Zwei Umweltaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" haben sich in der Gemäldegalerie Alte Meister an dem Gemälde "Sixtinische Madonna" von Raffael festgeklebt. © picture alliance/dpa Foto: Sebastian Kahnert

Letzte Generation: "Meine Sympathie ist mit den Aktivisten"

Stand: 25.08.2022 17:53 Uhr

Mitglieder der "Letzten Generation", des Protestkollektivs gegen die Klimakatastrophe, haben auf sich aufmerksam gemacht, indem sie sich in Museen in Dresden und Frankfurt an Gemälden festgeklebt haben.

Ein Gespräch mit Alexander Klar, dem Leiter der Hamburger Kunsthalle.

Herr Klar, der Klimaaktivist Raúl Semmler, der in Frankfurt an der Aktion beteiligt war, sagte: "Kunst muss irritieren, Kunst muss neue Wege aufzeigen. Und genauso müssen dies Aktivist*innen tun. Unsere Bundesregierung führt uns gerade in einen zerstörerischen Kurs, und das ist nicht übertrieben. Deswegen brauchen wir jetzt Handlungen, die wirklich etwas riskieren. So wie früher Künstler*innen riskiert haben, so riskieren wir auch heute und werden dies auch weiterhin tun. Deswegen werde ich mich jetzt gleich an ein Bild ankleben, denn wir sehen keine anderen Mittel mehr, als überall, wo es geht, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen." Was würden Sie ihm antworten?

Alexander Klar: Das ist ein schöner Dreisprung von Aktivismus zu Kunst. Das liegt ja im Zahn der Zeit. Aber ich würde das nur beschränkt als einen künstlerischen Akt wahrnehmen, sich mit Sekundenkleber an einen Goldrahmen anzukleben. Aber ein netter Versuch.

Wenn ich kurz die Perspektive der Aktivisten einnehme: Der Anlass ist da, wir müssen nur aus dem Fenster gucken. Die Aufmerksamkeit ist riesig - super Protestform, oder?

Klar: Absolut. Wir haben hier auch überlegt, wie wir reagieren würden und haben unsere Aufsichten gebeten, um Gottes Willen nicht zu versuchen, die Aktivisten mit Gewalt von irgendwas abzuhalten. Man kann sich alles Mögliche suchen, an das man sich dranklebt, und vielleicht ist es besser, wenn sie sich an Goldrahmen ankleben als auf Eisenbahngleise, weil das gefährlicher ist. Es ist schön, dass Museen offensichtlich als Plattform wahrgenommen werden, an denen man so etwas machen kann. Das zeigt doch so einen Paradigmenwechsel. Irgendwann waren Museen die Orte, an denen niemand ist, da brauchte man keinen Protest machen. Wenn wir jetzt die Orte sind, wo man sich dranklebt, sind wir eine Plattform geworden. Das sollte uns freuen.

Könnten Sie sich vorstellen, ohne dass das vorher angekündigt wird, auf diese Aktivisten zuzugehen? Man kann auch andere Formen wählen, die Aufmerksamkeit in Museen erzeugen.

Klar: Ich glaube, dass sehr viele Menschen damit sympathisieren. Es steht außer Frage, dass wir gerade sehr verzweifelt und mit hoher Konzentration versuchen, uns selbst als Klimasünder aus dem Schussfeld zu nehmen, indem wir Einsparungen im großem Stil vornehmen, die auch wirksam werden. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir eine Institution sind. Es ist ganz schwierig. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass jeder einzelne von uns vielleicht so etwas Ähnliches auch tun wollen würde. Aber das finde ich blöd. Man stellt irgendwann fest, dass die Proteste lauter, böse und schmerzhafter werden müssen, wenn wir alle so wohlwollend sind. Ich bin da hin- und hergerissen. Ich glaube, dass das eine gute Aktion gewesen ist, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich befürchte aber, dass die mehr wollen, und wir müssen auch mehr leisten. Und ob wir das tun? Wir sind so eine träge Gesellschaft.

Sie haben die Aufsichten im Museum angewiesen, bloß keine Kämpfe anzufangen. Was tun Sie denn im Moment, um die Kunsthalle zu schützen?

Klar: Wir haben unseren Aufsichten gesagt, dass sie das hinnehmen mögen. Es soll die Sicherheit im Raum für Mensch und Objekt gewährleistet sein. Wir können da nichts tun. Wir sind ein offenes Haus, und es könnten hier viele Dinge passieren. Wir haben einen freundlichen Einlass, der checkt, dass man nicht mit einer Rohrbombe reingeht. Handtaschen und Rucksäcke müssen eingeschlossen werden, damit die nicht aus Versehen an die Gemälde rankommen. Es gab Zeiten, da waren Säureattentate en vogue - das ist zum Glück zurückgegangen. Das war ein größeres Problem, weil das nicht reversibel war. Jetzt sind die meisten Gemälde in den meisten Museen verglast - insofern ist diese Gefahr auch verbannt worden. Ich finde es schlimm, dass wir applaudierend neben etwas stehen, statt etwas zu tun. Meine Sympathie ist mit den Aktivisten, und als Museumsmensch kann ich nur sagen, dass wir gehalten sind, unsere Werke zu schützen. Diese sehen wir nicht in schlimmer Gefahr, weil das ein sehr zivilisierter Protest ist, der viel Öffentlichkeit bekommt. Das ist hinnehmbar.

Gibt es bei Ihnen im Haus einen Notfallplan, wenn etwas passiert?

Klar: Ja, es gibt Notfallpläne für alles mögliche: für Atombombenangriffe, für Erdbeben, für Einbrüche, für alles. Sobald so eine Bedrohung kommt, wird das bei uns notiert. Es wird ein Szenario entworfen, wie man darauf reagieren könnte. Wir haben noch keine Pressemitteilung vorbereitet für den Fall, dass. Aber natürlich, nachdem so etwas das zweite Mal passiert ist, haben wir zumindest aufgehorcht, denn ein Haus wie die Hamburger Kunsthalle könnte ein möglicher dritter Ort für so etwas sein.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 25.08.2022 | 16:15 Uhr

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