"Mefistofele" in der Staatsoper Hannover © Staatsoper Hannover/ Sandra Then Foto: Sandra Then

"Mefistofele"-Premiere in Hannover: Krude und fulminant

Stand: 25.09.2022 14:27 Uhr

Der "Faust"-Stoff inspirierte den italienischen Komponisten Arrigo Boito in den 1860er-Jahren zu seiner Oper "Mefistofele". Als erste Opernpremiere der neuen Spielzeit an der Staatsoper Hannover kam sie Sonnabend auf die Bühne.

von Agnes Bührig

Der Chor der Staatsoper Hannover ist schwanger. Nonnengleich in wallende, weiße Gewänder gehüllt, streichen sich Sängerinnen wie Sänger über ihre dicken Bäuche. Ein Hinweis auf Goethes Beschäftigung mit der künstlichen Erschaffung des Menschen, dem Homunkulus. Dass der nicht nur gut sein kann, zeigt der Auftritt von Mefistofele im teufelsroten Ganzkörperanzug.

Sänger Shavleg Armas über den Spaß am Bösen

Der Bass Shavleg Armasi, gebürtig aus Georgien und ein Meister der finsteren Rollen, gibt Mefistofele als Altrocker - mal lakonisch beobachtend, mal hintergründig eingreifend -, um Faust in die Welt des Bösen zu ziehen. Den Spaß an seiner Rolle sieht man ihm deutlich an.

Auch das Böse kann etwas Leichtes haben, sagt Atmasi: "Wie Kinder, die begeistert sind von etwas Negativem auf der Straße, kann auch dieser Täter durchaus sympathisch sein, für Erwachsene vielleicht sogar sexy. Da gibt es Beispiele, irgendwelche klassischen Aufnahmen, wo die als richtig geile Typen dargestellt sind. Nicht wie bei uns. Bei uns ist es ein bisschen anders."

Regisseurin Elisabeth Stöppler hinterfragt das duale System

Anders als im Original ist auch die Figur von Gott, Kraft des Guten: statt zu singen, spricht sie. Elisabeth Stöppler hat Gott queer besetzt. Heinrich Horwitz ist nicht-binär, Mann und Frau zugleich. Damit will die Regisseurin das duale System hinterfragen: Mann und Frau, Gott und Teufel, gut und böse.

"Ich finde, dass sich zu unseren Zeiten heute - und gerade durch die Covid-Krise, aber auch durch die Energiekrise - die gesamte Situation der Welt, dieses duale, immer mehr aufbricht", meint Elisabeth Stöppler. "Es muss einen dritten Weg geben. Es gibt immer mehr Zwischentöne. Die ganze Gender-Problematik, das Geschlechterverhältnis hat sich, finde ich, analog zu Covid in den letzten drei bis fünf Jahren enorm gewandelt. Und auch wenn wir auf Teufel und Gott gucken: Ist Gott eine Frau, ist Gott ein Mann, was ist Gott überhaupt?"

"Mefistofele" in Hannover: Nummernrevue in bunten Harlekinskostümen

Die Vielschichtigkeit von Mefistofeles' Welt zeigen die Kostüm- und Bühnenbildnerinnen Joki Tewes und Jana Findeklee kongenial. Ein übergroßes Baby füllt die Bühne und setzt unsere Klischees von Gott und Teufel mit einem ganz alltäglichen Wesen in Frage. Zugleich dient es als Kulisse für nächtliche Séancen oder wird kopfüber als übergroßes Kreuz in die Höhe gezogen.

Tanz auf dem Vulkan, Show, Nummernrevue in bunten Harlekinskostümen, phantastisch-albtraumhafte Wesen oder ein Meer aus einem quasi nackten Chor in körperfarbenen Ganzkörpertrikots - es sei die Übersetzung der Vorlage, sagt Elisabeth Stöppler: "Es ist dieses Stationendrama, das wir kennen. "Faust II" ist eigentlich nur noch eine Reise durch die Gezeiten, durch die Welt bis zur Antike, bis zur schönen Helena und bis in diese seltsamen Vorhöllen-Welten, in denen sich Faust und Mephisto am Ende befinden, die niemand mehr kennt, weil "Faust II" kaum jemand zu Ende gelesen hat - weil es so krude und seltsam wird."

Minutenlanger, begeisterter Beifall

Diesem Kruden fügt das Team in der Mitte noch eine Ansprache von Gott hinzu, inspiriert von der nicht-binären Person Kae Tempest. Der Text könnte auch von Achtsamkeit inspiriert sein und beschwört die Wichtigkeit der darstellenden Künste. Doch die wirken in dieser fulminanten Inszenierung viel besser durch die zuweilen auch an Pop Art erinnernde Ausstattung. Minutenlanger, begeisterter Beifall belohnt am Ende diese unbedingt empfehlenswerte Operninszenierung.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels sowie in der Audiofassung wurden Heinrich Horwitz und Kae Tempest als binäre Personen bezeichnet. Dies trifft nicht zu. Für diesen Fehler bitten wir um Entschuldigung.

 

"Mefistofele"-Premiere in Hannover: Krude und fulminant

Als erste Premiere der neuen Spielzeit an der Staatsoper Hannover kam Arrigo Boitos Oper Sonnabend auf die Bühne.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Staatsoper Hannover
Opernplatz 1
30159 Hannover
Preis:
ab 5 Euro
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 25.09.2022 | 14:40 Uhr

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