Buchcover: Great Pubs. Eine Reise durch Englands Pub-Kultur © Prestel Verlag

Bildschöne Bücher: "Great Pubs. Eine Reise durch Englands Pub-Kultur"

Stand: 11.03.2023 06:00 Uhr

Der Bildband "Great Pubs" versammelt einige der schönsten englischen Pubs - Orte holzgetäfelter, stilvoller Geselligkeit. Wobei Rezensent Guido Pauling genau diese Geselligkeit auf den Fotografien schwer vermisst.

von Guido Pauling

Wo trinken die Engländer ihr Bier? Im Pub, könnte man denken. Doch so selbstverständlich scheint das nicht mehr zu sein: Denn viele Pubs machen dicht; ein Trend, der schon Jahre vor Corona begonnen hat. Hohe Energiekosten, hohe Biersteuern und billiger Alkohol im Supermarkt machen den Pubs das Überleben schwer. Dabei ist ein guter Pub so viel mehr als bloß eine Eckkneipe.

Räume voller Details - aber ohne Gäste

Dies ist ein 15-Uhr-Pub-Buch. Das muss man wissen, denn ein 15-Uhr-Pub-Buch ist etwas ganz anderes als ein 20-Uhr-Pub-Buch! Um 20 Uhr ist der Laden rappelvoll, es wird gelacht, getrunken, gequatscht, geschaut, geflirtet, getratscht, noch eins getrunken - kurz: Alles getan, was Leute tun, die sich an einem gepflegten, geschätzten Ort aufhalten, den es nicht an jeder Ecke gibt: in einem guten, englischen Pub mit anheimelnder Inneneinrichtung - was bedeutet: aus Holz, Holz und Holz.

Gegen 15 Uhr aber ist so ein Pub ein ganz anderer Ort. Beinahe menschenleer ist er. Man hat Zeit, die Räume im Detail zu betrachten. Die hufeisenförmige Bar im "Palm Tree" in London zum Beispiel mit den Musikerporträts knapp unterhalb der Decke, den alten orange-leuchtenden Kandelabern und der halb holzgetäfelten, halb palmblatt-tapezierten Wand.

Oder man kann die Kunstwerke an den Wänden des "Gunton Arms" in Norwich inspizieren, von massigen Rindviechern in Öl über bonbonbunte Pop- und Op-Art bis hin zu gefesselten nackten Sado-Maso-Frauen in Schwarz-Weiß-Aufnahme.

Oder sich in der "Boleyn Tavern" ein Bier (ohne Schaum) bestellen, am dunklen Tischchen vor den im Jugendstilmuster geätzten Scheiben eine mitgebrachte Zeitung aufblättern und in aller Ruhe lesen, entspannen, die Zeit vertun.

Oder: Fotos machen, wie Horst A. Friedrichs. Seine Pub-Interieurs sind edel, voller alter Ledersessel, gerahmter Spiegel, abgewetzter Tischkanten, gedimmter Deckenleuchten und armlanger Zapfhähne. Doch wo sind bloß die Gäste?

Gestellte Fotos wie für den Möbelprospekt

"Pubs sind für die Menschen da", schreibt John Warland im Vorwort, sinniert über zunehmend seltener werdende Orte "der Zuflucht, der Erfrischung, der Verpflegung. Oft sind sie das Herz einer Gemeinde, zugleich Treffpunkt, Bühne und Kummerkasten, und sie sind immer ein gutes Mittel gegen Einsamkeit." Right! Umso verblüffender, dass sie der Fotograf als einsame Orte nahezu ohne Gäste inszeniert. Die nostalgische Eleganz dieser wundervollen Pubs wäre doch auch mit Gästen im Bild deutlich geworden; man hätte über lederbejackte Schultern spähen, zwischen lachenden Gesichtern die Poster an der Wand betrachten und die Dartscheibe in Aktion erleben können. Stattdessen - gestellte Fotos wie für den Möbelprospekt. Hübsch und weitgehend leer, bis auf ganz wenige Ausnahmen.

Lediglich die drei Katzen auf dem Tresen im Bristoler "Bag of Nails" bringen Bewegung in die Aufnahmen.

Auch die junge Gothic-Schönheit mit Nasenpiercing und kajalschwarz-geschminkten Augen im langen grünen Keltenkleid, wie sie da draußen im Sonnenlicht vor dem Pub sitzt, schaut sie zwar ernst, aber nicht abweisend. Neben ihr ist noch ein Platz frei, man könnte bei einem Bier - oder meinetwegen Cider - ins Gespräch kommen.

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Und die lockere Vierer-Herren-Runde im "Golden Heart" scherzt und anekdotisiert und nimmt bestimmt gleich noch ein Bier, mindestens halbleer sind ihre Gläser schon. Wahrscheinlich schaut Wirtin Sandra Esquilant gleich an ihrem Tisch vorbei, die von sich sagt: "Frauen können einfach besser einen Pub führen als Männer, genau wie sie alles andere besser können."

Well! Das wäre bei einem Pint sicher leidenschaftlich zu diskutieren, und schon bald würde die Diskussion von dem marmorierten Bartischchen auf den ganzen Pub überschwappen - wenn, tja, wenn denn ausreichend Gäste da wären.

So aber, denke ich unter von niedriger Decke baumelnden Zinnkrügen, neben einem wohlig-knisternden Kaminfeuer, allein mit einem Brown Ale: Schön ist er, keine Frage, dieser Bildband über Englands Pub-Kultur. Eine Hommage an authentische, zerkratzte, herzwärmende Biertrinker-Refugien - doch viel schöner wäre das Buch geworden, hätte der Fotograf nach 20 Uhr fotografiert und mehr Leben zugelassen.

Great Pubs. Eine Reise durch Englands Pub-Kultur

Seitenzahl:
240 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Prestel
Bestellnummer:
978-3-7913-8890-8
Preis:
40 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 12.03.2023 | 16:20 Uhr

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