Neustart Kultur - wie geht es den Bühnen in Norddeutschland?
Die Theater in Norddeutschland sind in der Krise. Obwohl die Theater und Konzerthäuser wieder öffnen dürfen, bleiben viele Menschen zu Hause. Ist die Sorge vor einer Corona-Ansteckung zu groß oder gibt es vielleicht andere Gründe?
Nach zwei Jahren Pandemie richtet sich alle Hoffnung der Kulturbranche jetzt auf die neue Saison. Volle Häuser - das ist das Ziel! Doch das Publikum kommt nicht, zumindest nicht so zahlreich wie früher. In manchen Bereichen sind die Besuchszahlen im Vergleich zu vor der Pandemie um 50 Prozent gesunken. Die Coronapandemie hat das Publikum vorsichtig werden lassen. Laut Deutschem Bühnenverein werden weniger Abonnements verkauft, der Vorverkauf läuft schleppend, es wird eher kurzfristig entschieden. Das Niveau des Kartenverkaufs von Herbst 2019 ist in weiter Ferne. Gerade im Konzertbereich ist zudem das Angebot gerade groß: Überall werden die ausgefallenen und verschobenen Konzerte nachgeholt, aber 40 Prozent aller Konzerte fallen ersatzlos aus. Wie also weiter machen? Und was bedeutet das für den Regelbetrieb der Häuser? Ist der Rückzug ins Private, die Gewöhnung an andere Unterhaltungsformen in Zeiten der Pandemie unumkehrbar?
Aktionen in Niedersachsen, um Publikum zu gewinnen
Es steht zu befürchten, dass die Nachfrage nach Theatern weiter zurück geht, sagt die Publikumsforscherin Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim. "Erst recht angesichts der unklaren Entwicklung des Pandemiegeschehens mit einer potenziellen weiteren Maskenpflicht. Die allgemeine Kostensteigerung und Energiekrise tun ihr Übriges." Das Publikum sei nach wie vor vorsichtig und Spontankäufe seien zur Regel geworden, heißt es von Julia Deppe, Pressereferentin am Theater für Niedersachsen in Hildesheim. "Das Publikum ist dankbar für die Präsenz und das Festhalten am Spielbetrieb trotz der widrigen Umstände. Die Toleranz für pandemiebedingte Änderungen im Spielplan lässt allerdings allmählich nach." Auch im Herbst und Winter rechne sie weiter mit Herausforderungen. "Es gilt abzuwarten wie sich die Corona-Lage gestaltet. Wir müssen jederzeit flexibel und spontan reagieren und das bei größtmöglicher Transparenz und Kommunikation mit dem Publikum."
Am Schauspiel Hannover ist man optimistischer. Dort heißt es, dass der Vorverkauf für die neue Spielzeit nach dem Sommer erfahrungsgemäß immer etwas schleppender anläuft. Und auch die Auslastung sei sehr unterschiedlich, erklärt Sprecher Nils Wendtland. "Veranstaltungen wie etwa die Lesung mit Ferdinand von Schirach, unsere Produktion 'Hamlet' oder Open-Air-Events wie Shakespeares 'Was ihr wollt' in unserem Theaterhof sind nahezu ausverkauft. Auch Inszenierungen für junge Menschen laufen sehr gut. Andere, weniger spektakuläre Veranstaltungen sind dagegen nur mäßig belegt." Konkrete Zahlen gibt es momentan noch keine. Das Publikum wieder zu reaktivieren hat bei den Theatern höchste Priorität. Das Staatstheater Hannover setzt dabei zum Beispiel auf einen Tag der offenen Tür, dabei bieten sie einen Blick hinter die Kulissen an. Außerdem gibt es die Aktion "Bring your Friends". Da können Gäste, die ein Theaterticket zum vollen Preis gekauft haben, fünf weitere Freunde mitbringen, die dann für ihr Ticket nur fünf Euro zahlen müssen. Erich Sidler, Intendant des Theater Göttingen sieht der kommenden Spielzeit optimistisch entgegen: "Wir haben in den letzten Monaten vor der Sommerpause, trotz anhaltender Coronapandemie, einen stetigen Anstieg der Publikumszahlen erlebt, das hat uns gezeigt: Das Publikum möchte Theater. Diesen Trend wollen wir mit einem guten und vielseitigen Programm beibehalten und das Vertrauen des Publikums festigen. Das gemeinsame Erlebnis im Saal besitzt eine verbindende Kraft, das ist unsere Qualität als Kulturschaffende. Bei uns geht deshalb auch weiterhin der Vorhang auf."
Schleswig-Holstein - die Hälfte der Auslastung ist das neue Ausgebucht
Viele Theater und Kultureinrichtung in Schleswig-Holstein stehen unter Druck, in der vergangenen Spielzeit waren die Vorstellungen teilweise nur zur Hälfte besetzt und auch der Vorverkauf für die neue Spielzeit läuft eher schleppend. Oft sind es Gastspiele, die gut besucht sind, weil sie nur einmal in einem Haus aufgeführt werden. Bei langfristigen Produktionen sei das Publikum noch sehr verhalten, erklärt der Leiter der Comödie in Lübeck, Michael Knoll. Denn obwohl die Häuser wieder öffnen dürfen, bleibt das Publikum zögerlich. Ist die Sorge vor einer Corona-Ansteckung zu groß oder gibt es andere Gründe? Der Tenor der Theater und Bühnen im Land ist sehr einheitlich - die Gäste wollen ihre Tickets eher spontan kaufen. Die Gründe sind vor allem die Angst vor einer Coronaansteckung und die gestiegenen Preise, sagt Michael Knoll. "Der aktuelle Trend ist so, dass wir sagen, die Auslastung in der Comödie Lübeck liegt so bei etwa 25 bis 40 Prozent pro Aufführung und vor Corona hatten wir eine Auslastung von 80-90 Prozent pro Aufführung. Mittlerweile haben wir auch eine andere Frequenz. Wir haben früher mindestens drei oder vier Mal die Woche gespielt, jetzt spielen wir nur zwei Mal die Woche, weil es sich einfach nicht lohnt und sich auch nicht rechnet." Um den Gästen entgegenzukommen, haben sich deshalb viele Häuser eine flexible Karten-Erstattungsmöglichkeit überlegt, teilt der Landesverband Freier Darstellender Künste in Schleswig-Holstein mit. Für das Publikum ist das super, für die Theater ist das ein zweischneidiges Schwert, weil sie im Zweifel Karten zurücknehmen müssen und dadurch kein Geld verdienen. Das Theater Lübeck ist eine Institution, die ihren Gästen diese Möglichkeit anbietet, bevor diese krank in die Vorstellung kommen.
Hamburg startet optimistisch in die neue Saison
Optimistischer als die Theater in Schleswig-Holstein startet die Staatsoper Hamburg in ihre neue Saison. Das zeigt sich vor allem an der Auslastung der Monate November und Dezember 2021 - zu dem Zeitpunkt hat die Staatsoper fast das Niveau der Monate November und Dezember im Jahr 2019 erreicht, schreibt Pressesprecher Michael Bellgardt. "In den ersten beiden Monaten in diesem Jahr lag die Gästezahl zehn bis 30 Prozentpunkte unter demjenigen der Vorjahre, ohne Pandemie. Allerdings konnten aus Gründen des Arbeitsschutzes einige Produktionen nur in reduzierten Versionen aufgeführt werden." Diese Einschränkungen gibt es seit Ende April 2022 nicht mehr - seitdem spielt die Staatsoper Hamburg ihr Programm wie geplant ohne Einschränkungen. Dabei fiele ein Angleich der Verkaufszahlen an frühere Jahre auf, so Bellgardt. "Bei Neuproduktionen erreichen wir Auslastungen von 80 bis 100 Prozent. Wir sehen der kommenden Saison durchaus optimistisch entgegen."
Die Altonaer und Harburger Theater freuen sich über ihre Abonnentinnen und Abonnenten - denn die bleiben ihnen treu erhalten und freuen sich auf die neue Spielzeit. Los geht es am 11. September mit dem Stück 'The Addams Family'. Aber auch die Kinder kommen nicht zu kurz und für die Stücke "Die kleine Hexe" im Altonaer Theater, "Peter Pan" im Harburger Theater und "Rico, Oskar und die Tieferschatten" in den Hamburger Kammerspielen läuft der Vorverkauf gut, schreibt Geschäftsführer Dietrich Wersich. Erste Vorstellungen seien sogar schon komplett ausverkauft. Aber: "Der Vorverkauf für das freie Publikum läuft noch schleppend, möglicherweise gibt es da auch einen höheren Anteil von Kurzentschlossenen." Deshalb sei auch die Theaternacht in Hamburg am 10. September so wichtig, erklärt Wersich. "Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die Theater gelenkt und es gibt viele Gelegenheiten in das Programm reinzuschnuppern." Nach zwei Jahren Corona-Pause findet die Theaternacht in Hamburg dieses Jahr wieder statt.
Clubszene in Hamburg erholt sich langsam
Während der Coronapandemie hatte es auch die Clubszene nicht leicht. Viele kleinere Clubs mussten schließen, weil sie sich nicht mehr auf dem Markt halten konnten, da haben auch die finanziellen Hilfen nichts mehr gebracht. Derzeit sieht es in der Veranstaltungsbrache so aus, dass sich der Gesamtumsatz im Vergleich zu 2019 wieder stabilisieren könnte. Er werde aber zu 50 Prozent aus bereits 2019/2020 gekauften und mehrfach verschobenen Veranstaltungsbudgets und Kartenkäufen gespeist, heißt es vom Hamburger Clubkombinat. Hinzu kommt außerdem der Fachkräftemangel, wie in fast jeder Branche. Viele Soloselbstständige sind aus der Veranstaltungsbranche abgewandert und haben sich etwas Neues gesucht. "So müssen die 150 Prozent der Aufträge mit nur 60 Prozent des Personals bewältigt werden. Dies führte zu einer Kostenexplosion bei Personal und Zulieferern in allen Bereichen. Hinzu kommen die Preissteigerungen durch die Energiekrise und die Inflation.", teilt das Clubkombinat Hamburg mit.
Der Vorverkauf an den Theatern in Mecklenburg-Vorpommern läuft schleppend
Die deutschsprachigen Theater haben extrem unter den Beschränkungen in der Corona Pandemie gelitten. Neue Zahlen belegen, wie gravierend die Lockdowns für sie waren. Insgesamt gab es 86 Prozent weniger Zuschauerinnen und Zuschauer. Auch in Mecklenburg-Vorpommern läuft der Vorverkauf für die neue Spielzeit schleppend, denn das Publikum ist durch die vergangenen Jahre verunsichert. Die Karten werden meist spontan und erst kurz vor der Veranstaltung gekauft, dazu Ralf Dörnen, Intendant des Theaters Vorpommern: "Wir haben große Probleme, 50 Prozent ist das neue ausverkauft." Die Säle wenigstens halb voll kriegen - das hoffen auch die Kollegen von Ralf Dörnen an den anderen Theatern im Land. Es zeichnet sich ab, dass Open Air-Veranstaltungen deutlich mehr Zulauf haben als Indoor-Veranstaltungen. Diese Erfahrung hat die Vorpommersche Landesbühne in Anklam gemacht, aber auch die freien Theater. Viele Schauspielerinnen und Schauspieler haben die Corona-Zeit genutzt, um mit Unterstützung von Neustart Kultur zu recherchieren und zu produzieren. Puppen- und Figurentheater für Schulen und Kitas sind bislang eine feste Stütze und werden verbindlich und längerfristig gebucht.
Es gebe eine große Sehnsucht nach Leichtigkeit und Unterhaltung, das spiegle sich in der Nachfrage wider, sagt der Landesverband der Freien darstellenden Künste. Das Volkstheater Rostock hat festgestellt, dass sein wichtiges Abonnement-Publikum, dass das ganze Jahr durchbucht, im Vergleich zu Vor-Coronazeiten um 15 Prozent geschrumpft ist. Ralf Reichel, Intendant des Volkstheaters, glaubt nicht, dass sich die Theater schnell füllen lassen. "Es gibt gerade ein Überangebot, Konzerte und andere Veranstaltungen, alles was ausgefallen war, wird nachgeholt. Da wird es schwer, die alten Zahlen wieder zu erreichen." Dennoch war die Premiere "Heat Wave - Das Musical mit den Hits der frühen 80er" am Volkstheater Mitte August ausverkauft. Es konnten nicht alle Kartenwünsche erfüllt werden, heißt es vom Theater in Rostock. Deshalb steht das Stück nun auf der Wiederaufnahme-Liste für 2023. Die steigenden Kosten und die Diskussion um Corona würden das Publikum stark verunsichern, heißt es vom Ernst Barlach Theater in Güstrow, einem Gastspieltheater. Trotz aller Probleme freuen sich die Theaterschaffenden auf die neue Spielzeit. Gerade in Zeiten von Pandemie, Krieg, Inflation und Klimakatastrophe wissen sie, dass sie dringend gebraucht werden.