Elbjazz 2022 in Hamburg: Musik und Publikum bunt gemischt
Zwei Jahre Open-Air-Pause hat es für das Elbjazz Festival geben müssen. Doch jetzt erklang das größte Jazz-Live-Ereignis in Hamburg wieder im Hamburger Hafen, in der Hauptkirche St. Katharinen und in der Elbphilharmonie.
"Ich packe meine Sachen und bin raus mein Kind, Thomas D ist auf der Reise und hat Rückenwind." Stimmt, so rappte man in den 90ern! "Heeyy hooo", denkt man unvermeidlich, und erinnert sich auch sachte an die entsprechenden Tanzbewegungen.
Thomas D, der mit den Fantastischen Vier in den 90er-Jahren den Deutschrap mit erfunden hat, gehörte zum Programm des Elbjazz Festivals am Freitag. In seinem Rücken die Hamburger Band The KBCS, die seine Hits aus dem Fanta-4-Kosmos neu und funky ausdeutete. "Das ist für mich kein Jazz", hörte man manche Besucher augenrollend raunen. Sie zogen weiter. Es gab ja noch so viel mehr zu sehen.
Keine Musikabenteuer beim Elbjazz 2022
Im dritten Pandemiejahr die Hamburger Elbjazz-Tradition wieder aufleben zu lassen, war ein Wagnis. Das Musikpublikum verhält sich unvorhersehbar, die Festivalmaschine ist ins stottern geraten. Der Arbeitsmarkt in der Veranstaltungsbranche: leer gefegt. Viele Fachkräfte haben sich in der langen Pause in anderen Branchen neu orientiert. Das Veranstalter Duo FKP Scorpio (Hurricane oder Highfield Festival) und die Karsten Jahnke Konzertdirektion (Stadtpark Open Air) machte nur wenig Experimente mit dem Line-up dieses Festivals.
Da rappte ein Künstler wie Thomas D für die 90er-Jahre-Sozialisierten, die aus den großen Rockfestivals rausgewachsen sind, da wehte die sanfte Brazil-Jazz-Brise von Melody Gardot für Menschen, die sagen: "Eigentlich mag ich keinen Jazz, aber ..." und da klang der blitzsaubere Britsoul von Myles Sanko, den jeder mögen muss, der schon einmal Gregory Porter gehört hat - Hochglanz-Jazz, möglichst konsensfähig. Neugierige Musikabenteurer hat das nicht wunschlos glücklich gemacht, dennoch: Das Konzept ging auf.
Umwerfende Mischung beim Elbjazz-Publikum
Spätestens als die Sonne den Himmel über Blohm und Voss golden färbte, man die leichte Elbbrise im Gesicht spürte und die Industriekulisse der Werft bunt leuchtete, war klar, dass genau das gefehlt hat in den letzten Jahren: Ein großes gemeinsames Musikerlebnis. 11.000 Besucher kamen zum Festivalauftakt in den Hafen.
Die Mischung des Publikums war umwerfend: Betagte Jazzkenner in praktischer Übergangsjacke, Kleinkinder mit übergroßen Ohrschützern, Teens in Schlaghosen, die hier wahrscheinlich ihr erstes Festival erlebten. "Du musst schreiben wie toll das ist, wir sind mit drei Generationen hier und alle sind glücklich," rief eine Mutter einem NDR Reporter zu. Ihre 13-jährige Tochter tanzte gerade zum Groove-Jazz von Jazzanova - auch so ein Kollektiv aus den 90er-Jahren. Wenn ein vorsichtiges Line-up dieses Erlebnis ermöglicht, hat es sein wichtigstes Ziel erreicht.
Generation "Post-Genre": Die Welt der Musik in der Hosentasche
The Mauskovic Dance Band aus den Niederlanden wiederum gehören zu einer Neo-Krautrock-Bewegung, die in der Technokultur groß geworden ist. Keyboarder Simon Oslender hat sich als Mittzwanziger zwei Jazzveteranen als Backingband gesucht. Er spielt mit Wolfgang Haffner (Doldingers Passport) und Will Lee (James Brown, George Benson) elektrischen Jazz aus den späten 70er-Jahren. "Fusion" ist inzwischen wieder ziemlich angesagt, gerade bei jungen Menschen. "Post-Genre" nennt man diesen Effekt, der entsteht, wenn eine ganze Generation die Musik der Welt in der Hosentasche mit sich herumträgt.
Zu den Höhepunkten am Sonnabend gehörten ein Auftritt der Saxofonistin Stephanie Lottermoser, des Miles Davis-Gitarristen und Grammy-Gewinners John McLaughlin sowie ein Konzert des Hamburger Jazzpreisträgers Silvan Strauss gemeinsam mit der NDR Bigband.
Ruhig mehr Mut beim Elbjazz 2023
Da das Publikum zurückzukommen scheint, kann man sich ja 2023 wieder weiter aus dem Fenster lehnen. Denn egal, was Jazz nun auch sein mag: Musik braucht das Entlegene, Schräge, braucht Konfrontation und Experiment.