Henning Mankell (links) und Axel Milberg © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Fabian Bimmer
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AUDIO: Milberg über Mankell: "Er wollte gar kein Kriminalschriftsteller sein" (10 Min)

Milberg über Mankell: "Er wollte gar kein Kriminalschriftsteller sein"

Stand: 04.02.2023 01:03 Uhr

Henning Mankell wäre am 3. Februar 75 Jahre alt geworden. Im Interview erinnert sich der Schauspieler Axel Milberg an den Schriftsteller, den er zu vier "Tatort"-Geschichten überreden konnte.

Mit seinen Wallander-Kriminalromanen hat er in aller Welt Millionen Leserinnen und Leser begeistert. Insgesamt zwölf Bücher sind mit dem grummeligen, eigenbrötlerischen Kommissar, der Opern liebt und in der schwedischen Provinz ermittelt, in Deutschland erschienen. Weitere Romane von Mankell spielen in Afrika. In ihnen setzte sich der politisch und sozial sehr engagierte Autor unter anderem mit den Themen Ausbeutung und Armut auseinander. Auch zu Norddeutschland hatte Henning Mankell eine durchaus enge Beziehung - und die haben wir dem Schauspieler Axel Milberg zu verdanken, der mit ihm gut befreundet war.

Herr Milberg, wie haben Sie und Henning Mankell sich kennengelernt?

Axel Milberg: Ich hatte den Hanser Verlag gebeten, einen Kontakt herzustellen, nachdem ich Anfang der 90er-Jahre seine Kriminalromane gelesen hatte und atemlos gebannt war, was der Mann kann. Ich bin sonst nicht der Krimi-Autor-Leser, aber das war was anderes. "Die falsche Fährte", "Die fünfte Frau" - ich musste diesen Mann irgendwie kennenlernen. Nachdem wir in Kiel den "Tatort" entwickelt hatten, habe ich irgendwann die Dinge zusammengedacht: Wäre das toll, wenn dieser Mann aus Schweden einen Blick auf die andere Stadt an der Ostsee werfen kann - ein fremder Blick aus dem Norden - und für den "Tatort" etwas entwickelt. Also trafen wir uns, vermittelt durch den Hanser Verlag Zsolnay, wo er seine deutschen Bücher herausbrachte. Bei diesem ersten Treffen, wo ich mit Engelszungen auf ihn einredete und Ähnlichkeiten zwischen uns heraufbeschwor, sagt er dann doch am Ende, er glaube nicht.

Es kam zu einem zweiten Treffen, als er seinen Roman "Der Chinese" vorstellte und ich die deutsche Stimme bei den Live-Lesungen war. Da wurde er auf mich aufmerksam und erinnerte sich, obwohl das etwa fünf Jahre später war, an meine Bitte und sagte: "Spielen Sie noch die Kriminalfilme?" Ich sagte ja, und er bot an, ohne dass ich meine Bitte erneuert hätte, doch Geschichten zu schreiben. Und so kamen vier Storylines, also Exposés und Geschichten, aus seiner Feder zum NDR.

Also war er anfangs nicht leicht zu erobern, richtig?

Milberg: "Ich glaube nicht", hatte er in Frankfurt gesagt - also immerhin freundlich. Aber der Mann hatte ja zu tun. Er verbrachte sein halbes Leben in Maputo in Mosambik, arbeitete dort am Theater und entwickelte Inszenierungen mit den Menschen, die dort lebten. Er hatte auch einen eigenen Verlag, schrieb und war viel auf Reisen. Er war überhaupt ein ungeduldiger Mensch, aber überhaupt nicht egozentrisch, ich-bezogen oder arrogant. Ganz im Gegenteil, er stellte Fragen, er wollte zuhören, er wollte Geschichten erfahren. Er ging auch in den vielen Städten, wo wir uns trafen, gerne alleine vorher noch durch die Stadt und schaute sich um. So hat er es auch in Afrika gemacht: Er ließ sich Geschichten erzählen, die er notiert hat und die dann auch seine politische Haltung bestimmten.

Haben Sie mit ihm auch über Politik diskutiert? Diesbezüglich war er ja sehr meinungsstark, was man auch in seinen Romanen spürt.

Milberg: Wir haben auch über Politik gesprochen, auch diskutiert. In manchen Dingen war ich auch anderer Meinung. Ich nenne ein Beispiel: Er war der Überzeugung, dass jedem Verbrechen - und die kommen ja in seinen Kriminalromanen reichlich vor - ein anderes Verbrechen vorausgehe. Ich hielt dagegen und meinte, es gebe Verbrechen aus Lust am Töten oder einem anderen, schwer nachvollziehbaren Motiv, ohne dass ein Verbrechen dem vorausgegangen sei. Aber das war seine Haltung und sie war natürlich hochpolitisch, wenn man an die Verbrechen der Kolonialzeit denkt.

Sie haben viele Hörbücher von ihm eingelesen, haben ihm bei Lesungen Ihre Stimme geliehen und waren fasziniert von seinen Kriminalromanen. Was zeichnete ihn besonders als Autor aus?

Milberg: Es klingt vielleicht komisch, aber was ihn auszeichnete, so wie ich diese Kriminalgeschichten am Anfang erlebte, war sein ungeheurer Fleiß. Er hat hundert falsche Fährten erzählt in einem sehr realistischen Ton; jede war spannend, jedes Mal hätte es sein können - und jedes Mal war sie am Ende falsch und verlief im Sand. So hat er eigentlich ein Porträt der schwedischen Gesellschaft in den 90er-Jahren und den Jahrzehnten danach zeichnen können. Das war sein Hauptanliegen - auch wieder politisch. Er sagte mir mal, er wollte gar kein Kriminalschriftsteller sein, als der er auf der ganzen Welt gefeiert wurde, sondern er wollte eigentlich gegen Fremdenfeindlichkeit anschreiben. Dafür brauchte er eine Hauptfigur, fand dann diesen Wallander, und so konnte er sein politisches Engagement in Geschichten erzählen. Es fesselte einfach wahnsinnig. Ich habe abends um neun Uhr angefangen - und irgendwann schaute ich auf die Uhr, und es war halb vier. So lange hatte ich geblättert und geblättert und war in dieser Geschichte vollkommen versunken und verloren. Das zeichnete ihn aus. Es war gar nicht vom Intellekt oder so gesteuert, sondern ich war einfach "addicted".

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Als Sie ihn dann überreden konnten, tatsächlich mit Ihnen Drehbücher zu zwei Kieler "Tatort"-Folgen zu schreiben - konnte er sich dann gut einfühlen in die norddeutsche Seele?

Milberg: Ich glaube ehrlicherweise, er hat die norddeutsche Seele gar nicht so im Auge gehabt. Er hat Geschichten geschrieben, die wahrscheinlich so auch in Schweden hätten spielen können. Es war eine Anstrengung für unsere Drehbuchautoren, das zu adaptieren. Trotzdem blieb genug übrig von Mankell in diesen Geschichten. Er hat auch mal beim Hamburger Filmfest neben mir gesessen, als eine dieser Geschichten mal im Kino gezeigt wurde. Aber es war eigentlich das, was ich ursprünglich wollte: sein Blick auf die Gesellschaft, die Eliten, das Korrupte - das, was ihn eben so ausgezeichnet hat.

Wenn Sie an ihn denken, haben Sie einen bestimmten Augenblick im Kopf, der typisch für ihn oder für Ihre Freundschaft war?

Milberg: Ich sehe ihn in unserem letzten Moment, wo wir uns in München begegnet sind, aus dem Restaurant davongehen, wo meine Frau und ich ihn getroffen hatten. Ich sehe ihn die Maximilianstraße entlanggehen, um in die Münchner Kammerspiele zu gehen und sich eine Theatervorstellung anzuschauen. In den Münchner Kammerspielen war ich ja selber 17 Jahre lang als Schauspieler tätig. Diese beiden Dinge, der Mensch Mankell und dieser Ort in der Maximilianstraße, kamen da zusammen, und das war der letzte Augenblick, wo ich ihn sah. Wir waren dann noch schriftlich in Kontakt, und auch das nächste Buch "Treibsand", wo er über das Sterben und seinen sehr persönlichen Abschied von dieser Welt schreibt, habe ich eingelesen. Da war er unter dem Eindruck seiner Krebsdiagnose. Aber dieser später doch melancholische Blick in seinen Rücken, wie er die Maximilianstraße alleine entlanggeht, das war eigentlich der Abschied und an den denke ich öfters.

Das Interview führte Eva Schramm.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 03.02.2023 | 14:20 Uhr

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