Monika Helfer sitzt auf dem Boden umgeben von Blumen und Pflanzen. © NDR Foto: Alexander Solloch

Bestsellerautorin Monika Helfer wird 75

Stand: 18.10.2022 06:00 Uhr

Monika Helfer wird am 18. Oktober 75 Jahre alt. Die Geschichte ihres Lebens und Schreibens ist seltsam: Sie schreibt und schreibt seit Jahrzehnten, aber der Erfolg kam erst vor zweieinhalb Jahren mit ihrem Roman "Die Bagage".

von Alexander Solloch

Der 18. Oktober - ein großer Tag für die deutschsprachige Literatur. Und was sagt die Jubilarin? "Mir doch egal." Monika Helfer mag es einfach nicht, Geburtstag zu haben: "Ich habe einige Geburtstage gehabt, an denen was passiert ist, was ich nicht mochte - nicht nur politische Sachen, auch private Sachen. Da habe ich gesagt: Ich will ihn gar nicht feiern, meinen Geburtstag."

Überraschungsbestseller nach langem mäßigem Erfolg

Trotzdem haben sich in den vergangenen Jahren die Feiertage rund um Monika Helfer gehäuft, wenn man "Feiertag" übersetzt als "Erscheinungstermin" (in ihrem Fall darf man das). Zwischen 2020 und 2022 hat sie drei große Romane veröffentlicht, jeder für sich ein Meisterwerk - zusammengenommen die schöne, traurige, verworrene Geschichte einer österreichischen Familie im 20. Jahrhundert.

"Hier, nimm die Stifte, male ein kleines Haus, einen Bach, ein Stück unterhalb des Hauses einen Brunnen, aber male keine Sonne, das Haus steht nämlich im Schatten. Vor dem Haus eine aufrechte Frau, sie hängt die Wäsche an die Leine. Jetzt gerade klammert die Frau eine Strampelhose fest und ein Jäckchen, also hat sie Kinder." Zitat aus "Die Bagage"

Einnehmend die Melodie ihrer Sprache, mit märchenhafter Ursprünglichkeit - wie am Lagerfeuer - erzählt, zugleich getragen von großer Kunstfertigkeit: Das ist "Die Bagage", die Geschichte von Armut, Schönheit und Stolz einer Familie in einem österreichischen Bergdorf, die Geschichte ihrer Großmutter. Ein sensationeller Erfolg, monatelang ganz vorn in der Bestsellerliste: "Ich denke mir immer, wenn man davon spricht: Da steht jemand neben mir, der hat es geschrieben und nicht ich", sagt Monika Helfer. "Ich glaube es einfach nicht! Ich schreibe schon so lange und meine Bücher sind immer so lala gelaufen. Dieses Buch, das war unglaublich. Ich freue mich natürlich total drüber!"

"Die Bagage", "Vati" und "Löwenherz": Drei Romane in drei Jahren

Inspiriert von diesem unerwarteten Erfolg ließ Monika Helfer schon im Jahr darauf "Vati" folgen und zuletzt den Roman "Löwenherz", in dem sie von ihrem Bruder erzählt, der scheinbar leicht durch seine Tage tänzelt, aber dann doch von der Schwere des Lebens überwältigt wird. Leicht, aber schwer; lustig, aber traurig - so liest sich diese Trilogie, in der die Autorin ihr Lebensthema variiert. Monika Helfer stammt aus dem Bregenzerwald nahe der deutschen Grenze und ist immer in Vorarlberg geblieben, diesem schönen Bundesland, dem ihr späterer Mann Michael Köhlmeier mit "Oho Vorarlberg" eine hingebungsvolle Hymne widmete.

Monika Helfer, die seit dem elften Lebensjahr erst ohne Mutter, dann auch ohne Vater aufwuchs, hat sich in all ihren Romanen und Erzählungen, schon in ihren ganz frühen Texten, für seltsame, komische, verzwickte Familienkonstellationen interessiert. Im Mittelpunkt stehen bei ihr meist die hin- und hergestoßenen Kinder, die damit klarkommen müssen, dass ihre Eltern selbst nicht klarkommen im Leben oder gleich ganz verschwinden. "Nach dem Tod unserer Mutti waren wir vier Kinder ja auch verwildert. Das ist einfach mein Thema", erzählt Helfer. "Wenn man nie behütet worden ist, hat man einen anderen Zugang zu Leuten, die ähnliche Biografien haben. Und es gibt ja wirklich viele, die keinen Halt haben. Denen fühle ich mich sehr zugetan."

Monika Helfer: Weniger schriftstellerische Hemmungen im Alter

Man könnte also sagen: Monika Helfer hat 40 Jahre lang hingeschrieben auf diese familienbiografische Trilogie. Andersherum ist es aber mindestens ebenso richtig: Diese drei Romane schreiben sich logisch ein in ihr bisheriges Werk. Sie sind nicht die Krone des Helfer'schen Erzählbaums, sondern wuchernde Verästelungen an ihm.

Warum der Erfolg erst so spät kam, das habe sie sich manches Mal gefragt, sagt Monika Helfer. Der Ruhm - und vor allem das Geld - wären früher nützlicher gewesen, als die vier Kinder noch klein waren und sie und ihr Mann - damals ebenfalls noch nicht erfolgreich als Schriftsteller - manches Mal nicht weiter wussten. Aber es ist schon okay so, wie es ist, sagte sie im Hamburger Literaturhaus vor einigen Monaten: Heute sei sie einfach auch die bessere Schriftstellerin: "Ich geniere mich auch nicht mehr. Als junger Mensch denkt man immer: 'Boah, das kann ich nicht schreiben! Da kränke ich jemanden.' Oder man hat Hemmungen. Ich habe überhaupt keine Hemmungen mehr", erzählt sie. "Mir ist das einfach egal. Das ist das Gute am Alter: Man wird ja eh irgendwann abtreten und dann kann man geschrieben haben, was man will."

Die vielen Geburtstage bis dahin wird Monika Helfer eher nicht feiern. Aber zu feiern werden hoffentlich noch etliche Erscheinungstermine sein; grade vor wenigen Tagen wieder - da kam ein Buch heraus, das sie gemeinsam mit ihrem Mann geschrieben hat: "Das Leben der Krawatten".

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 18.10.2022 | 09:20 Uhr

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