Nicolas-Born-Debütpreisträgerin Yade Yasemin Önder und Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler und Nicolas-Born-Preisträgerin Dorothee Elmiger (von links) © MWK/Frank Wilde Foto: MWK/Frank Wilde

Elmiger und Önder erhalten Niedersächsischen Literaturpreis

Stand: 15.09.2022 12:15 Uhr

Sie seien "zwei herausragende Stimmen der Gegenwartsliteratur": Dorothee Elmiger und Yade Yasemin Önder sind am Mittwochabend in Hannover mit dem Niedersächsischen Literaturpreises ausgezeichnet worden.

von Agnes Bührig

Festgefügte Meinungen können wir uns im 21. Jahrhundert nicht leisten, lasst uns einen offenen Diskurs pflegen - mit diesem Denkanstoß eröffnete Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler, am Mittwochabend die Preisverleihung des Nieder-sächsischen Literaturpreises. Mit Dorothee Elmiger und Yade Yasemin Önder wurden gleich zwei Schriftstellerinnen in Hannover geehrt - Elmiger mit dem Nicolas-Born-Preis, Önder mit dem Nicolas-Born-Debütpreis.

Vergeben wurde der Niedersächsische Literaturpreis - charmant präsentiert von NDR Kulturjournal-Moderatorin Julia Westlake - in ehrwürdigem Ambiente im Gästehaus der Niedersächsischen Landesregierung zu französischer Barockmusik. Wie ein Kontrastprogramm wirken da Beobachtungen aus Berlin, die die Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger in ihrer Dankesrede schilderte:

"Seit der Nachricht aus Niedersachsen, wie ich sie für mich nannte, spazierte ich über verfrüht von den Bäumen gefallene Pflaumen, verkümmertes Obst, das die Möglichkeit der Bäume überstiegen hatte. Ich sah helle Felder vor den Fenstern der ICEs als hätten sie gerade noch gebrannt. Und so war es ja irgendwie auch. Ich las, drei Schweizer Bauern hätten das Wasser für ihre Kühe dieses Jahr von einem Helikopter geliefert bekommen", so die Eindrücke von Preisträgerin Elmiger.   

Dorothee Elmiger schreibt politische Romane

Lisa Kreißler, Nicolas-Born-Preisträgerin Dorothee Elmiger und Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler © MWK/Frank Wilde Foto: MWK/Frank Wilde
Laudatorin Lisa Kreißler, Nicolas-Born-Preisträgerin Dorothee Elmiger und Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler bei der Verleihung des Niedersächsischen Literaturpreises.

Im Inneren arbeiteten ihre Texte dafür, unser Bedürfnis nach Gewissheiten stiller werden zu lassen, sich Einzulassen auf ein wirkliches Hinblicken, sagte Laudatorin und Autorin Lisa Kreißler. "Einladungen an die Waghalsigen", "Schlafgänger" und "Aus der Zuckerfabrik" - alle drei Romane der 1985 im Kanton Zürich geborenen und an Literaturinstituten in Biel und Leipzig ausgebildeten Schriftstellerin seien politisch.

"Dorothee Elmiger schreibt nie allein, ihr Schreiben ist gemeinsames Denken, der Intertext konstitutiv. Ihre eigenen Erfahrungen nimmt sie ebenso ernst wie die Berichte der anderen. Der Anblick einer Landschaft steht gleichberechtigt neben einer Frage auf die niemand eine Antwort hat", beschreibt die Laudatorin Elmigers Schreibstil. 

Unkonventioneller Roman von Yade Yasemin Önders

"Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron" - dass dieser Romantitel einen anderen Drive vorgibt, kommentiert Laudatorin Kathrin Dittmer, Leiterin des Literaturhauses Hannover, mit dem einfachen Wort "furios". Der Inhalt von Yade Yasemin Önders ausgezeichnetem Debütroman sei nicht weniger mitreißend.

Kathrin Dittmer, Leiterin des Literaturhauses Hannover, Nicolas-Born-Debüt-Preisträgerin Yade Yasemin Önder und Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler © MWK/Frank Wilde Foto: MWK/Frank Wilde
Yade Yasemin Önder (Mitte) wurde mit dem Nicolas-Born-Debütpreis ausgezeichnet.

"Es ist ein Buch über das Leben junger Frauen in der Bundesrepublik Deutschland am Ende des letzten Jahrhunderts, eine Geschichte über die öffentliche Verfügbarkeit weiblicher Körper, die Abwertung weiblicher, sexueller Kraft, die Selbstbehauptung, den Ekel, Stoizismus, Hilflosigkeit und Selbstermächtigung und auch über soziale Herkunft", versucht Kathrin Dittmer, den vielschichtigen Roman von Önders in wenige Worte zu fassen. 

Önders: Nicolas-Born-Debütpreis setzt ein Zeichen

Auf dem zweiten Bildungsweg machte die 1985 in Wiesbaden geborene Autorin selbst Abitur. Vorher hatte sie sich als Buchhändlerin, Köchin und Sängerin versucht, später studierte sie literarisches und szenisches Schreiben. 2017 hat ihr erstes Theaterstück "Kartonage" am Wiener Burgtheater Premiere. Trotzdem verfolgten sie Selbstzweifel, sagt Yade Yasemin Önder. Der Nicolas-Born-Debütpreis wirke dem entgegen. Ihren unkonventionellen Roman auszuzeichnen, setze zudem ein Zeichen im Literaturbetrieb.

"Es ermutigt diejenigen Autor:innen, die eher aus der Welt der Lyrik kommen, oder des Theaters - so wie ich - die Gattungen nicht so ernst zu nehmen, dem Leser oder der Leserin etwas zuzumuten, in der Hoffnung, im Wagen möge sich vielleicht doch ähnlich viel, wenn nicht sogar mehr zeigen", hofft die junge Autorin.  

Experimentieren, Ungewissheit wagen - ein wichtiges Anliegen der Preisträgerinnen des Niedersächsischen Literaturpreises 2022.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 15.09.2022 | 10:20 Uhr

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