Grand Hotel Heiligendamm: Zwischen Traum und Pleite

Stand: 30.05.2023 05:00 Uhr

Lange dämmerte das Ostseebad Heiligendamm im Dornröschenschlaf, bis Investor Anno August Jagdfeld es wach küsste. Am 30. Mai 2003 eröffnete dort das Grand Hotel. Doch die Geschichte eines großen Traums beinhaltet auch eine Insolvenz - und einen skurrilen Streit ums Wegerecht.

von Daniel Sprenger, NDR.de

Der Putz blättert von der "Perlenkette", einer Reihe einstmals wunderschöner Häuser direkt am Ostseestrand. Die goldenen Lettern auf blauem Untergrund, die das von 1814 bis 1816 erbaute Kurhaus von Heiligendamm zieren, sind Mitte der 1990er-Jahre verblasst.

"Hier erwartet dich Freude, entspringst du gesundet dem Bade." Inschrift am Kurhaus von Heiligendamm

Heiligendamm © NDR
Die Lettern verwittert, der Charme verblasst: Vom Kurhaus von Heiligendamm blättert Mitte der 1990er-Jahre der Putz.

Der lateinische Leitspruch ("Heic te laetitia invitat post balnea sanum") des ältesten deutschen Seebades Heiligendamm gilt da nur noch bedingt. Statt Freude überfällt den Besucher zu dieser Zeit eher Schwermut. Das zur Kaiserzeit mondäne und beim Hochadel beliebte Ostseebad Heiligendamm, die "weiße Stadt am Meer", ist längst grau und trist geworden. Selbst rote Rosen, die in streng viereckigen und von DDR-Betonplatten eingefassten Beeten wachsen, vermögen das Bild nicht sonderlich aufzulockern. Die klassizistische Architektur verfällt, direkt am Strand ist ein Juwel tief im Dornröschenschlaf versunken. Bis Immobilienunternehmer Anno August Jagdfeld auf den Plan tritt.

Der Traum des Anno August Jagdfeld

"1996 sah ich in einem Magazin zum ersten Mal das Bild von Heiligendamm, der weißen Stadt am Meer. Und es stand darunter: 'Warum kümmert sich niemand um Heiligendamm?'" Anno August Jagdfeld, 30. Mai 2003

Anno August Jagdfeld © NDR Foto: Martin Möller
Für Immobilieninvestor Anno August Jagdfeld ist Heiligendamm das "spannendste und herausforderndste Projekt".

Eine Antwort dürfte lauten: weil es einer kaum lösbaren Mammutaufgabe gleichkommt, das Gebäudeensemble zu sanieren und dann kostendeckend zu betreiben. Jagdfeld ist der einzige ernsthafte Interessent. Ende 1996 kauft er die "Perlenkette" mit ihren sieben Logierhäusern und die sechs großen Häuser inklusive des Kurhauses für 15 Millionen D-Mark von der Treuhand.

Jagdfeld will Heiligendamm wieder herausputzen und dort das schönste und erfolgreichste Grand Hotel Deutschlands errichten. Fünf Sterne statt Verfall - dafür braucht es einiges an Kapital:

"Ich lade Sie ein, mit uns Heiligendamm wieder zu dem zu machen, was es einmal war: das schönste Seebad Deutschlands. Wenn Sie dazu gehören, erwarten Sie nicht nur Steuervorteile und Rendite, sondern Sie tun etwas für sich und ihre Familie." Anno August Jagdfeld, Fundus-Gruppe, in einem Werbevideo

Analysten sehen schon früh Schwachstellen bei Investition

Jagdfeld wirbt damit, in ein besonderes Projekt an historisch bedeutsamem Ort zu investieren. Seine Existenz verdankt Heiligendamm dem Arzt Samuel Gottlieb Vogel. Auf sein Anraten hin badete Herzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin dort in der Ostsee. Kurz darauf gründete er das erste deutsche Seebad. Zwischen 1793 und 1870 entstand das klassizistische Gebäude-Ensemble aus Bade- und Logierhäusern. Bis in die 1930er-Jahre galt Heiligendamm als exklusiver Badeort. Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten die Gebäude der DDR als Sanatorium für Werktätige und verfielen kontinuierlich.

VIDEO: Heiligendamm: Verblasster Charme und Suche nach Investor 1995 (3 Min)

Und das geht auch nach der Übernahme durch Jagdfelds Fundus-Immobiliengruppe erst einmal so weiter. Das Geld-Einsammeln bei potenziellen Investoren läuft zunächst schleppend. Fundus kalkuliert zunächst mit rund 250 Millionen D-Mark an Kosten für die Totalsanierung der Gebäude und deren Ausstattung zum Luxushotel. Im ersten Schritt werden 2.500 Anleger mit einem jeweiligen Mindesteinsatz von 100.000 Mark gesucht. Das scheitert. Analysten haben schon früh ihre Zweifel an der Rentabilität des Investments:

"Wenn man sich die Zahlen anguckt, halte ich das Angebot für eine mittlere Katastrophe. Wenn man hier den Ertrag in Relation zu dem Kaufpreis setzt, dürfte Heiligendamm maximal die Hälfte kosten. Der Preis liegt heute bei gut 300 Millionen Mark. Aber von den Kosten her dürfte es maximal bei 150 Millionen liegen." Volker Loomann, freier Finanzanalyst, 1999

50 Millionen D-Mark an Fördermitteln

Doch Jagdfeld lässt nicht locker: "Ich bin begeistert, verliebt, engagiert, es ist mein spannendstes und herausforderndstes Projekt", sagt er 1999. Jagdfeld hatte unweit von Heiligendamm, in Rerik, ein Jahr zuvor auch die Halbinsel Wustrow gekauft. Auch sie will er zu einem Ferienresort ausbauen. Das ist bis heute nicht über das Planungsstadium hinausgekommen. In Heiligendamm hingegen gelingt es Fundus im zweiten Versuch, ausreichend Anleger zu finden. Diese investieren in einen geschlossenen Immobilienfonds mit über 100 Millionen Euro. Zudem werden 50 Millionen D-Mark aus Bundes- und Landesmitteln zugesagt.

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Verfallende Häuser auf der Halbinsel Wustrow, dahinter die Ostsee. © NDR Foto: Daniel Sprenger

Wustrow: Lost Place mit bewegter Geschichte

Landgut, Flak-Schule der Nazis, Garnison der Russen: Die Halbinsel Wustrow spiegelt die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Seit 1998 gehört sie Anno August Jagdfeld - und nichts passiert. mehr

Aufwendige Restaurierung folgt auf ersten Spatenstich im Mai 2000

Mit dem eingesammelten Geld kann der Bau des Grand Hotels beginnen. Zum ersten Spatenstich am 27. Mai 2000 kommt auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD). Jagdfeld beschwört zu diesem Anlass mit großen Worten die große Aufgabe von Fundus:

"Der Wiederaufbau des alten Glanzes von Heiligendamm ist für die Menschen dieser Region die Restauration eines verlorengegangenen Traumes." Anno August Jagdfeld bei erstem Spatenstich, 27. Mai 2000

Die Restaurierung ist sehr aufwendig, der ganze Innenausbau der großen Häuser kommt weg, nur die klassizistische Fassade bleibt stehen. Der Zeitplan ist ambitioniert: Die Eröffnung wird für 2001 geplant und muss mehrfach verschoben werden. Am 30. November 2001 wird erst einmal Richtfest gefeiert - auch Bundespräsident Johannes Rau (SPD) nimmt neben Ministerpräsident Ringstorff daran teil.

"Es ist nicht hoch genug zu schätzen, was das für einen Beitrag zur Stärkung der Wirtschaftskraft unseres Landes bringt." Harald Ringstorff beim Richtfest, 30. November 2001

Investor Jagdfeld ist sich sicher: "Ich kann Ihnen garantieren, es wird das schönste Ferienhotel in Europa werden." Die Eröffnung ist nun Silvester 2002 geplant. Auch das klappt nicht ganz.

Große Eröffnungsfeier im Mai 2003

225 Zimmer und Suiten entstehen in den wieder in strahlendes Weiß getünchten prächtigen Häusern. Die Luxushotel-Kette Kempinski übernimmt den Betrieb des Grand Hotels. Laut Jagdfeld sind bis zur Eröffnung 232 Millionen Euro investiert worden. Die goldenen Lettern am Kurhaus sind blank poliert: Die Freude ist nach dreijähriger Sanierungsphase nach Heiligendamm zurückgekehrt - und auch den Worten von Ministerpräsident Ringstorff bei der offiziellen Eröffnungsfeier am 30. Mai 2003 zu entnehmen:

"In einer Reihe mit renommierten Häusern der Welt wirbt das Grand Hotel künftig für exklusiven Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern. Damit haben wir die einmalige Chance, Gäste zu erreichen, die Mecklenburg-Vorpommern bislang nicht auf ihrer persönlichen Landkarte haben. Und ich frage: Was kann uns Besseres passieren?" Harald Ringstorff bei der Eröffnung am 30. Mai 2003

Bilder vom G8-Gipfel gehen 2007 um die Welt

Ganz besondere Gäste, die Heiligendamm ziemlich sicher zuvor nicht auf ihrer Landkarte hatten, zieht der G8-Gipfel im Sommer 2007 an: Bilder von George W. Bush, Wladimir Putin, Toni Blair und Angela Merkel in einem überdimensionierten Strandkorb, der extra für die Staatsgäste angefertigt worden war, gehen um die Welt. Für den Gipfel wird der Ort komplett abgeriegelt.

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Politiker beim G8 Gipfel in Heiligendamm 2007 © Screenshot
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2007 stand das Seebad im Zentrum der Weltöffentlichkeit. Ein zwölf Kilometer langer Zaun trennte Gipfelteilnehmer und G8-Kritiker. 3 Min

Das Grand Hotel steht für einige Tage lang im Fokus der Weltöffentlichkeit. Investor Jagdfeld rechnet aber auch sonst mit hochkarätigem Besuch:

"Die werden natürlich besonders angezogen werden, die Nicole Kidmans und Armanis dieser Welt, weil das ja auch ein ästhetischer Hochgenuss ist. Und am meisten sind der Ästhetik ja nahe die Leute aus der Mode und aus dem Filmbusiness." Anno August Jagdfeld, Mai 2003

Konflikt mit Anwohnern: Streit ums Wegerecht

Die Ästhetik ist das eine, die Zugänglichkeit zu ihr das andere: Weil nach der Eröffnung mitunter Hunderte Touristen am Tag durch das Areal des Grand Hotels spazieren und in die Fenster spähen, möchte Fundus die öffentlichen Wege, die über das Hotelgelände führen, sperren lassen. Zu viel Öffentlichkeit verderbe das Geschäft mit der wohlhabenden, aber diskreten Klientel, so die These. Das stößt auf heftigen Widerstand von Anwohnern und Stadtverordneten von Bad Doberan, der für Heiligendamm zuständigen Kommune.

"Die Bevölkerung sieht natürlich überhaupt nicht ein, dass quasi die Hälfte des Ortes als verbotene Stadt deklariert werden soll und dass sie dort am Betreten gehindert werden. Hier sind circa 25 Millionen Euro als Fördermittel reingegangen, zumindest dafür war der Steuerzahler gut." Klaus-Peter Behrens, Stadtvertreter Bad Doberan, März 2004

2004 lehnen die Stadtvertreter Bad Doberans die Sperrung noch ab. 2006 stimmen sie zu, dass das Hotel die Wege auf seinem Gelände für 99 Jahre von der Stadt pachtet. Seither versperren Zäune den direkten Weg zur Strandbrücke. Besucher, die nicht im Hotel wohnen, müssen einen weiten Umweg laufen, um zur Promenade zu kommen, die zur Seebrücke führt. Auf dem Weg kommen sie an den sieben Häusern der "Perlenkette" vorbei, die zunächst noch weiter im Dornröschenschlaf verbleiben und erst seit Mitte der 2010er-Jahre nach und nach instandgesetzt werden.

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Für die Villa "Möwe" (M) der sogenannten Perlenkette des historischen Ostseebades wird Richtfest gefeiert. Zuvor fand der erste Spatenstich für die Sanierung der Villa "Seestern" (r) statt. Die Sanierung der Perlenkette wird schneller voranschreiten als bisher geplant. © dpa-Zentralbild/dpa Foto: Bernd Wüstneck

Sanierung der "Perlenkette" schreitet voran

Ein Richtfest für die "Villa Möwe" und ein erster Spatenstich an der "Villa Seestern": Die Sanierung der "Perlenkette" aus sieben Strandvillen in Heiligendamm macht Fortschritte. (Artikel vom November 2018) mehr

Grand Hotel in der Krise: Rote Zahlen und Insolvenz

Nachdem Kempinski sich 2009 aufgrund eines Streits mit Jagdfeld vom Betrieb des Grand Hotels getrennt und Fundus dieses fortan selbst betrieben hatte, meldet Fundus im Februar 2012 die Insolvenz für das Hotel an. Die Anleger verlieren viel von ihrem Geld - so wie Analysten befürchtet hatten. Jagdfeld sagt am Tag, als er die Pleite verkünden muss:

"Heiligendamm konnte man immer nur anpacken mit einer Portion Optimismus." Anno August Jagdfeld, 28. Februar 2012

Diesen Optimismus bringt Jagdfelds Nachfolger Paul Morzynski ebenfalls mit. Der Hannoveraner Steuerberater und Wirtschaftsprüfer kauft das Hotel im August 2013 - wohl für weniger als 30 Millionen Euro, wie Hallo Niedersachsen damals berichtet.

"Ich bin begeisterter Besucher des Hauses, habe mich sehr mit den Zahlen auseinandergesetzt. Ich habe es mir persönlich auf die Fahne geschrieben, diesen Heiligendamm-Standort noch mal richtig auf Vordermann zu bringen." Paul Morzynski, 02. August 2013

Neubeginn mit alten Themen

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Das Grand Hotel Heiligendamm hat einen Strandzugang über das Hotel-Gelände nach einer Testphase wieder für die Öffentlichkeit geschlossen. Gäste hatten sich beschwert. (Artikel vom Juni 2014) mehr

Offenbar gelingt es dem neuen Eigentümer, das Ruder herumzureißen und das chronisch rote Zahlen schreibende Grand Hotel Richtung wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu führen. Das Jahr 2015 endet mit einem Gästerekord: Knapp 25.000 Übernachtungen werden gezählt, der Umsatz steigt auf 15 Millionen Euro. Die Auslastung habe bei 55 Prozent gelegen, sagt Morzynski damals.

Während es wirtschaftlich also aufwärts geht, bleiben alte Streitpunkte bestehen: Ein zwischenzeitlich geöffneter Stichweg, der als Kompromiss zwischen Hotelbetreiber und Stadt Bad Doberan Touristen vom Molli-Bahnhof auf schnellerem Wege über Teile des Hotelgeländes zur Seebrücke bringen sollte, wird nach einigen Monaten wieder geschlossen. Zu viele Hotelgäste hätten sich beschwert. Immerhin zahlen sie ja einiges für das exklusive Ambiente: Unter 400 Euro pro Zimmer für zwei Personen ist im Grand Hotel auch zur Nebensaison kaum etwas zu bekommen. Heiligendamm ist nun mal eine wahrlich prachtvolle, aber auch abgeschottete Oase des Luxus. Ob Giorgio Armani und Nicole Kidman bereits hier waren, ist nicht bekannt.

Karte: Heiligendamm: Grand Hotel, Perlenkette und Ostseezugang

 

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