Stand: 19.09.2014 12:43 Uhr

Das dichte Spitzel-Netz der Stasi in Garbsen

von Angelika Henkel, Stefan Schölermann, NDR Info
Hartmut Büttner war für drei Legislaturperioden Abgeordneter der CDU im Bundestag. © NDR Foto: Marie Chlebosch
Hartmut Büttner hat sich mit der Geschichte der Stasi in seinem Heimatort Garbsen befasst.

Als er alle Informationen beisammen hat, kann er das Ergebnis selbst kaum fassen: So viele Stasi-Bezüge - ausgerechnet in seinem Heimatort Garbsen in der Region Hannover? Hartmut Büttner (CDU) hat in mühevoller Recherche zusammengetragen, welche Opfer und welche Täter in seinem Ort nahe beieinander wohnten - wenn auch nicht im selben Zeitraum. Im NDR Interview sagt Büttner: "Man ist bedrückt. Wie groß muss der Einfluss der Stasi überall gewesen sein, wenn selbst in diesem zwar strategisch gut gelegenen, aber kleinen Garbsen eine so große Zahl von Täterzellen vorhanden war? Wie groß war eigentlich die Zahl der Täter in anderen Städten?"

Büttner engagiert sich bei Aufarbeitung der SED-Diktatur

Die DDR, die Stasi, die Opfer - das sind Büttners politische Themen. Im November 1989 ist der gelernte Fleischermeister erfolgreicher mittelständischer Unternehmer. Gemeinsam mit anderen sucht er für Garbsen eine Städtepartnerschaft im Osten. Dort wird er 1990 von der CDU gefragt, als Bundestagsabgeordneter anzutreten - erst 2006 tritt er auf eigenen Wunsch nach vier Legislaturperioden nicht mehr an. Er engagiert sich bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und arbeitet bei der Ausarbeitung des Stasiunterlagengesetzes mit, das Betroffenen den Zugang zur eigenen Akte und damit die Aufarbeitung von Lebensgeschichten möglich macht.

62.000 Niedersachsen wollen erfahren, was die Stasi über sie wusste

Rund 62.000 Niedersachsen wollten nach Angaben der Stasi-Unterlagenbehörde bisher wissen, welche Informationen über sie in den Stasi-Akten stehen. Einer von ihnen ist Lothar Müller aus Garbsen. Über ihn schreibt Hartmut Büttner in seinem Dossier: Seit Mitte der 70er-Jahre habe die Firma Müller Bewehrungstechnik GmbH & Co.KG intensive Wirtschaftskontakte in die DDR. Sie wurde vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet. Die Informationen liefen in Leipzig zusammen, offenbar waren sie nicht immer korrekt. Die Stasi legte Akten über Details der Firmenstruktur an.

Ein Mann mit engen Kontakten zu Geheimdiensten

Büttner suchte auch Spuren im Fall Karl-Heinz H. Wie er schreibt, handelt es sich bei ihm um einen Geschäftsmann, der sich im Jahr 1975 als Organisator für das Garbsener Stadtteilfest engagiert. Doch bei seinen Mitstreitern weiß offenkundig niemand um die seltsame Biografie des Wahl-Garbseners. H. war schon 1956 über das Aufnahmelager Friedland nach Niedersachsen eingereist. Zuvor hatte er in DDR-Gefängnissen eingesessen - wegen angeblicher Spionage für die USA. Ein Mann, der immer wieder Kontakt zu Geheimdiensten aufnimmt, auch nachdem er der DDR den Rücken gekehrt hat: In den 70er-Jahren baut H. enge Beziehungen zu Verfassungsschutzmitarbeitern auf. Er steht über Jahre als IM "Kurt Rehbaum" in den Diensten der Ost-Spionage. Die Stasi unterbricht die Zusammenarbeit zeitweise, weil der IM "stark zu Prahlsucht, Überheblichkeit und Übertreibung neigt".

Ein skurriles Leben über Stasi-Akten rekonstruiert

Nach Büttners Recherchen ermittelt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen H. 1980 wird der damals 49 Jahre alte Mann festgenommen. Er war im Besitz eines gefälschten Personalausweises. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erlässt einen Haftbefehl wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit. Doch H. kann kurz darauf flüchten - in die DDR. 1981 erhält er von "Armeegeneral Mielke" persönlich die Medaille für "treue Dienste der NVA in Gold". Das skurrile Leben des Karl-Heinz H. hat Büttner über Stasi-Akten weiter rekonstruieren können.

Ausstellung über Schicksale von geflüchteten Sportlern

Und Büttner forscht weiter. In diesem Herbst holt er die Ausstellung "Zentraler Operativvorgang Sportverräter" nach Garbsen. Die vom Zentrum deutsche Sportgeschichte konzipierte Ausstellung präsentiert die Fluchtschicksale von 15 Sportpersönlichkeiten aus der DDR - darunter auch die des heute in Garbsen lebenden Kanuten Günter Perleberg.

Weitere Informationen
Ein durch ein Gebüsch betrachtetes Haus mit rot erleuchtetem Fenster vor Stasi-Akten. (Bildmontage) © plainpicture/Onimage Foto: Slaven Gabric/ R4200, Daniel Karmann (Hintergrund)

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NDR Info | 19.09.2014 | 12:48 Uhr

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