"Für eine Brieffreundschaft hätte sich die Queen nicht geeignet"
Queen Elizabeth II. ist tot. Die Autorin Nele Pollatschek hat in Cambridge und Oxford englische Literatur und Philosophie studiert und hat vor zwei Jahren das Buch "Dear Oxbridge: Liebesbrief an England" herausgebracht. Ein Gespräch.
Frau Pollatschek, wenn Sie heute einen Brief anfangen würden mit "Dear Queen" - was würde in diesem Brief drinstehen?
Nele Pollatschek: Dieser Brief würde daran scheitern, dass man mit der Queen nie wirklich kommunizieren konnte. Wenn man sie trifft, dann ist die Anweisung, dass sie einen fragen wird: "Wie geht es dir?" Aber man darf nicht zurückfragen, wie es ihr gehe, man darf überhaupt keine Frage an die Queen stellen. Man kann ihr huldigen oder ihr Hass entgegenbringen, wie es gerade sehr viele Iren auf Twitter tun - und auch im Norden ist sie nicht so beliebt wie im Süden. Aber ich glaube, für eine Brieffreundschaft hätte sie sich nicht geeignet.
Ist sie aufgrund der noch sehr ständischen Gesellschaft in Großbritannien überall gleichermaßen beliebt oder unbeliebt?
Pollatschek: Es ist sehr ungleich verteilt. Ich bin mir auch selber nicht sicher, wie ich es eigentlich sehe. Ob ich zutiefst denke: "Abolish the monarchy!", also Monarchie abschaffen, was ich eigentlich für völlig richtig halte. Weil die Aussage, die hinter einer Monarchie steht, ist: Es gibt Menschen, die besser sind als andere, die sind aus Gottesgnaden dazu befähigt, ein Land zu regieren - das ist natürlich eine furchtbare und absurde Aussage. Gleichzeitig hat die Queen eine symbolische Funktion und hat ein Land über 70 Jahre durch die Kriegsfolgen, durch Wirtschaftskrisen und 15 Premierminister irgendwie doch stabil gehalten. Es macht natürlich sehr viel Sinn, dass Leute, denen es schlecht geht in dieser relativ stabilen Ordnung, ein anderes Verhältnis zum Stabilisator haben als Menschen, die davon profitieren.
Man könnte fast glauben, dass so Merkels oder Scholzens sich bei ihr abgeschaut hätten, mit wenig Worten und nur ein paar Symbolen zu regieren. Das waren ja manchmal nur winzige Zeichen, die sie gesetzt hat. Was hat sie aber dadurch trotzdem geprägt in dieser langen Regentschaft?
Pollatschek: Sie hat diesen sehr schönen Satz geprägt: "Never complain, never explain." Ich glaube, dass sich das viele abgeguckt haben und sich abgucken sollten. Denn je mehr mediale Präsenz und Wiederverarbeitung es gibt, desto weniger sollte man sprechen. Sie hat natürlich jede Münze und jede Briefmarke mit ihrem Gesicht geprägt, aber ich glaube, dass das Entscheidende an ihr ist, ihr Verständnis von konstitutioneller Monarchie: dass es nicht ihre Aufgabe ist, eine Meinung zu haben.
Ich fand es immer irgendwie despektierlich, wenn behauptet wurde, dass die gelben Blumen in ihrem blauen Hut etwa ein Zeichen für die EU seien. Wenn man ihr also unterstellt, dass sie den Grundsatz ihres Wesens, nämlich sich nicht einzumischen, heimlich bricht. Diese Vorstellung, dass man eine Pflicht zu erfüllen hat, dass man eine Rolle spielt, und zwar 70 Jahre lang, 24 Stunden am Tag - das ist ein anderes Selbstverständnis. Ich glaube, Individualität ist einfach gar kein Faktor bei ihr, sondern zu tun, wofür Gott einen auserwählt hat, und alles andere hintenanzustellen.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie sie bei diesen wöchentlichen Tees mit den Premierministern kommuniziert hat, wie sie in privaten Vier-Augen-Situationen war?
Pollatschek: Es gibt die Adelsexperten, die ihr immer eine gewisse Art von Humor unterstellen und eine sehr große rhetorische Begabung. Ich glaube, sie war sprachgewaltig in einem absoluten Understatement. Ich glaube nicht, dass sie emotional war, ich glaube, dass ihr Emotionalität zuwider war. Die Vorstellung von einem privaten Ich, was man dem Premierminister oder sonst irgendjemandem zeigt - ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das mit ihrer Vision davon, was es bedeutet, Monarchin zu sein, irgendwie vereinbaren ließ.
Jetzt haben wir King Charles. Der war ein Leben lang Sohn. Wie wird er sich jetzt verändern?
Pollatschek: Falls er vorhat, die Monarchie zu bewahren, wird er hoffentlich sehr bald abdanken, weil das Entscheidende die lange Amtszeit ist - und die wird er beim besten Willen nicht mehr leisten können. Im besten Falle macht er das jetzt ein bisschen, weil er es dann endlich geschafft hat, diese Rolle, auf die er sich sein Leben lang vorbereitet hat - und wird die Rolle dann an seinen Sohn abgeben. Das wäre das Schlauste, auch deswegen, weil er sich selbst eine Rolle gesucht hat dadurch, dass die Queen so lange regiert hat. Das alles jetzt aufzugeben, in dem Alter, und noch mal eine neue Rolle zu verkörpern - ich weiß nicht, ob ihm das entspricht. Ich glaube, dafür ist er zu eigenbrötlerisch. Für diese Rolle sind wahrscheinlich William und Kate geeigneter.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.