstlich darzustellen.

Wie viel Märchenhaftes steckt in dem Film? Wenn man etwa an das Märchen von Hänsel und Gretel denkt, die sich in Wald verirren?

Hausner: In Märchen sind die handelnden Figuren meist Archetypen. Da geht es nicht um individuelle Backstories, um das Wort zu bemühen, sondern da ist die alte Hexe, das unschuldige Kind, die böse Stiefmutter, auch ein lang hergebrachtes Bild in unserer Kultur. Die Figuren, die in der Geschichte verteilt werden, repräsentieren bestimmte Aspekte unserer Gesellschaft. Das sind Stellvertreter. In meinen Filmen versuche ich auch immer wieder den Blick auf uns als Menschen in unserer Gesellschaft zu werfen. In was für einer Struktur leben wir? Wer sind die Guten, wer die Mächtigen, die Mitläufer und die Schwachen? Deswegen verhalten wir uns vielleicht so und so. Nicht, weil ich persönlich das genauso will. Also, diese Abhängigkeit von uns zu zeigen, welche Erwartungshaltung von einer Gesellschaft an uns gestellt wird, welche Rolle wir zu spielen haben. Das ist für mich eine kleine Verbindung zu den Märchen.

Allerdings haben Märchen am Ende eine Moral. Und diese Moral verweigere ich halt komplett in meinen Filmen. Das ist die Spezialität meiner Filme, dass sie ziemlich widersprüchlich daherkommen und am Ende die Widersprüchlichkeit nicht auflösen. Es bleibt dem Zuseher und der Zuseherin überlassen, sich diesen Weg durch den Dschungel zu bauen.

Mia Wasikowska, bekannt etwa aus "Crimson Peak" von Guillermo del Toro und "Alice in Wonderland" von Tim Burton spielt die Hauptrolle als Miss Novak, beides Filme mit Horrortouch. War das mit ein Grund, die Australierin für diese Rolle zu casten?

Hausner: Ich habe sie das erste Mal in der HBO-Serie von 2009 "In Treatment" gesehen. Ich fand sie damals unfassbar toll, da war sie erst 17. Sie hat eine unglaubliche Darstellungskraft gehabt, überzeugend, eigenwillig, berührend. Auch diese Mädchenhaftigkeit, die sie hat, gepaart mit einer unglaublichen Durchsetzungskraft und Stärke, die darin schlummert. Das ist ein Aspekt, der mich für diese Rolle der Miss Novak sehr interessiert hat. Das ist keine Frau, die offensiv zeigt, was sie vorhat, oder wie sie denkt. Die ist erst mal verschlossen und rätselhaft und man muss sich selber einen Reim darauf machen. Aber man spürt, da ist eine innere Stärke. Ich habe bei der Rolle der Miss Novak auch gedacht, sie ist wie eine Heilige. Das, was sie erzählt, hat wirklich Überzeugungskraft. Das kann Mia Wasikowska gut.

Sie nutzen im Film gern einen Zoom, holen dadurch die Figuren näher ans Publikum heran, das wird heute kaum genutzt, stattdessen wird geschnitten. Warum nutzen Sie dieses Stilmittel? Mein Eindruck war, es wird an die Gesichter der Jugendlichen herangezoomt, wenn ein Gedanke von Miss Novak sich in ihrem Wesen verankert ...

Hausner: Zooms habe ich immer schon gerne eingesetzt, auch in meinen früheren Filmen. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass meine Erzählungen oft in längeren Einstellungen passieren, also in Echtzeit, mit wenig Schnitten. Bei meinem vorherigen Film "Little Joe" haben wir viele Kamerafahrten gemacht, bei "Club Zero" haben wir gezoomt. Das ist für mich ein Weg, bei dieser Echtzeit zu bleiben, die mir wichtig ist.

Die Inszenierung in der Echtzeit ermöglicht mir, diese seltsamen Lücken von Nichts einzubauen. Man redet, dann fällt einem zwei Sekunden nichts ein, aber diese zwei Sekunden werden nicht aus der Szene herausgeschnitten. Dann wird weitergeredet. Damit es nicht zu statisch wird, nutzen wir den Zoom. Manchmal in dem Moment, wo suggeriert wird, dass eine wichtige emotionale Veränderung passiert - manchmal aber auch zufällig. Nichts in meinen Filmen ist restlos logisch erklärbar.

"Club Zero", Großbritannien/Österreich, Start: 28. März. FSK ab 12 Jahren, Besetzung: Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen, Luke Barker, Samuel D. Anderson, Florence Baker, Ksenia Devriendt, Gwen Currant.

Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR Kultur

Eine Wissenschaftlerin (Emily Beecham) mit Gesichtsmaske beobachtet im Labor rote Blumen - Szene aus "Little Joe" von Jessica Hausner ©  coop99 The Bureau Essential Film
AUDIO: Cannes 2019: Jessica Hausner über "Little Joe" und MeToo (2 Min)
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 28.03.2024 | 07:20 Uhr

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