Robert Wilson inszeniert am Thalia Theater. © NDR

Thalia Theater: Robert Wilson hat Hawking-Stück inszeniert

Stand: 12.09.2022 16:07 Uhr

Der amerikanische Regisseur Robert Wilson kehrt zurück ans Thalia Theater Hamburg. Hier hat er "H - 100 seconds to midnight" inszeniert. Im Mittelpunkt steht der Physiker Stephen Hawking.

von Thorsten Mack

Bühnenmagie ist schön, macht aber viel Arbeit: Anspannung, Konzentration und Stolz. Anweisungen werden geraunt, jeder ist aufmerksam und auch ehrfurchtsvoll. Die Atmosphäre ist so dicht, dass man meint, die Schwingungen greifen zu können. Hier auf der Bühne des Hamburger Thalia Theaters soll ein Meisterwerk entstehen.

"H - 100 seconds to midnight": Robert Wilson am Thalia Theater Hamburg

"Es ist stressiger als sonst", berichtet einer der Arbeiter, der gerade eine Leinwand für Projektionen im hinteren Bühnenbereich befestigt. Ein anderer bringt millimetergenaue Positionsmarkierungen für Schauspielerinnen und Schauspieler an und erzählt fasziniert von der Arbeitsweise des Regisseurs: "Es gibt Geschichten, wo ein Schauspieler einfach nur einen halben Tag die Hand zum Ausleuchten hochhält. Da sitzt der da, und sagt tatsächlich: Fünf Millimeter nach da. Das fällt dem so ein."

Die Geometrie der Unendlichkeit - Stephen Hawking als Theaterheld

Dem das so einfällt, ist Robert Wilson, der detailversessene Kultregisseur, ein positiv Besessener. Er genießt einen Ruf wie ein Donnerhall. Und Donnerhall wird auch bei dieser Inszenierung erwartet. "H - 100 seconds to midnight" handelt von Stephen Hawking, dem weltberühmten Astrophysiker. "100 Sekunden bis Mitternacht" meint den Moment vor der Katastrophe - nicht nur Kriege, auch der Klimawandel droht unsere Welt zu zerstören oder gar ein winziges Virus. Stephen Hawkings Leben dient als Sinnbild für die menschliche Hinfälligkeit - mit seiner körperlichen Schwäche fast bewegungslos an den Rollstuhl gefesselt, während sein Geist gleichzeitig den Kosmos durchstreift und Weltformeln entwirft.

Robert Wilson inszeniert am Thalia Theater. © NDR
Robert Wilson hat am Thalia Theater bereits in den 1990er-Jahren mit "Black Rider" Theatergeschichte geschrieben.

Das Stück ist keine Biografie. Wilson entwickelt eine homogene Collage von Ideen und Gedanken über die Zeit und den Kosmos. Zentral ist die Frage, was der winzige Mensch im Kosmos für eine Rolle spielt, und was eigentlich hinter dem Urknall, dem Big Bang, lauert, mit dem alles begonnen haben soll: Wo kommt das alles her, wenn vorher nur Nichts war? Der Inhalt entsteht beim ehemaligen Architekturstudenten Wilson aus Form und Bewegung, aus einem Zusammenspiel von Bewegungen und Geometrie. Licht und Musikeinsätze strukturieren das Bühnengeschehen: "Besonders das klassische deutsche Theater braucht immer logische Ursachen, intellektuelle Begründungen. Man tut etwas, weil es einen Grund dafür gibt. Ich brauche keine Gründe, etwas zu tun."

Robert Wilson: "Ich möchte gar nicht wissen, warum ich etwas mache"

Weltweit inszeniert Robert Wilson Großproduktionen an allen wichtigen Häusern. In den 70er-Jahren begann der Aufstieg des 81-Jährigen, noch immer quietsch-agilen Texaners. Durch Inszenierungen mit behinderten Kindern lernte er, unmittelbare Erfahrungen wirken zu lassen. Er arbeitet mit totaler Stille wie mit Schreien und Tanz und Musik. Seine Ideen revolutionierten das Theater - ein exakte Komposition aus Architektur, Lichteffekten, Malerei und Akustik verschmilzt zu einem philosophischen Gesamtkonzept, bevor so etwas wie Text dazukommt. So hat er auch 1990 im Thalia den legendären "Black Rider" inszeniert, mit Texten von William S. Burroughs und Musik von Tom Waits, ein Feuerwerk von Einfällen, Bühnenmagie und Musik. Ein Schauspiel, kein Wortgefecht. Nun kehrt Wilson zurück.

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Robert Wilson © NDR

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Der Aufwand eines Wilson-Stückes ist enorm. "Unter normalen Umständen ist das nicht finanzierbar" sagt Joachim Lux, der Intendant des Thalia-Theaters: "Für kein Theater. Nicht, weil Bob Wilson so hohe Gagen nimmt, sondern weil da ein riesiger Apparat an Mitarbeitern dranhängt, bei ihm und bei uns." Dazu kommen Details wie extra angeschaffte Halogenlampen, denn nur sie liefern das Licht, das Wilson für seine Bühnenmagie braucht. Private Sponsoren ermöglichen dieses Theater-Highlight. Sein Team braucht Wilson für die Details, damit sein Theater-Uhrwerk aus Rhythmus und Form funktioniert.

Wider den Naturalismus

Das Stück besteht aus drei Akten, jeder Akt aus drei Teilen: einem Porträt, also einer Nahaufnahme. Dann kommt ein Stilleben, also eine Figurenkonstellation. Und am Ende eine Landschaft, eine große Weite, in die Tanzelemente der großen Choreografin Lucinda Childs eingearbeitet sind. Wilson schafft so für die Schauspielerinnen und Schauspieler ein festgezurrtes, durchgetaktetes Korsett, in dem sie völlig frei spielen können: "Ich sage einem Schauspieler nie, was er zu denken hat. Sie sollen denken, was sie wollen, ich gebe nur formale Anweisungen." Die Schauspielerinnen und Schauspieler sollen auch nicht besonders natürlich agieren, im Gegenteil - Wilson hasst Naturalismus: "Wir sehen doch, dass ein Schauspieler spielt. Er weiß, dass er etwas spielt. Ein Schauspieler, der versucht auf der Bühne natürlich zu sein, ist völlig künstlich."

Das Stück ist vollgestopft mit vermeintlich leeren Momenten. Textstellen werden mantramäßig wiederholt, Schreie und dröhnende Musik wechseln sich mit langen Momenten der Stille ab, Licht und Dunkelheit kämpfen bei Gewitterhall miteinander. Wilson genießt es, unser ständiges intellektuelles Vorantreiben zu unterbrechen, damit unsere Sinne wieder frei werden. Er lässt Raum für Erfahrungen, für Wirkungen, für einzelne Gedanken, er setzt uns Überwältigendem wie dem Nichts aus - und das absolut gekonnt. Er zeigt uns unsere Hinfälligkeit. Und das ist ja schließlich auch der Anlass des Stücks.

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Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg
Telefon:
040.328 14-444
E-Mail:
theaterkasse@thalia-theater.de
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 05.09.2022 | 22:45 Uhr

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