Stand: 18.07.2017 10:00 Uhr

Eine besondere Dorfgemeinschaft

von Katharina Mahrenholtz
Cover des Buchs "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky © Dumont Verlag
Mariana Leky wurde 1973 in Köln geboren. Sie gewann noch als Studentin mehrere Auszeichnungen für ihre Erzählungen und Kurzgeschichten.

Mit dem Erzählband "Liebesperlen" betrat Mariana Leky vor 16 Jahren die literarische Bühne. Sie hatte in Hildesheim Kreatives Schreiben studiert, vorher Germanistik in Tübingen. Auch eine Buchhändlerlehre hatte die heute 44-Jährige schon hinter sich. Mit den Romanen "Erste Hilfe" und "Die Herrenausstatterin" ging es weiter. Ihr neuer Roman heißt: "Was man von hier aus sehen kann".

Okapis und seltsame Träume

Der Klappentext könnte abschreckend wirken: "Immer, wenn der alten Selma im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Dorf." Das klingt krampfhaft originell - nach einem dieser Bücher, in denen nichts passiert, die aber unbedingt zum Nachdenken anregen sollen. Sicherlich kann man in diesen Roman eine Menge reininterpretieren. Er ist bevölkert von merkwürdigen Charakteren und erzählt nicht unbedingt eine richtige Geschichte. Warum sollte man dann so ein Buch lesen? In diesem Fall ist die Antwort einfach: Weil Mariana Leky es geschrieben hat und weil sie zum Niederknien schreiben kann. Ihre Sprache ist überraschend, lustig, wahr.

"Selma kam von der Garage zurück zum Haus, und es war unfassbar, dass uns nicht spätestens jetzt die Ähnlichkeit mit Rudi Carrell aufgefallen war. 'Da geht Rudi Carrell', hätte man völlig zu Recht denken können, 'da kommt Rudi Carell von der Garage aus direkt auf uns zu.'" Leseprobe

Das Dorf stellt sich vor

Selma ist die Großmutter der Ich-Erzählerin Luise - eine Art Dorfälteste, auf die alle hören und bei der alle Rat suchen. Auch Luise verbringt viel Zeit bei Selma, weil ihre Eltern vor allem damit beschäftigt sind, unglücklich verheiratet zu sein. Luises bester Freund Martin findet bei Selma Zuflucht vor seinem gewalttätigen Vater. Auch der Optiker kommt regelmäßig zu ihr, weil er in Selma verliebt ist - etwas, das alle bereits wissen. Auch Selma weiß es, ist aber froh, dass der Optiker sich nicht traut, es zu sagen. Dann gibt es noch die abergläubische Elsbeth und die schlecht gelaunte Marlies, die im Haus ihrer verstorbenen Tante lebt.

"Nur der Geruch im Haus gehörte Marlies. Es roch nach Zigaretten, nach dem kläglichen Aufbegehren von billigem Deodorant gegen strengen Schweiß, nach vor Tagen stehen gelassenem Essen, nach vor Jahrzehnten abgelaufener Heiterkeit, nach erstickten Schwelbränden in Aschenbechern, nach Müll, nach Duftbäumchen und nach nasser Wäsche, die zu lange im Korb lag." Leseprobe

Ähnlichkeiten erkennen

Zusammenhänge herzustellen, die man nicht sofort erkennt: Luise und Martin nennen es "Ähnlichkeitsspiel" und der Optiker ist besonders gut darin. Er findet zum Beispiel sofort die Verbindung zwischen Kaffeekannen und Schnürsenkeln: Beides wird am Morgen benutzt und führt dazu, dass der Kreislauf in Schwung kommt. Mariana Leky ist die Meisterin des Ähnlichkeitspiels. Okapi und Tod, buddhistische Mönche und der Westerwald, Mon Chéri und Zuhause, Tragik und Komik.

"Mein Vater sagte: 'Komm doch mal Luischen, ich muss euch was sagen.' Ich dachte daran, was in Selmas Vorabendserien mit dem Satz 'Ich muss euch was sagen' eingeleitet wurde. Wir sind bankrott, ich verlasse dich, Matthew ist nicht dein Sohn, William ist klinisch tot, wir stellen jetzt die Maschinen ab." Leseprobe

Große Sprachkunst und absurde Situationen

Tatsächlich wird Luises Vater nur ankündigen, dass er auf Weltreise geht - auf Empfehlung seines Psychiaters, der ihm auch zu der Anschaffung eines Hundes geraten hatte, um den Schmerz zu "externalisieren".

"'Was für ein Schmerz?' 'Meiner', sagte mein Vater, 'mein eingekapselter Schmerz.' 'Aber welcher denn?', fragte Selma, und mein Vater sagte: 'Das weiß ich nicht, er ist ja eingekapselt', und ich dachte, dass man eigentlich auch bei eingekapselten Sachen weiß, was darin ist, aber vielleicht galt das nur, wenn in den Kapseln kein Schmerz, sondern Medizin oder Astronauten waren." Leseprobe

Es geht um einiges in diesem Buch - um Freundschaft und Liebe, Mut und Verzweiflung, Gewohnheit und Veränderung, Leben und Tod. Aber lesen sollte man es vor allem, um sich von Mariana Lekys grandioser Sprachkunst immer wieder überraschen zu lassen. 

 

Weitere Informationen
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Miese Dialoge und trotzdem ein Bestseller (Sparks), grandiose Komik und die Faszination von Okapis (Leky), ein Geschenk für die Hosts, aber leider kein Weißwein zum Huhn. mehr

Was man von hier aus sehen kann

von Mariana Leky
Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Dumont Verlag
Bestellnummer:
978-3-8321-9839-8
Preis:
20 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 19.07.2017 | 12:40 Uhr

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Romane

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