Zum Tod von Rolf Kühn: "Einmalige Stimme im Jazz"
Heute wurde bekannt, dass der Jazz-Klarinettist Rolf Kühn im Alter von 92 Jahren am Donnerstag gestorben ist. Stefan Gerdes aus der NDR Jazz Redaktion erinnert sich an den Musiker.
Du hast ihn gekannt und mit ihm gearbeitet - was für ein Mensch und Musiker war Rolf Kühn?
Stefan Gerdes: Er war wirklich eine einmalige Stimme im Jazz, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Aber das war nicht nur wegen seiner musikalischen Leistung, sondern auch wegen seiner Menschlichkeit. Er war eigentlich gar nicht Rolf Kühn, sondern einfach "der Rolf", er ist jeder und jedem, egal wie alt, auf Augenhöhe begegnet. Wir haben oft telefoniert, auch in den vergangenen Jahren, während der Pandemie, als er mit Anfang 90 mit aller gebotenen Vorsicht zu Hause saß und darauf wartete, endlich wieder auf die Bühne zu gehen. Diese positive Energie war - neben seiner Bescheidenheit und seiner aufrichtigen Freundlichkeit - so besonders an ihm. Immer hatte er neue Pläne, sprach immer vom nächsten Album oder dem nächsten Auftritt, sodass man sich eigentlich sicher war, dass es genauso immer weitergehen würde. Auf mich wirkte er in all den Jahren geradezu alterslos.
Der Lebensweg von Rolf Kühn war ein besonders langer und wechselhafter. Er hat alleine vier politische Systeme durchlebt: die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und später beide Deutschlands - in Ost und West. Wie sehr hat ihn das geprägt?
Gerdes: Das hat ihn ohne Frage geprägt. Vor allem dürfte dies für sein Verständnis von Freiheit, das immer in seiner Musik zu hören war, von Bedeutung gewesen sein. Rolf Kühn wurde 1929 in Köln geboren, wuchs in Leipzig auf. Sein Vater Kurt und sein Onkel waren bekannte Artisten. Seine Mutter Grete war Jüdin, sie wäre um ein Haar ins Konzentrationslager Theresienstadt gekommen. Und Rolf durfte als sogenannter "Halbjude" in der Zeit des Nationalsozialismus nicht offiziell Musik studieren, was er eigentlich wollte.
Als Jugendlicher hörte Rolf dann Jazz, eine Aufnahme von Benny Goodman, die tatsächlich sein Leben verändert hat. Nach ersten Engagements beim Rundfunk machte er etwas, das kaum je einem anderen deutschen Jazzer gelungen ist: Er ging 1956 nach New York und fand sofort Anschluss an die Szene. Da gelang es ihm nicht nur Benny Goodman zu treffen, er wurde auch in dessen Big Band aufgenommen, und Goodman übertrug ihm sogar, wenn er mal selbst keine Zeit hatte, die Leitung seiner Band. Alles bis Anfang der Sechziger.
Dann kehrte Rolf Kühn wieder zurück nach Deutschland, wo ihn sein Weg nach Hamburg, zum NDR, führte. Er übernahm dort die Leitung des Fernsehorchesters. Ein paar Jahre später half er seinem 14 Jahre jüngeren Bruder, dem Pianisten Joachim Kühn, aus der DDR in den Westen zu gelangen. Das war jetzt schon so viel - und ist eigentlich nur die Geschichte seiner ersten vier Jahrzehnte.
Es sollten noch weitere sehr reiche Jahrzehnte folgen. Besonders aktiv und erfolgreich war Rolf Kühn in recht hohem Alter. Da spielte er mit der jungen, wilden Berliner Szene und nahm preisgekrönte Alben auf. Was zeichnete den späten Rolf Kühn so besonders aus?
Gerdes: Neben seiner Erfahrung war das sicherlich seine Vielseitigkeit. Er hat an diversen Theatern gearbeitet und für die Bühne und den Film komponiert. Er hat alle wesentlichen Stile des Jazz noch persönlich erlebt und erfahren - und er konnte sie auch spielen. Rolf konnte swingen und Melodien zaubern, er hatte gleichzeitig aber auch eine sehr kantige, kraftvolle und freigeistige Seite. Das machte sein Spiel so intensiv und unverkennbar. Aus meiner Sicht war das besonders gut in seinen Aufnahmen mit seinem Bruder Joachim zu hören. Diese Spontanität und die Frische hat sich Rolf Kühn immer bewahrt. So hat er noch mit fast 90 eine neue Band mit der jungen Hamburger Bassistin Lisa Wulff gegründet, die wir wenig später auch ins Rolf-Liebermann-Studio eingeladen haben.
Dann kam allerdings die Pandemie. Er nahm die wenigen Möglichkeiten wahr, die es gab, um zwischendurch Konzerte zu spielen. In Hamburg konnte man ihn zuletzt beim Elbjazz erleben; danach ging er nicht direkt ins Bett, sondern tauchte zu später Stunde noch bei einem Konzert von jungen befreundeten Musikern in der Kirche auf, die er unbedingt sehen wollte. Am Ende wartete er nachts vor der Kirchentür fast eine Stunde lang übermüdet, aber geduldig auf ein Taxi, das einfach nicht kommen wollte. Das war meine letzte Begegnung mit ihm.
Sein Auftritt beim Elbjazz war auch sein letztes Konzert. Danach ging er noch mal ins Studio, nahm auf und freute sich eigentlich schon auf den Herbst, auf die Tournee mit seiner Band und mit seinem Bruder Joachim. Das alles findet nun nicht mehr statt. Mit Rolf Kühn ist wirklich einer der Großen des Jazz gegangen.
Das Gespräch führte Peter Helling.