Eine Gruppe von Russen geht nach dem Passieren der russisch-georgischen Grenze in Werchni Lars in Georgien über eine Straße. © picture alliance/dpa/AP Foto: Zurab Tsertsvadze

Kolumne: "Urlaub im Krieg"

Stand: 09.10.2022 07:30 Uhr

Angesichts von Putins Teilmobilmachung versuchen viele Männer Russland zu verlassen. EU-Länder wie Finnland verweigern Russen mit Touristen-Visa die Einreise. Und auch in der Asyl-Frage für Deserteure ist Europa gespalten.

von Pastor Jan Dieckmann

Im Sommer sah es noch so aus: auf der Strandpromenade überall fröhlich urlaubende russische Familien mit Kindern und mit Schwimmringen und Picknicktaschen unterm Arm. Im kleinen Badeort Kobuleti in Georgien am schwarzen Meer war in diesem Sommer viel los. Ich war auch da. Und ich hatte ein komisches Gefühl angesichts der vielen ausgelassen urlaubenden russischen Familien. Würde ich, habe ich mich gefragt, Urlaub machen, während mein Land in einem barbarischen Angriffskrieg über seine Nachbarn herfällt? Ich war irgendwie sauer auf die vielen russischen Männer, Frauen und Kinder in Badekleidung. Und wusste dabei gar nicht so ganz genau warum.

Russische Männer flüchten vor dem Kriegsdienst

Jetzt im Herbst sehen wir aus Georgien andere Bilder. Reisende aus Russland kommen immer noch in hoher Zahl. Jetzt sind es aber keine Badegäste mehr, und das Lachen ist verstummt. Russische Männer jeden Alters versuchen ihr Land zu verlassen, um nicht zum Militär eingezogen zu werden. Nach und nach schließt ein Land nach dem andere die Grenze und lässt die Flüchtenden nicht mehr durch. Viele finden das richtig und sagen: Selbst schuld! Ihr kommt zu spät! Warum seid ihr in den vergangenen sieben Monaten in Russland geblieben? Und sind da nicht bestimmt viele drunter, die Putin und seinen Krieg eigentlich gut finden? Nur eben nicht dafür sterben wollen.

Länder wie Georgien tragen Hauptlast russischer Emigration

Jan Dieckmann © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka
Es sei wichtig, dass möglichst viele Männer nicht in diesem Krieg mitmachen, sagt Pastor Jan Dieckmann.

Europa hat inzwischen die Grenzen komplett dicht gemacht. Und die Flucht vor dem Militärdienst wird hier bei uns auch nicht als Asylgrund anerkannt. Die Hauptlast dieser neuen russischen Emigration tragen derzeit kleine Länder, wie Georgien und Kasachstan. Ich finde, wir sollten die Flüchtenden nicht abweisen und die Grenzen offenhalten. Als Christ denke ich, jeder, der sich dem Kriegsdienst entzieht, verdient Schutz. Wenn einer sagt, ich will nicht töten und ich will nicht getötet werden, dann ist mir egal, aus welchen Motiven er das sagt. Wichtig ist, dass möglichst viele Männer nicht mitmachen in diesem Krieg. Und damit der Frieden ein kleines Stück näher rückt.

Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Regelmäßig vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 09.10.2022 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

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