Zögerliches Publikum bei Festspielen MV: "Das reißt ein großes Loch"
In Sachen Corona-Schutz sind die meisten Beschränkungen für Kulturinstitutionen gefallen - trotzdem bleiben die Menschen zögerlich. Wo bleibt das Publikum? Ein Gespräch mit Ursula Haselböck, Intendantin der Festspiele MV.
Frau Haselböck, in knapp zwei Wochen geht es los bei den Festspielen. Wie sieht es bei Ihnen aus mit dem Kartenvorverkauf?
Ursula Haselböck: Am 18. Juni geht es in der Konzertkirche Neubrandenburg los. Es ist - anders als in den letzten Jahren - so, dass wir für viele Konzerte noch gute Karten haben. Das Publikum ist zögerlich und man merkt, dass die letzten zwei Jahre einem in den Knochen sitzen. Wir hoffen natürlich, dass das Publikum so zurückkommt, wie wir es gewohnt sind, um wieder volle Säle genießen und möglichst vielen Kulturgenuss bieten zu können.
Glauben Sie, dass die Menschen noch Angst vor Ansteckung haben? Oder haben Sie sich daran gewöhnt, zu Hause zu bleiben?
Haselböck: Wenn wir wüssten, woran es läge, wären wir alle weise, reiche Menschen. Ich glaube, es sind viele Faktoren, die hier zusammenkommen. Man hat sich vielleicht in den letzten zwei Jahren daran gewöhnt, dass es zu Hause auch gemütlich ist. Es ist sicherlich bei dem einen oder anderen auch Sorge dabei: zum einen vor einer Ansteckung, denn Corona ist noch Thema und noch nicht hundertprozentig vorbei. Oder auch die Sorge, dass es wieder zu Änderungen, zu Einschnitten kommt, dass man wieder Tickets zurückgeben muss, dass Konzerte nicht stattfinden und so weiter. Da hat unser Publikum in den letzten zwei Jahren viel mitmachen müssen, und da ist die Verunsicherung groß.
Glauben Sie, dass es auch demografische Ursachen haben könnte? Das Hurricane-Festival zum Beispiel ist ausverkauft.
Haselböck: Ich merke, dass unser klassisches Publikum meist wild entschlossen ist und oft die Jüngeren in größerer Sorge sind. Wir sind ja sehr breit aufgestellt: Wir haben von dem klassischen Symphoniekonzert über Kammermusik auch Veranstaltungen wie das Kleine Fest im großen Park, das gar nicht unser typisches Kulturpublikum anspricht, sondern ein breites Publikum, das sehr lokal verankert ist. Und auch da merken wir große Zurückhaltung. Das zeigt, dass es ein generelles Problem ist und nicht ein Problem der klassischen Konzertveranstalter.
Kann es auch mit der allgemeinen Lage zu tun haben, mit einer großen Verunsicherung, dass die Menschen auch weniger Geld in der Tasche haben? Muss man da vielleicht auch an den Preisen was drehen? Kann man da überhaupt was drehen?
Haselböck: Ich glaube, dass viele Faktoren zusammenkommen. Wir sind ein Flächenfestival. Wir sind in ganz Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Die Benzinpreise laden auch nicht unbedingt dazu ein, spontan ins Auto zu springen und ein paar Kilometer zurückzulegen. Wir selbst merken auch, dass die günstigeren Kategorien bei uns noch stärker gebucht sind als sonst. In puncto Preise sind wir allerdings wahnsinnig günstig. Das ist uns ein großes Anliegen, um wirklich allen einen Konzertbesuch möglich zu machen. Wir sind zu 50 Prozent aus Ticketing finanziert, und das reißt jetzt ein großes Loch bei uns. Deswegen hoffe ich sehr, dass unser Publikum wieder zurückkommt - einerseits aus wirtschaftlichen Gründen und andererseits, weil Konzerte mit vollen Sälen den Künstlerinnen und Künstlern und auch dem Publikum erst Freude bereiten.
Für welche Veranstaltungen gibt es denn noch Karten, die normalerweise wahrscheinlich verkauft wären?
Haselböck: Das ist die gute Nachricht: Wir haben erst im April unsere Kapazitäten auf 100 Prozent geöffnet; bis dahin war noch nicht klar, ob wir aus 50 Prozent Maximalkapazität herauskommen. Daher gibt es eigentlich für fast alle Veranstaltungen noch Karten, auch in guten Kategorien. Ich höre oft: Ihr seid ja eh immer ausverkauft! In diesem Jahr ist die gute Nachricht, dass man wirklich für Konzerte, die sonst wirklich immer ausverkauft sind, Konzerte mit absoluten Weltstars, jetzt noch gute Karten bekommen kann.
Welche Weltstars zum Beispiel?
Haselböck: Patricia Kopatchinskaja ist zu Gast in Ulrichshusen bei einem ganz besonderen Wochenende rund um das Thema Wald. In Redefin sind zum Beispiel Arthur und Lucas Jussen, die wunderbaren Pianisten, zu Gast. Auch Daniel Müller-Schott mit BBC Symphony. Wir haben uns in diesem Jahr einen neuen Schwerpunkt gesetzt: in die nicht ganz klassische Ecke zu gehen. Max Herre ist nicht nur ein Held meiner Jugend, sondern ein ganz großartiger Musiker, der zu Gast ist, Max Mutzke kommt. Da haben wir für jeden etwas zu bieten, auch für die, die normalerweise nicht im klassischen Konzert zu finden sind.
Was gibt es noch Schönes bei dem Festival zu erleben?
Haselböck: Das Kleine Fest im großen Park in Ludwigslust habe ich schon genannt - das ist auch etwas für Familien. Wir haben viele Familienkonzerte: Unser Kinder- und Familientag am 19. Juni im Schlosspark Hasenwinkel ist eines dieser Highlights. Michael Wollny, der großartige Jazzpianist, spielt live Filmmusik zu "Nosferatu", der wunderbare Film, der seinen 100. Geburtstag feiert, und das am Originalschauplatz, nämlich Open Air im Hafen von Wismar. Rudolf Buchbinder ist zu Gast und natürlich unser Preisträger in Residence, Emmanuel Tjeknavorian, der in über 20 Konzerten den Sommer mit uns erleben wird und zum Beispiel eine originale Violine, die Mozart gespielt hat, mit nach Mecklenburg-Vorpommern bringt.
Das Interview führte Eva Schramm.