Ali Özdil, Islamwissenschaftler und Religionspädagoge © Ali Özdil

Ali Özdil: "Keiner ist im Besitz der absoluten Wahrheit"

Stand: 01.09.2022 11:45 Uhr

Ali Özdil ist Islamwissenschaftler, Prediger und Berater im Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstitut in Hamburg. Darüber hinaus ist er leidenschaftlicher Slammer und Entertainer.

Er engagiert sich für den interreligiösen Dialog, weil der Mensch ein soziales Wesen und auf den Kontakt und das Gespräch mit anderen Menschen angewiesen sei. "Es wäre merkwürdig, wenn Menschen nicht miteinander reden würden", so Özdil. Er sagt auch: "Keiner ist im Besitz der absoluten Wahrheit."

Glauben wir an denselben Gott?

Ali Özdil: Ja, wir glauben an denselben Gott, aber nicht an den gleichen Gott, weil wir unterschiedliche Gottesvorstellungen haben. Also auf der einen Seite sagen JüdInnen und ChristInnen und MuslimInnen, es gibt nur den einen Gott - deswegen sind wir monotheistisch. Aber im Islam gibt es zum Beispiel keine Trinitätslehre.

Was halten Sie von dem Bild, dass wir wie Blinde in einer Dunkelkammer sitzen und da ist ein Elefant "Gott" und die verschiedenen Religionen fassen jeweils von einer unterschiedlichen Seite diesen Elefanten an. Können sie dem etwas abgewinnen?

Özdil: Das ist die Geschichte vom Elefanten in der Dunkelkammer und man kann, wenn man hier Gott mit der Wahrheit gleichsetzt, durchaus sagen, dass wir alle unseren Anteil an der Wahrheit antasten, aber keiner sagen kann, ich allein bin im Besitz der absoluten Wahrheit.

Was ist die Zielsetzung vom Dialog zwischen den Religionen aus ihrer Sicht?

Özdil: Ideal wäre es ja, wenn aus dem Dialog, Freundschaft entsteht - und am besten noch Geschwisterlichkeit. Ziel des Zwiegesprächs sollte es sein, den anderen besser kennenzulernen. Das setzt Neugier und Zuhören voraus, und wenn wir einander besser kennenlernen, verstehen wir uns vielleicht auch besser. Dann hätten wir auch ein Fundament für mehr gemeinsame Projekte.

Wo zeigt sich Ihnen der Islam in seiner ganzen Schönheit? Was ist das, was sie an ihrem Glauben lieben?

Özdil: Islam heißt Hingabe, Gottergebenheit. Ich kann im Kleinsten, das existiert, eine Schöpfung Gottes sehen oder im Größten: Biologie ist Islam, Mathematik ist Islam. Islam lässt sich also nicht allein auf das Private beschränken.

Wenn Sie so allumfassend sprechen, frage ich mich: Haben sie auch eine Liebe für das Mystische?

Özdil: Auf jeden Fall. Es gibt vieles, dass wir uns gar nicht erklären können, dass nicht mit unserem Verstand zu tun hat, sondern eher mit unserem Herzen zu tun hat. Wenn wir bestimmte Dinge empfinden, für die wir keine Worte finden können.

Auch der Begriff Hingabe geht in die ähnliche Richtung. Man sagt auch, dass die Mystiker das geringste Problem mit dem interreligiösen Dialog haben …

Özdil: Ja, weil Liebe für sie das wichtigste ist - das Thema Herz und das verbindet alle Menschen miteinander.

Haben Sie eine Lieblings-Sure?

Özdil: Ja, das ist die Sure 55. Al-Rahman, das heißt der Barmherzige. Aber weinen muss ich immer bei der Sure 19, die Maria heißt.

Wenn sie mir als Christin jetzt ihren Glauben vorstellen sollten, wohin würden sie mich dann mitnehmen?

Özdil: Zu mir nach Hause - im Privaten sind wir am authentischsten.

Sie arbeiten ja nicht nur als Wissenschaftler, Berater und Prediger, sondern sie sind auch Slammer und Entertainer, wie kommt das?

Özdil: Beruflich bin ich sehr divers unterwegs und komme dadurch mit verschiedenen Milieus in Kontakte. Die meisten Menschen bewegen sich in einem bestimmten Milieu, selbst auf Social Media sind viele in Filterblasen unterwegs oder sie interagieren in der Regel mit gleichgesinnten Menschen. Ich aber habe gelernt, mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen zu interagieren und habe das als sehr bereichernd empfunden. Dazu gehört auch der Kontakt zu Jugendlichen, zu Jugendkulturen. Muslimische Jugendliche sind sehr heterogen. Die einen möchten sich Wissen aneignen, andere möchten unterhalten werden. Ich kombiniere als Wissenschaftler, also das Wissen mit der Unterhaltung und nenne das, was ich da mache "Edutainment".

Sie haben als Entertainer eine satirische Hass-Predigt gehalten und haben da so typische Vorurteile gegenüber dem Islam aufs Korn genommen. Wie geht es ihnen denn mit diesen Vorurteilen im Alltag?

Özdil: Menschen, die als Muslime sichtbar sind, sind hierzulande sehr stark mit Vorurteilen, Klischees, Verallgemeinerung, Stigmatisierung oder Hass und teilweise auch mit Gewalt und Unrecht konfrontiert. Das ist unser Alltag, und das erlebt man bereits im Kindergarten und in der Schule. Auch ich erlebe gelegentlich Diskriminierung, vor allem im Netz und habe im Laufe der Jahre eigene Strategien entwickelt damit umzugehen. Ich habe festgestellt, manchmal ist es besser etwas zu ignorieren und es nicht persönlich zu nehmen. Die Leute kennen mich ja in der Regel nicht, die mich diskriminieren. Manchmal kann man reagieren, sollte dabei immer respektvoll sein und seinen Prinzipien treu bleiben. Also sich nicht auf ein bestimmtes Niveau herablassen und manchmal macht es Sinn, mit Humor zu reagieren. Also, wenn ich überhaupt reagiere, dann mit Humor. Wenn jemand zu mir sagt: "Scheiß Türke", dann sage ich: "Da kann ich Ihnen nur teilweise zustimmen".

Beenden Sie bitte mal diesen Satz: Mit meiner Arbeit möchte ich erreichen, dass …

Özdil: ... ich zu jenen gehöre, die den Menschen und der Natur am nützlichsten sind. Der Prophet Mohammed soll gesagt haben: "Die besten Menschen sind diejenigen, die den Menschen am nützlichsten sind." Und der Kalif Ali, also mein Namensvetter, soll gesagt haben: "Seid so gut zu den Menschen, dass selbst eure Feinde hinter euch her weinen, wenn ihr sterbt." Ich ergänze das mit: "Seid so gut zu den Geschöpfen Gottes, dass selbst die Tiere und Pflanzen hinter euch her weinen, wenn ihr sterbt." Ich möchte, zu den besten Menschen gehören.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 03.09.2022 | 07:40 Uhr

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