Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien in Hamburg, im Porträt. © dpa Foto: Jonas Klüter

Carsten Brosda: "Kunst und Kultur sind nicht verzichtbar"

Stand: 07.07.2022 16:14 Uhr

Worauf verzichten wir zuerst, wenn es finanziell enger wird? Einige werden sagen: Auf kulturelle Angebote - denn eine warme Wohnung ist wichtiger. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ist da anderer Meinung.

Herr Brosda, warum ist Kultur aus Ihrer Sicht nicht verzichtbar?

Carsten Brosda: Sie ist deshalb nicht verzichtbar, weil wir als Menschen nicht nur daraus bestehen, dass wir uns um den Erhalt unseres vegetativen Nervensystems zu kümmern haben und irgendwie gucken, dass der Körper funktioniert, sondern es braucht auch einen gesunden Geist in einem gesunden Körper. Und das hat maßgeblich etwas damit zu tun, dass man sich mit kulturellen, mit künstlerischen Produktionen auseinandersetzt, um - auch nach zweieinhalb Jahren Pandemie und der Verödung, die wir in der Hinsicht schon gehabt haben - uns auch gesellschaftlich und individuell in die Lage zu versetzen, mit einer solchen schwierigen Situation umzugehen. Insofern nein, Kunst und Kultur sind nicht verzichtbar. Ich halte sie sogar für unbedingt notwendige Bestandteile einer gesellschaftlichen Situation, in der wir mit solchen großen Herausforderungen umgehen müssen.

Gerade "nach" der Pandemie dachte man, dass sich die Menschen so sehr nach Kultur sehnen, dass alle Häuser wieder voll sein würden. Aber dem ist nicht so. Wie vermitteln Sie das? Leute, nehmt Kultur wieder wahr?

Brosda: Das ist momentan in der Tat eine große Herausforderung. Wenn man genauer hinguckt, sieht man ein sehr differenziertes Bild an der Stelle. Diese Stimmung, von der Sie gesprochen haben, fing an, sich Anfang des Jahres zu entwickeln - und dann kam der Krieg gegen die Ukraine. Ende Februar hat man richtig gesehen, wie der Vorverkauf an vielen Stellen eingebrochen ist für die Zeit nach Ostern, weil sich die Leute gefragt haben: Was kommt denn da jetzt? Wie muss ich das einschätzen? Welche Konsequenzen hat das? Und in dieser Lage sind wir immer noch.

Ich finde es ist ganz entscheidend, dass wir jetzt rauskommen aus diesem abstrakt darüber reden, dass Kultur wichtig ist, sondern dass wir die Erlebnisse des kulturellen Alltags wieder stärken. All diejenigen, die seitdem wieder im Kino, im Konzert oder im Theater gewesen sind, merken, was das positiv mit einem macht. Viele Häuser prüfen gerade, ob man die Neun-Euro-Ticket-Logik für den Zugang zu Theatern und zu Konzerten adaptiert. Lädt man Leute ein, geht man im Sommer in die Öffentlichkeit und konfrontiert Bürgerinnen und Bürger mit den Angeboten? Raus ans Publikum und nicht darauf warten, dass die Leute wiederkommen, sondern aktiv ansprechen - ich glaube, das ist im Moment das Gebot der Stunde.

Wo stellen Sie konkret fest, dass die Menschen auf Kultur verzichten, weil sie momentan weniger Spielgeld haben?

Brosda: Wir hören überall den bösen Satz, dass 50 bis 60 Prozent Auslastung das neue "ausverkauft" sei. Da weiß keiner genau, wie viel davon noch Versatz ist, weil die Leute aus der Corona-Pandemie in diese neue Welle, die wir gerade erleben, hineinkommen noch mal abwarten wollen. Und wie viele Leute schon mit dem Haushaltsbudget hantieren, weil die Preise im Supermarkt gerade anziehen. Wenn der Liter Öl auf einmal fünf Euro kostet, bleibt kaum noch etwas übrig, um am Wochenende ins Kino zu gehen. Diese Begründungen sind noch nicht da, wir sehen aber generell eine Zurückhaltung.

Eine Beobachtung aus der Pandemie ist, dass sie unsere Sicht auf die Welt geschärft hat, auch Positionen zementiert hat. Wer schon immer dachte, dass wir mit weniger klarkommen könnten, der sieht im notgedrungenen Verzicht eine Chance. Wer die gegenteilige Auffassung vertritt, fühlt sich durch die Pandemie um das betrogen, was er gerne hätte. Für die Kultur könnte das bedeuten, dass die Schere weiter aufgeht: nicht Kultur für alle, sondern nur für diejenigen, die sich schon immer dafür interessiert haben. Was ist Ihre Beobachtung dazu?

Brosda: Wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass es nicht mehr ausreicht, sich auf die zu fokussieren, von denen man weiß, dass sie ohnehin kommen, weil sie schon von Kindesbeinen an lernen, dass es sich gehört, ins Theater zu gehen, dass es sinnvoll ist, ins Museum zu gehen. Sondern dass man sich als Kultureinrichtung sein Publikum auch aufbauen muss, sich aktiv darum kümmern muss, Menschen anzusprechen und sei von den eigenen Angeboten zu überzeugen. Wie man das strategisch ansetzt, da gibt es tolle Beispiele. Die Engländer nennen das "Audience Development", also Zuschauerentwicklung. Diese Strategien hier noch stärker zum Anschlag zu bringen, darüber diskutieren wir gerade intensiv im Bühnenverein. Die Museen und die Kinos machen das auch, und das wird das sein, worum es in der kommenden Zeit gehen wird. Dass man einfach sagt: Ich bin da, ich muss die Tür nur aufmachen, und dann kommen sie - das reicht schon länger nicht. Warum lohnt es sich denn noch, überhaupt zu kommen - diese Frage positiv zu beantworten, das ist die Aufgabe.

Weitere Informationen
Das New York Philharmonic Orchestra spielt gemeinsam mit Jan Lisiecki am Klavier beim ersten Konzert im ehemaligen Kraftwerk Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom. © picture alliance/dpa Foto: Jens Büttner

Theater, Konzerte, Kino: Wo bleibt das Publikum?

Obwohl es keine Corona-Beschränkungen mehr gibt, nimmt das Publikum Kultur-Angebote nur sehr zögerlich an. Woran liegt das? mehr

Wenn er auf die aktuellen Zahlen in Hamburg schauen, stellen wir fest: Für Hamburgs Kultur gibt es mehr Geld. Der Etat steigt von 379 Millionen Euro in diesem Jahr auf 398 Millionen im nächsten. 2024 soll es für die Kultur in Hamburg 404 Millionen Euro geben. Damit sind doch Zukunftsängste erst mal ausgeräumt, oder?

Brosda: Nicht komplett. Was wir damit geschafft haben, ist, dass wir nirgendwo kürzen müssen und eine Planungssicherheit gewährleisten können. Was momentan keiner wirklich abschätzen kann und was ein berechtigter Anlass zur Sorge ist, ist die Frage, wie es mit den Energiepreisen weitergeht. Wie geht es mit der Inflation weiter? Da gibt es häufig auch höhere Tarif- und Lohnabschlüsse. Welchen Druck bewirkt das dann auf die Kultureinrichtungen, aber genauso auch auf alle anderen Einrichtungen, die wir im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge und der staatlichen Infrastruktur zu gewährleisten haben. Wie man da Mehrausgaben abfedern kann, das vermag jetzt abstrakt am Reißbrett noch keiner beantworten. Insofern glaube ich schon, dass die Zeit anstrengend wird, weil es nicht mehr nur darum geht, Publikum zurückzugewinnen, sondern man gleichzeitig gucken muss, ob die Mittel noch reichen bei Kosten, die so sehr steigen, dass man sich eigentlich überlegen müsste, wie man die wieder reinholt. Man will ja auf der anderen Seite Leute anlocken und kann deswegen nicht einfach mal alle Preise erhöhen. Das wird also schon eine herausfordernde Situation werden. Wir werden sehr intensiv daran arbeiten müssen, dass man auch unter Knappheitsbedingungen in der Kultur in den nächsten Jahren durchkommt. Denn dass da jetzt das Füllhorn ausgeschüttet wird, während alle anderen sparen, das ist hochgradig unwahrscheinlich.

Wo merken Sie denn persönlich, dass Sie gerade verzichten müssen oder müssten? Oder anders gefragt: Wo verzichten Sie gerne?

Brosda: Als Senator bin ich gehaltsmäßig so privilegiert, dass ich nicht so tun muss, als ob ich vor dem Fünf-Euro-Salatöl stehe und den nicht einstecken kann. Ich würde wahrscheinlich am ehesten häufiger in die Bücherhallen gehen, um ein Buch auszuleihen, statt es sofort zu kaufen. Das würde wahrscheinlich auch zuhause begrüßt werden, weil die Regale sich nicht so schnell füllen. Ich weiß aber nicht, wie lange das anhält - denn wenn ich mir ein Buch ausgeliehen habe, das mir gefallen hat, will ich es mir meistens doch kaufen. Das wäre vielleicht ein rational notwendiger Verzicht an dieser Stelle.

Im Winter halten sich die Leute in meinen Räumen nicht lange auf, weil ich sowieso nicht über 17 Grad komme, weil ich Heizungsluft nicht mag. Da bin ich generell sehr sparsam, die Energieversorger werden mich nicht so hart treffen.

Das Gespräch führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 07.07.2022 | 16:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Museen

Oper

Ausstellungen

Musicals

Junge Pflanze in ausgetrocknetem Flussbett © picture alliance / imageBROKER Foto: Winfried Fischer

Kolumne: "Vertrauen im Verzicht"

"Ich wünsche mir in der Klimadebatte so etwas wie Entdeckergeist", sagt Julia Heyde de López. Für das Gute, das auf uns warte. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Ein älterer Mann sitzt an einem Schreibtisch. Es ist der Verleger Lothar Schirmer. © ThomasDashuber Foto: ThomasDashuber

Lothar Schirmer: 50. Verlagsjubiläum Schirmer/Mosel

50 Jahre Verlag Schirmer/Mosel. Lothar Schirmer spricht über die Begegnungen von Kunstschaffenden und seinen Profit daraus. mehr