Eine Frau mit kurzen Haaren, Brille und gelber Strickjacke lächelt offen in die Kamera © Staatstheater Hannover Foto: Kerstin Schomburg

Schauspiel Hannover: Mit Freude und Energie in die neue Saison

Stand: 05.09.2022 15:06 Uhr

Das Schauspiel Hannover startet am 16. September mit "Hamlet" in die neue Saison. Intendantin Sonja Anders spricht über den neuen Spielplan und wie sie das Publikum zurückgewinnen will.

Auch das Schauspiel Hannover kämpft um die Rückkehr seiner Besucher. Hoffeste, eine Flatrate für Studierende, ein "Spielzeitfrühstück" und ein breit aufgestelltes Programm zwischen leichten Stoffen und Stücken, die die Besucher fordern, sollen dabei helfen. "Hamlet" steht also ebenso auf dem Spielplan, wie "Der nackte Wahnsinn" und der Versuch, mit dem jungen Publikum verstärkt Kontakt aufzunehmen. Ein Gespräch mit Intendantin Sonja Anders.

Frau Anders, wie gehen Sie um mit dieser Situation?

Sonja Anders: Als Intendantin eines großen Hauses mit insgesamt 1.000 Mitarbeitenden habe ich auch die Aufgabe, die Laune hochzuhalten - das betrifft auch das Publikum. Ich glaube, es nützt gar nichts, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken und sich nur zu grämen darüber, dass noch nicht die Post abgeht. Stattdessen versuchen wir verstärkt aufs Publikum zuzugehen - wir haben am Wochenende ein Hoffest gehabt, bei dem 3.500 Menschen waren - um den Menschen zu vermitteln, dass wir mit einer gewissen Form der Freude und vor allen Dingen mit einer hohen Energie in die Spielzeit starten.

Was hatten Sie für ein Gefühl, als sie die Menschen getroffen haben, wie sind die Ihnen begegnet?

Anders: Das Tolle ist, dass wir schon in der letzten Spielzeit, die nur zum Teil gut besucht war, das Gefühl hatten, dass die, die da sind, voller Freude und Energie sind. Dass die auch gleichzeitig wirkliche Fans sind. Ich glaube, es geht jetzt viel mehr um die, die nicht kommen. Vorgestern war es wirklich eine schöne Atmosphäre, es waren viele Fans da und viele Familien, die beim Kinderschminken und bei dem großen, reichhaltigen Programm dieses Hoffestes auch profitiert haben. Die Nicht-Besucher - das ist das, wo wir jetzt ran müssen.

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Die Debatte über das Theaterpublikum ist den ganzen Sommer geführt worden. Da hat man von bürgerlich-gemäßigt Konservativen das Argument gehört: Im Stadttheater wollen die mich wieder nur erziehen! Kennen Sie das? Müssen Sie auch mit solchen Positionen umgehen?

Anders: Ja, natürlich. Ich finde übrigens, dass die meisten Stadttheater eine gute Mischung hinkriegen zwischen sehr unterhaltsamen Stoffen und auch solchen, die sich den komplexeren Dingen unserer Gegenwart widmen. Ich würde das auch für mich so beschreiben: Es gibt Stoffe, die sind schwieriger zu nehmen, die sind für Menschen, die den Diskurs lieben. Und dann gibt es solche, die ganz einfach zu konsumieren sind. Das ist auch die Aufgabe für so ein Stadttheater.

Es gibt auch Menschen, denen alles zu viel wird, die bewusst keine Nachrichten schauen, die sehr genau dosieren, was sie wahrnehmen. Kann das auch ein Hinderungsgrund sein, abends ins Theater zu gehen?

Anders: Ich glaube schon. Wir haben festgestellt, dass durch die Corona-Pandemie viele Menschen aus Angst weggeblieben sind. Ein paar sind vielleicht auch aus Gewohnheit weggeblieben, weil die Gewohnheit nicht mehr zwingend war. Wir haben dann mit Eintreten des Krieges noch mal einen Knick gehabt. Das hat nicht nur finanzielle Gründe, sondern die Menschen verfallen ein wenig in eine Starre oder ziehen sich zurück. Und da müssen wir sie wieder hervorlocken.

In dem Editorial zur neuen Spielzeit haben Sie geschrieben, dass sie dauerhaft mit dem Publikum in Dialog treten wollen. Wie wollen Sie das dauerhaft realisieren?

Anders: Es ist eine Menge Arbeit. Ich würde aber auch sagen, dass das mit dem Gestus zu tun hat. Das hat damit zu tun, was wir alles anbieten, aber auch, wie wir es anbieten. Wir haben den Jungen gegenüber generell sehr offene Türen. Wir haben auch viele Schüler*innen und Student*innen bei uns im Publikum. Es gibt eine Flat für die Student*innen: Sie zahlen keinen Cent, und die Studierenden sind auch viel da. Eine Inszenierung wie "R-Faktor", die um Rassismusfragen im Kulturbetrieb geht, ist super besucht, da kommen junge Menschen. Das ist auch unsere Aufgabe, das ist unser zukünftiges Publikum.

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Junge Menschen anzuziehen, das schafft Theater in der Regel besser als Oper und klassische Musik. Woran liegt das?

Anders: Ich glaube, dass Theaters flexibler und einen Hauch direkter ist. Es agiert inzwischen auch mit den Mitteln der Musik, des Tanzes - da sind wir ganz interdisziplinär geworden, und ich glaube, das gefällt den Leuten. Dann ist die Aktualität, die wir bieten können, etwas, was die Leute reizt. Vielleicht ist die Schwelle ein bisschen niedriger, die Gebäude sind in der Regel freundlicher. Wir haben auch versucht, unser Gebäude zu öffnen und haben ganze Reihen, die "Universen", für die Stadtgesellschaft kreiert. Das fällt uns ein bisschen leichter. Da tut sich aber auch viel in der Oper.

Konnten Sie diese Spielzeit auf einem weißen Blatt Papier planen? Oder waren noch ganz viele Produktionen übrig, die in den letzten Jahren nicht realisiert werden konnten?

Anders: Nein, wir haben eine relativ normale Spielzeit vor uns, so denn alles normal bleibt. Wir haben nicht viele Verschiebungen drin. Wir haben in der letzten Spielzeit nur wenig abgesagt, haben viel gespielt und versuchen auch über eine große Präsenz und Zuverlässigkeit das Publikum wiederzukriegen.

Wie sind Sie in dieser Gegenwart, in der wir mit unterschiedlichsten Krisen gleichzeitig zu tun haben, inhaltlich herangegangen?

Anders: Wir haben uns angeschaut, was gerade die Brennpunkte sind - da kommen wir als Theaterschaffende nicht drumherum. Dieses große Thema der Instabilität, der Angst vor der Zukunft, vor sozialem Abstieg - das haben wir versucht zu übertragen, zum Teil in freudvolle Stücke. "Der nackte Wahnsinn" hört sich nach krachender Komödie an und es sicherlich auch - es geht aber gleichzeitig auch darum, dass jede einzelne Figur in diesem Stück um etwas kämpft: zu bestehen, nicht abzusteigen, anerkannt zu werden. Wir haben über eine große Bandbreite versucht, diese gesellschaftlichen Strömungen oder Tendenzen umzusetzen.

Die Spielzeiteröffnung ist am 16. September mit "Hamlet". Direkt am nächsten Tag gibt es eine deutschsprachige Erstaufführung: "Rivka" von Judith Herzberg. Was ist das für ein Stück?

Anders: "Rivka" ist ein ganz tolles Stück von der großen niederländischen Dichterin Judith Herzberg. Es spielt 1942 in den Niederlanden. Es ist ein Stück um ein junges Ehepaar, was die Koffer packt, nachdem es ihre Tochter weggegeben hat. Das Kind haben sie zur Rettung weggegeben, und sie selber müssen auch fliehen. Es hört sich nur dramatisch an, wenn man das hört, aber Judith Herzblatt ist berühmt dafür, dass sie sich mit einer großen Leichtigkeit und einem Humor Themen annimmt, die sie selbst mal betroffen haben. Ich finde, das ist ein sehr feines Stück: Es ist klein, spielt im Ballhof Zwei, und wahrscheinlich muss man sich sehr bemühen, dort Karten zu bekommen, weil wir eine begrenzte Platzanzahl haben.

Es gibt auch einen "Spielzeit-Frühstück" - was hat es damit auf sich?

Anders: Da geht es um das Thema: Wie kommen wir ans Publikum heran? Wie vermitteln wir unser Programm? Wie entwickeln wir unser Publikum? Das ist ein sehr lockeres, leichtes Format, in dem wir auch mit dem Publikum in Dialog treten. Die Schauspielenden werden da ein bisschen aus den Produktionen vorlesen und meine Dramaturgie und ich werden gemeinsam präsentieren, wo wir hinwollen und wozu wir einladen.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 05.09.2022 | 16:30 Uhr

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