Julia Hölscher © Sandra Then Foto: Sandra Then

Zu wenig Publikum: Was muss das Theater heutzutage leisten?

Stand: 12.09.2022 15:48 Uhr

Die Corona-Pandemie ist und bleibt auch für die Theater eine große Herausforderung. Die Corona-Maßnahmen sind zwar weitgehend weggefallen, aber trotzdem scheint das Publikum immer noch skeptisch zu sein.

Die Regisseurin Julia Hölscher kennt die Theaterszene sehr gut. Sie arbeitet am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und unterrichtet Regie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

Frau Hölscher, an welchen Stellschrauben können Theater drehen, um das Publikum langfristig zurückzugewinnen?

Julia Hölscher: Das Theater muss transparenter, sichtbarer werden, muss ein bisschen sein Elfenbeinturm verlassen, in dem es sich teilweise befindet. Es fängt auf der Straße an, mit der Art, wie Werbung gemacht wird, aber auch mit Events in der Stadt, um die Leute einfach mal einzuladen. Vielleicht auch mal eine kleine Sache umsonst anzubieten, damit die Leute wieder Lust auf dieses Live-Erlebnis Theater, was nur von Mensch zu Mensch geht und was in der Corona-Pandemie im digitalen Raum nur bis zum gewissen Grad funktioniert hat.

Würden Sie also sagen, man muss das Theater offener machen, um neue Menschen dafür zu begeistern?

Hölscher: Ja, vor allem müssen wir die jungen Menschen fürs Theater begeistern, weil das die Zuschauer*innen unserer Zukunft sind. Das ist eine Aufholjagd, die das Theater machen muss. Sich zu trauen, mehr an Schulen heranzutreten und das mehr zu forcieren: Da sind wir und wir freuen uns auf euch. Wir haben Geschichten zu erzählen, die euch auch interessieren.

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Was macht generell manche Stücke erfolgreicher als andere?

Hölscher: Zum einen die Themen, Aktuelles, aber auch Handschriften, Erzählweisen, die Menschen gerne wieder sehen wollen. Es gibt Regisseur*innen, die sehr klar eine Struktur haben, wie sie erzählen, und das lieben die Menschen, da gehen sie rein, weil sie etwas wiedererkennen. Andere Regisseur*innen überraschen mit ihrer Truppe, und das macht die Leute plötzlich aufmerksam. Ich finde, da gibt es also zwei verschiedene Wege.

Was glauben Sie, was das Publikum heute sehen will? Was muss das Theater heutzutage leisten?

Hölscher: Erstens muss es sich in den aktuellen Diskurs mit einordnen und auch Themen auf die Bühne bringen, mit denen sich das Theater im klassischen Sinne nie groß beschäftigt hat. Gerade unsere Jugendkultur und die Themen, die jetzt durch die Gesellschaft treiben. Sie sollen aber auch unterhalten. Das ist eben der Spagat zwischen: Wir wollen relevant und politisch sein und andererseits wollen wir auch, dass die Zuschauer mal kurz abschalten. Also nicht nur das Schlimmste erzählen, aber auch Wichtiges erzählen.

Es wird immer wieder die Frage diskutiert, ob Theater heutzutage überhaupt noch relevant ist oder ob die meisten Stücke zu sehr auf ein kleines Spezialpublikum zugeschnitten sind. Wie ist Ihre Position dazu?

Hölscher: Ich bin selber gerade in einem Umbruchprozess, weil ich merke, dass einige Geschichte so gar nicht mehr zu erzählen sind. Gerade die Frauenrollen in Theaterstücken sind teilweise fürchterlich. Sie sind Opfer und werden von den Männern umgebracht. Die Themen, die wir haben, die wir suchen, wie Gleichberechtigung oder Diversität, die gibt es in vielen Stücken nicht, weil sie oft in einer Zeit geschrieben wurden, wo diese Thema nicht vorhanden waren, zumindest nicht am Theater. Es gibt alte Stücke, die das können und auch schaffen - schon Kleist hat Texte geschrieben, die allgegenwärtig sind. Aber natürlich müssen wir auch gucken, was wir heutig erzählen und wie wir an heutige Stoffe kommen.

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Sie sind nicht nur Regisseurin, Sie unterrichten auch Regie, zum Beispiel an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Was hat sich im Regiefach in den letzten Jahren verändert?

Hölscher: Die jungen Menschen wollen viel mehr aus ihrer Gruppe heraus, aus ihrer Community erzählen. Es ist nicht mehr das Regie-Genie, was da sitzt und über alle waltet, sondern es gibt ein großes Interesse, alle mitzunehmen. Das ist weniger hierarchisch, fast demokratisch, aber gleichzeitig ist es auch wichtig, dass junge Regisseur*innen die Zügel trotzdem ein bisschen in der Hand behalten. Das versuche ich auch den Leuten zu sagen: Versucht trotzdem den Überblick zu behalten und euch nicht komplett in der Gruppe zu verlieren. Weil manchmal müsste ihr einfach sagen: So ist es und so nicht. Aber ihr könnt es natürlich in einem viel größeren Gruppenprozess machen.

Ganz lustig ist, dass ich jetzt auch viel mehr auf diese Weise arbeite. Durch die Studierenden merke ich auch immer wieder, dass es auch anders geht. Ich merke selber, wenn bei mir irgendwelche alten patriarchalen Strukturen aufgehen, und denke: Stopp, Julia! Drei Schritte zurück und bitte nochmal ein bisschen offener für alle.

Macht Ihnen die Arbeit mit den jungen Regisseurinnen und Regisseuren Hoffnung auf eine er gute Zukunft des Theaters?

Hölscher: Absolut. Weil wir wirklich versuchen, ihre Themen auf die Bühne zu bringen. Ich versuche den Studierenden immer zu sagen: Denkt nicht so viel darüber nach, wie das aussieht, was ihr macht - erzählt uns das, was euch auf der Seele brennt. Denn das können wir so nicht sehen. Ich bin ja 20 Jahre älter als meine Studierenden, und da gibt es oft Dinge, die ich gar nicht mehr nachfühlen kann. Ich finde es wichtig, dass sie mir immer wieder einen Blick auf ihre Generation geben und es schaffen, das im Theater dann umzusetzen, damit das Theater eine Frischzellenkur bekommt.

Das Gespräch führte Anna Kremer.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 12.09.2022 | 17:15 Uhr

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