Hamburger Clubs: Wo bleiben die Besucher*innen?
Noch immer fehlt das Publikum. Wie geht es den Kulturschaffenden mit dieser Situation? NDR Kultur hat sich in Hamburger Clubs umgehört und mit Rocko Schamoni gesprochen, kurz vor dem Auftakt seiner aktuellen Tournee.
Seit Anfang Mai waren in Deutschland erstmals nach 25 Monaten Kulturveranstaltungen ganz ohne Corona-Beschränkungen möglich. Viele Live-Musikerinnen, Live-Musiker und Clubs freuten sich auf einen "Neustart" - und sind nun ernüchtert. Denn das Publikum fehlt.
Rocko Schamoni: Was erwartet der Musiker von seiner Tour?
Rocko Schamoni ist seit Ende August auf Tour. In 13 Clubs im deutschsprachigen Raum präsentiert er in diesen Wochen Songs aus seinem neuen Album "All Ein". Es ist seine erste Tour seit zwei Jahren und sie findet ganz ohne Corona-Beschränkungen statt. Eigentlich also Grund zur Freude:
"Jetzt wissen wir im Vorfeld in diesem Fall schon, das wird nicht schlecht verkauft sein", berichtet der Musiker. "Es wird ganz okay verkauft sein, aber nicht so wie sonst. Und das schmälert die Vorfreude zwar nicht völlig, aber man fragt sich die ganze Zeit: Was kann man tun? Wie kann man an diesen Original-Punkt zurückkehren, vor dem wir vor zwei, zweieinhalb Jahren aufgehört haben?"
Die erste Station seiner Tour führte den Hamburger Musiker ins Kölner Gloria, einem Club, der etwa 450 Leute fasst. In guten Zeiten spielte er hier zwei ausverkaufte Nächte in Folge. Dieses Mal bleibt es bei einer Nacht - mit rund 250 Gästen. Dreiviertel der Zuschauerinnen und Zuschauer von einst fehlen.
Gästerückgänge von bis zu 50 Prozent
"Ich werfe diesen Leuten nichts vor. Bloß die, die zu Hause sitzen bleiben und sagen: 'Oh, das war jetzt die letzten zwei Jahre eigentlich ganz gemütlich, und ich gucke jetzt eigentlich jeden Abend Netflix', den sag ich: 'Ja, könnt ihr ja auch weitermachen, aber kommt wenigstens einmal die Woche vom Sofa hoch, denn ohne das Publikum sind die ganzen Leute auf der Bühne arbeitslos, und die Arbeit hat keinen Sinn'."
Viele Musikerinnen, Musiker und Veranstalterinnen und Veranstalter, die sich nach dem Wegfall der Corona-Beschränkungen auf ein Revival der Live-Musik gefreut hatten, sind enttäuscht. Live-Clubs in Hamburg beklagen Gästerückgänge von derzeit durchschnittlich 40-50 Prozent. Karsten Schölermann, Chef des traditionsreichen Knust in St. Pauli, hat dafür eine Erklärung: "Dass wir weniger Karten verkaufen, führe ich auch ein bisschen auf das Überangebot zurück, was uns aktuell umwirbelt. 50 Prozent der Konzerte, die noch aus der Vergangenheit stammen, treffen auf 100 Prozent Konzerte, zum Teil gefördert, die wir neu organisiert haben, und sie treffen auf 40 Prozent weniger Personal." Dies führe zu einer Preisexplosion in den Kosten. "Also lange Rede kurzer Sinn, es ist alles aus dem Gleichgewicht, und wir wissen noch nicht, wie wir unser Gleichgewicht wiederfinden."
Hamburger Nochtspeicher: Das Publikum ist ermüdet
Auch im Nochtspeicher, einem Club mit zwei Bühnen nahe der Reeperbahn, herrscht Verunsicherung. Bislang seien sie hier gut durch die Krise gekommen - auch dank der Corona-Hilfen der Regierung, sagt Chef Constantin von Twickel. Doch das ständige Hin und Her habe das Publikum ermüdet. "Als dann die Maßnahmen alle gefallen sind, das war dieses Jahr, sind ab dem 1. Mai auf einmal die Vorverkaufszahlen runtergegangen. Wir hatten Anrufe: 'Wie, ihr kontrolliert jetzt gar nicht mehr, hier darf jetzt jeder rein?' Das hat den Leuten erst mal das Gefühl gegeben: 'Oh je, jetzt habe ich eine höhere Ansteckungsgefahr'. Dann war natürlich jetzt Sommer - Juli, August - da sind die Menschen alle draußen und genießen Open-Air-Veranstaltungen. Dann war Urlaubszeit, und jetzt gehen wir in den Herbst in die neue Saison. Und nun beginnt sozusagen die Zeit der Wahrheit."
Kultur unter fast normalen Bedingungen - wie lange das angesichts steigender Corona-Zahlen in den nächsten Monaten noch möglich sein wird, ist ungewiss. Ein Grund mehr, sich jetzt aufzuraffen und endlich mal wieder Live-Musik zu genießen.