Musks Twitter-Übernahme: "Twitter könnte den Bach runtergehen"

Stand: 08.11.2022 11:29 Uhr

Welche Konsequenzen hat die Twitter-Übernahme von Elon Musk für Politik und Gesellschaft? Wie verändert sich dadurch die Debatten-Agenda? Ein Gespräch mit Simon Hurtz vom Social Media Watchblog.

Das Gesicht von Elon Musk ist auf einem Handy zu sehen. Links daneben das Twitter-Logo. © picture alliance / ZUMAPRESS.com Foto: Adrien Fillon
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Twitter ist allgegenwärtig. Auch wenn viele Menschen das Netzwerk gar nicht selber aktiv nutzen, ist es inzwischen ein ganz entscheidender Kommunikationskanal und selbstverständliche Quelle für Nachrichten.

Elon Musk und die "Abwärtsbewegung bei Twitter" als Konsequenz

Simon Hurtz vom Social Media Watchblog sieht die Entlassungen, die kurz nach Musks Twitter-Übernahme bekannt wurden, sehr kritisch und spricht im Interview von einer möglichen "Abwärtsbewegung bei Twitter" als Konsequenz, und dass Elon Musk ein sehr eigenes Verständnis von Redefreiheit habe. Er gibt zu bedenken, dass man Musk eher nach seinen Taten, als nach seinen Worten und Ankündigungen messen solle. Hurtz erläutert auch den alternativen Dienst "Mastodon".

Herr Hurtz, hat Twitter damit inzwischen eine Sonderstellung bei den sozialen Netzwerken?

Simon Hurtz: Ich würde sagen, ja. Obwohl es das mit Abstand kleinste Netzwerk ist, wenn man es mit Facebook, Instagram oder TikTok vergleicht, würde ich die Plattform trotzdem als die wichtigste - zumindest für Politik und Nachrichten - bezeichnen, weil es sich so sehr als Kommunikationskanal für Politiker*innen oder andere prominente Persönlichkeiten etabliert hat. Viele Menschen, die in den Medien arbeiten, verbringen dementsprechend relativ viel Zeit auf Twitter, um zu gucken, wer da was von sich gegeben hat, um daraus wiederum Nachrichten zu generieren.

Das ist doch sehr viel Macht, die ein einzelnes Unternehmen hat, oder?

Hurtz: Absolut. Das gilt für alle der gerade genannten Plattformen, dass man sehr grundsätzlich darüber nachdenken muss, wie cool das eigentlich ist, dass private Unternehmen eine so wichtige Rolle im öffentlichen Diskurs eingenommen haben, die überhaupt nicht demokratisch kontrolliert werden, dass da wenige Menschen, meistens weiße Männer im Silicon Valley, entscheiden, welche Inhalte erlaubt sind, aber vor allem, welche Inhalte Reichweite bekommen. Die Inhalte werden algorithmisch sortiert und die zugrunde liegenden Regeln werden im Silicon Valley geschrieben. Sowohl Politiker, aber auch Nutzerinnen und Nutzer haben darauf keinen Einfluss.

Und jetzt hält einer der reichsten Männer der Welt bei Twitter die Fäden in der Hand: Elon Musk. Inwiefern ist das eine Entwicklung, die Sie besorgt?

Hurtz: Elon Musk ist jemand, der ein sehr eigenes Verständnis von Redefreiheit hat. Er bezeichnet sich selbst als "Absolutisten der Meinungsfreiheit" und ist der Meinung, dass alle Menschen auf seiner neuen Plattform Twitter fast alles sagen sollen dürfen - die Grenze seien die nationalen Gesetze. Wenn man nicht lange darüber nachdenkt, dann könne man sagen: Ja, natürlich, die Gesetze regeln die Meinungsfreiheit, und aus allem anderen sollten sich die Plattformen raushalten.

Das Problem ist aber, dass die vergangenen zwei Jahrzehnte Erfahrung mit sozialen Medien und sämtliche wissenschaftliche Forschung dazu genau das Gegenteil gezeigt haben: Wenn man nämlich ausschließlich Gesetze als Grundlage nimmt, dann verwandelt sich diese Plattform ziemlich schnell und zuverlässig in einen Ort, auf dem niemand mehr sein will, auf dem Trolle, Rechtsradikale und Menschen, die vor allem beleidigen und bedrohen, den Ton angeben, weil Beleidigungen, Bedrohungen und Lügen in einem gewissen Maße nicht verboten sind.

Ich darf falsche Dinge behaupten, und wenn die Richtlinien der Plattform selbst so etwas nicht verbieten, dann verbreitet sich das. Im Internet ist es meistens so, dass wenn eine gewisse Anzahl von pöbelnden Tweets oder falschen, irreführenden Aussagen auf der Plattform zu sehen ist, dass das sehr schnell das gesamte Diskussionsklima beeinflusst.

Was bedeutet das insgesamt für Debatten in unserer Gesellschaft? Glauben Sie, dass die sich damit auch verändern?

Hurtz: Ich sehe zumindest diese Gefahr. Man sollte aber Musk und alles, was er bei Twitter macht, sehr vorsichtig behandeln und ihn eher nach seinen Taten messen als nach seinen Worten und Ankündigungen. Denn er hat in den vergangenen Monaten sehr viel gesagt und nur einen Bruchteil davon umgesetzt.

Er tritt mit diesem großen Versprechen der nahezu unbegrenzten Redefreiheit an, aber er hat es teilweise wieder relativiert. Nachdem sich einige Werbekunden zurückgezogen haben, weil sie in so einem Umfeld keine Lust hätten, Anzeigen zu schalten, hat er sehr schnell versucht klarzumachen, dass Twitter doch noch weitere Richtlinien festlegen müsse.

Ich glaube, da wird er auch auf finanziellen und politischen Druck agieren, weil zum Beispiel die Europäische Union mit einem vor kurzem verabschiedeten Gesetzespaket da staatliche Grenzen setzt und Politikerinnen und Politiker in der EU schon angekündigt haben, dass Musk sich nach ihren Regeln zu richten habe. Insofern habe ich schon gewisse Sorgen, weil ich das Redefreiheitsverständnis von Musk mit großer Skepsis sehe. Aber auch da müssen wir erst mal abwarten, was da geschieht.

Die Werbepartner ziehen sich zurück, viele Menschen melden sich bei Twitter ab. Glauben Sie, dass Twitter weiterhin diese mächtige Stellung behalten wird? Oder kann das der Anfang vom Ende sein und diese Plattform an Bedeutung verlieren?

Hurtz: Ich glaube, dass die kommenden Wochen und Monate da sehr entscheidend werden. Das, was ich bislang gesehen habe, geht durchaus in die Richtung, dass das zumindest eine Abwärtsbewegung bei Twitter auslösen könnte.

Musk hat in den vergangenen Tagen Tausende Angestellte entlassen und unter anderem nahezu vollständig die Teams aufgelöst, die sich um die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen von Twitter kümmern: zum Beispiel das Team für Menschenrechte oder das Team für verantwortliche Künstliche Intelligenz. Das halte ich, gerade mit Blick auf eine so gesellschaftlich relevante Plattform wie Twitter, für sehr bedenklich. Falls Musk da nicht wieder einlenkt und sich nicht von den vielen kritischen Stimmen innerhalb des Unternehmens vom Gegenteil überzeugen lässt, dann könnte Twitter durchaus den Bach runtergehen.

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Das E-Mail-System ist auch nicht in der Hand von einer Firma - warum kann das mit den kurzen Nachrichten nicht auch so sein? Wäre es denkbar, dass sich da ein völlig freies Netzwerk durchsetzt, was eben nicht zentral organisiert und nicht in der Hand eines Unternehmens ist?

Hurtz: Diesen Zusammenschluss aus unterschiedlichen Plattformen gibt es bereits: Der heißt "Mastodon" und wurde in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder als die mögliche Alternative zu Twitter hingestellt. Ich persönlich wünsche mir sehr, dass das Erfolg hat, weil ich diese Dezentralität daran schätze. Aber ich bezweifle es leider sehr. Es gibt einen Grund, dass viele Medien relativ lange Anleitungen veröffentlicht haben, wie man sich auf Mastodon anmeldet und wie das alles funktioniert. Es ist nämlich ziemlich kompliziert. Ich sehe nicht, wie zum Beispiel meine Oma sich auf Mastodon anmeldet.

Ist die bis jetzt bei Twitter?

Hurtz: Die ist nicht bei Twitter, aber sie weiß zumindest, was das ist. Ich könnte mir vorstellen, dass ich ihr am Telefon erklären könnte, wie sie sich bei Twitter anmeldet - aber ich glaube, bei Mastodon steigt sie aus. Ich sehe nicht, wie sich diese Plattform wirklich verbreitet. Ich fürchte, dass diese dezentrale Architektur und die Komplexität am Ende eine zu große Hürde ist, als dass es sich als Twitter-Alternative etablieren könnte.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 07.11.2022 | 17:15 Uhr

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