Stand: 25.08.2022 11:00 Uhr

"Die Zeit, die wir teilen": Traumwandlerisch und nuancenreich

von Bettina Peulecke

"Die Zeit, die wir teilen" zeigt fast traumwandlerisch ein nicht immer leicht zugängliches Leben voller Liebe, Verlust und Trauer. Mit einem großartigen Schauspieler-Paar: Isabelle Huppert und Lars Eidinger.

Die vielfach ausgezeichnete französische Theater-und Filmschauspielerin Isabelle Huppert hat in ihrer langen Karriere oft eigensinnige, starke Persönlichkeiten verkörpert. Das gilt auch für ihren neuen Film "Die Zeit, die wir teilen", in dem sie eine Verlegerin spielt und Lars Eidinger ihren Liebhaber gibt.

Laurent Larivière arbeitet mit Rückblicken und Sequenzen

Joan sitzt in einer regnerischen Nacht hinterm Steuer ihres Autos, wendet sich direkt an die Zuschauer, stellt sich vor und beginnt aus ihrem Leben zu erzählen. Die Erinnerung leitet die Rückblende ein, als Joan noch sehr jung und sehr verliebt war, als Au-Pair-Mädchen in Irland. Sie verlässt das Land in dem sie ihre erste große Liebe fand, ohne den Mann, der der Vater ihres Kindes ist. Joan zieht den gemeinsamen Sohn allein in Frankreich auf, oft ist sie überfordert.

Der Film besteht aus fragmentarischen Rückblicken und Sequenzen, die nicht zuverlässig chronologisch sind. Und so lässt sich die schwierige, aber nicht gefühlsarme Beziehung zwischen Mutter und Sohn erst einordnen, nachdem gezeigt wurde, wie der inzwischen Erwachsene Nathan seine Mutter besucht.

Joan: "Mein Sohn!"
Nathan: "Sohn?"
Joan: "Kannst gern Maman sagen, das stört mich nicht."
Nathan: "Evolution. Früher hast du es gehasst."
Joan: "Früher war ich zu jung für eine Mutter. Jetzt bin ich alt genug. Ich besinne mich auf die grundsätzlichen Dinge."
Nathan: "Wie schön, dass ich dazu gehöre." Szene aus "Die Zeit, die wir teilen"

Lars Eidinger als neurotisch-exzentrischer Künstler

Unbedingt zum Leben der erfolgreichen Verlegerin gehört auch der deutlich jüngere Schriftsteller und Lebensgefährte Tim, dessen Debutroman Joan herausbringt.

Tim, nervig-liebenswürdig und manchmal fast wie eine Parodie auf sich selbst wirkend von dem ebenfalls durch unkonventionelle Auftritte berühmt gewordenen Lars Eidinger, geriert sich als neurotisch-exzentrischer Künstler, der, kokett inszeniert, seine eigene Autogrammstunde ruiniert.

Joan: "Was soll das, was ist los?"
Tim: "Ich signiere das nicht, diesen Mist"
Joan: "Es ist Ihr erster Roman!"
Tim: "Es ist Schmiererei"
Leserin: "Diesem Roman ist es zu verdanken, dass ich wieder zum Leben erweckt bin, ich habe meine Lebenskraft wieder entdeckt."
Tim: "Durch den Alltag eines Müllmannes, der am Ende stirbt, zermalmt von seinem Müllschlucker?"
Joan: "Offensichtlich hat sie das sehr berührt" Szene aus "Die Zeit, die wir teilen"

Und offensichtlich ist auch Joan irgendwie berührt, von diesem durchgeknallten Künstler, der ihr immer wieder mit sturer Unbeugsamkeit seine Liebe gesteht. Und der auch nach dem Autogrammdesaster die richtigen Worte findet.

Tim: "Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen."
Joan: "Ja, das ist wahr."
Tim: "Für meine Benehmen, nicht für meine Liebe."
Joan: "Tim."
Tim: "Lassen Sie mich ausreden. Es wird nicht lange dauern und ich werde es nur einmal sagen. Ich werde mich nicht wiederholen, und danach lasse ich Sie in Ruhe. Ein Leben ohne Sie ist unerträglich für mich. Ich versuche mich von Ihnen zu lösen, wirklich, das versuche ich, aber es ist unmöglich." Szene aus "Die Zeit, die wir teilen"

Großartiges Schauspieler-Paar: Isabelle Huppert und Lars Eidinger

Und auch als Kollege ist Lars Eidinger hingerissen von Isabelle Huppert. "Vor ein paar Jahren war es noch unvorstellbar für mich, dass ich irgendwann einmal die Chance haben würde mit Isabelle vor der Kamera zu spielen. Und dass wir uns auch so gut verstanden haben. Es war schon beim Drehen so, dass es in gewisser Weise auf einer Metaebene stattgefunden hat und ich habe die Chance genutzt, Isabelle Huppert meine Liebe zu gestehen."

Das sagte Lars Eidinger auf dem Roten Teppich bei der Premiere des Films bei der diesjährigen Berlinale. Und wie Isabelle Huppert wieder einmal so nuancenreich, mit träumerischen wie analytischem Blick gleichermaßen mit Joan das Portrait einer selbstbestimmten Frau zeichnet, ist in der Tat nahezu anbetungswürdig.

"Die Zeit, die wir teilen", wandelt manchmal traumwandlerisch auf verschlungenen Erinnerungs-Pfaden, zeigt ein nicht immer leicht zugängliches Leben voller Liebe, Verlust und Trauer, und ein großartiges Schauspieler-Paar.

 

Weitere Informationen
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"Die Zeit, die wir teilen"

Genre:
Drama
Produktionsjahr:
2022
Produktionsland:
Deutschland | Frankreich | Irland
Zusatzinfo:
Mit Isabelle Huppert, Lars Eidinger, Swann Arlaud, Freya Mavor u.a.
Regie:
Laurent Larivière
Länge:
97 Minuten
FSK:
ab 12 Jahre
Kinostart:
31. August 2022

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 29.08.2022 | 07:55 Uhr

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