VIDEO: Flensburger Brauerei: Pandemie und Krieg drosseln Bierdurst (1 Min)

"Das flenst" seit 1888: Das Bier mit dem "Plopp" von der Förde

Stand: 06.09.2023 05:00 Uhr

Seit 1888 produziert die Flensburger Brauerei Emil Petersen Bier. Markenzeichen ist die Flasche mit Bügelverschluss, der beim Öffnen "ploppt". Anders als die Konkurrenz ist das Traditionshaus von der Förde noch immer ein Familienunternehmen.

Am 6. September 1888 gründen Kaufleute die Flensburger Export-Brauerei als Aktiengesellschaft. Damals boomt die deutsche Wirtschaft. Der Standort der Brauerei am Flensburger Mühlenteich ist mit Bedacht gewählt: Im Winter kann man hier das Eis brechen, um das Bier zu kühlen. Flensburger Bier wird schon bald bis nach Australien geliefert. Doch der Großteil der Produktion bleibt an der Förde. Mit Pferd und Wagen wird das Bier zu den Wirten gebracht.

Emil Petersen führt das Unternehmen zum Erfolg

Der Braumeister der Flensburger Brauerei 1954. © © NDR/ECO Media
Probieren muss sein: Seit 1888 braut Flensburger sein Pils - hier der Braumeister von 1954.

Nach dem Ersten Weltkrieg geht es mit Flensburg und der Brauerei bergab. Das Absatzgebiet Nordschleswig gehört jetzt zu Dänemark und bricht weg. Die Weltwirtschaftskrise treibt die Brauerei fast in den Ruin. Ein Zusammenschluss mit der zweiten Brauerei der Stadt, der Flensburger Actien-Brauerei-Gesellschaft, soll helfen, die Probleme zu lösen. Die Lage ändert sich auch, als Emil Petersen, Sohn eines Gründungsaktionärs, Anfang der 1930er-Jahre in den Vorstand rückt. Er macht aus dem Unternehmen eine der führenden Brauereien des Landes, kooperiert dabei aber mit den Nationalsozialisten. Nachdem diese 1933 die Macht übernommen haben, rekrutiert er neue Mitarbeiter ausschließlich aus Nazi-Anhängern. Als die Arbeiter nach Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 zum Dienst eingezogen werden, ersetzt sie das Unternehmen unter anderem durch Zwangsarbeiter aus Russland.

"Das ist auch etwas, was mir ein Stück weit weh tut, weil das in der Familie untergegangen ist. Man hat darüber nicht gesprochen", sagt Andreas Dethleffsen 2013 in einer Doku für das NDR Fernsehen. Er ist der Enkel von Emil Petersen und lange Zeit einer der beiden Chefs der Familienholding. "Alle, die heute dazu noch Stellung nehmen könnten, leben nicht mehr." Ein Historiker sei beauftragt worden, die Rolle von Petersen und seiner Firma während der NS-Zeit zu erforschen.

Nach dem Krieg ist Bier der Renner

Arbeiterinnen aus der Abfüllung der Flensburger Brauerei um 1950. © © NDR/ECO Media
In den 50er-Jahren arbeiten viele Frauen in der Produktion. Heute wird die meiste Arbeit von Maschinen erledigt.

In den 1950er-Jahren profitiert die Flensburger Brauerei vom Wirtschaftswunder. Das Bier verkauft sich, ohne dass die Firma groß in Werbung investieren muss. In der Abfüllung arbeiten jetzt überwiegend Frauen. Die Arbeitsplätze sind begehrt, denn Frauen bekommen den gleichen Lohn wie Männer.

Die Deutschen können sich wieder etwas leisten, das tägliche Bier ist der Luxus des Kleinen Mannes. Getrunken wird nicht nur am Feierabend, sondern auch bei der Arbeit, etwa auf Baustellen. "Es wurde schon viel konsumiert", erinnerte sich Dieter Pawel, der mehr als 40 Jahre als Fahrer für die Brauerei arbeitete, in der Fernseh-Dokumentation "Flensburger - Das Bier mit dem "Plopp". "Man hat an Sicherheit und Schutz überhaupt nicht gedacht. Das war täglich Brot. Und eine Buddel Bier gehörte zum Mauermann".

Es wird überhaupt gern getrunken in der Geschichte der Brauerei: "Nach jeder Bierfuhre bekam der Fahrer vom Gastwirt ein Bier und einen Schnaps - die kippte er weg", erinnert sich Pawel. Über den Tag seien so schnell 15 Gläser Bier und Schnaps zusammengekommen. Der damalige Senior-Chef der Brauerei, Hans Dethleffsen, erzählt, wie er mit seinem Schwiegervater an manchen Abenden 18 Flaschen Bier konsumierte - zum Missfallen seiner Frau. Inzwischen herrscht in der Brauerei striktes Alkoholverbot. Die Mitarbeiter trinken nur noch Mineralwasser. Immerhin aus der Bügelverschlussflasche - und auch die macht "plopp".

Bügelverschluss statt Kronkorken: Der "Plopp" stärkt die Marke

Anfang der 1970er-Jahre setzt sich bei Bierflaschen der Kronkorken durch. Die Flensburger widersetzen sich dem Trend und produzieren weiter mit Bügelverschluss. Eine gute Entscheidung, denn heute gehört der "Plopp" zum Markenkern. Allerdings steckt dahinter ursprünglich keine echte strategische Überlegung: "Da mögen Ihnen die Marketingstrategen erzählen, dass man das immer so geplant hat, aber das stimmt nicht wirklich. Emil Petersen hatte im Alter keine große Investitionsneigung mehr. Und als es notwendig wurde, in neue Technik zu investieren, weil der Kronkorken ja sehr viel billiger war, da sagte er schlicht 'nein'", so sein Enkel Andreas Dethleffsen.

"Prömpeln" als sportliche Disziplin

Bei vielen Treffen, an denen die Flensburger Flaschen gereicht werden, hat es sich etabliert zu "prömpeln". Dabei handelt es sich um eine Geschicklichkeitsaufgabe, ja fast schon um Sport, "der höchste Anforderungen an Konzentration und Auge-Hand-Koordination stellt", wie das Unternehmen auf seiner Website schreibt. Es geht darum, den herabhängenden Bügelverschluss einer leeren Flasche mit dem Finger exakt auf den Flaschenhals zu schnippen. "Liegt er korrekt auf, gibt’s drei Punkte, die seitliche Lage bringt zwei, das Verkehrtherum-Landen immerhin noch einen und das Herunterfallen keinen Punkt", erklärt die Brauerei.

Schwiegersohn übernimmt das Ruder der Flensburger Brauerei

1974 stirbt der Patriarch Emil Petersen. Weil er selbst nur Töchter hat, übernimmt sein Schwiegersohn Hans Dethleffsen die Leitung der Brauerei, denn eine Nachfolgerin kommt damals nicht infrage. "Was heute selbstverständlich ist, dass man eine Tochter genauso sieht wie einen Sohn - das war für ihn unvorstellbar", erinnert sich Hans Dethleffsen in der Doku von 2013.

Comic-Figur "Werner" macht Flens bundesweit bekannt

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Während andere Bierhersteller seit Anfang der 1970er-Jahre auf Fernsehwerbung setzen und ihre Produkte bundesweit anbieten, ist Flensburger noch eine lokale Marke. Das ändert sich schlagartig, als die Comic-Figur "Werner" Anfang der 1980er-Jahre ins Rampenlicht tritt. Zeichner Rötger Feldmann nutzt das Flensburger Bier als Vorlage für seine erfolgreichen Bücher und Filme. Darin trinken die Pratogonisten Werner und Holgi Bier aus Flaschen mit Bügelverschluss, die sie mit einem lauten "Plopp" öffnen. Das Bier, das im Comic "Bölkstoff" heißt, wird zum Kult und ist fortan bundesweit heiß begehrt. "Alle Studenten haben diese Comics gelesen. Alle wollten sie jetzt endlich 'Bölkstoff' trinken und meinten, es sei Flensburger. Also hat man sich deutschlandweit um Flensburger gerissen. Die Großhändler standen bei uns Schlange", so Dieter Pawel.

"Bölkstoff" hat sich rentiert

Und wie beurteilt das Unternehmen den unerwarteten Erfolg? Der Marke Flensburger haben die "Werner"-Comics aus Sicht von Andreas Dethleffsen gut getan: "Die Marketingstrategen haben sich immer gefragt: 'Passt das zu unserem Image oder ist das zu prollig?' Ich glaube aber, das war alles viel zu sophisticated. Das war einfach etwas, das jungen Leuten Spaß machte. Da lachte man drüber. Das fand man witzig. Das war, finde ich, etwas Gutes." Der "Bölkstoff", den die Brauerei mit extra Etikett auf den Markt bringt, hat sich rentiert.

Arbeiten an der "Plopp-Quote"

Flensburger Bier im Sixpack mit der Comic-Figur "Werner". © Flensburger Brauerei
Der Bügelverschluss ist das Markenzeichen des Biers aus Flensburg. An seiner Optimierung wird laufend getüfftelt.

Der Erfolg durch die "Werner"-Comics macht der Brauerei auch deutlich, wie wichtig der Bügelverschluss mit dem "Plopp" als Marketinginstrument ist. "Für den Verbraucher ist es ein besonderes Erlebnis, wenn er unser Bier konsumiert", erklärt Laborleiter Sascha Wunderlich in der Fernseh-Dokumentation von 2013. Er arbeitet deshalb daran, die sogenannte Plopp-Quote zu steigern. Zwischenzeitlich liegt sie bei 99,6 Prozent, das heißt, von 100 Flaschen ploppen 99 beim Öffnen. Doch dass nicht jede Flasche "ploppt", lässt dem Unternehmen keine Ruhe: Mehr als vier Millionen Euro investiert die Brauerei, um einen Bügelverschluss zu entwickeln, der den Druck besser hält. Das Ziel: ein akustisch optimaler "Plopp" bei allen Flaschen. Auch in der Werbung ist das "Ploppen" allgegenwärtig. Es ist zu einem regelrechten Erkennungsmerkmal geworden, genau so wie die drei norddeutschen Typen mit ihrer sprichwörtlichen Bierruhe.

Der Kampf am Markt ist hart

Der "Plopp" allein reicht allerdings nicht, um sich am Markt durchzusetzen. In Deutschland geht der Bierkonsum zurück, viele Konkurrenten setzen auf niedrige Aktionspreise, die eine kleine Brauerei nicht bieten kann. Die guten Plätze im Supermarkt sind hart umkämpft. "Dort geht es um Platzierungen, um jeden Zentimeter, den man an Platzierung bekommt. Wenn ich als Außendienstlerin nicht da bin und mich um die Platzierung kümmere, dann werde ich immer kleiner gemacht. Ich werde nach ganz unten in das Regal gestellt und irgendwann bin ich ganz weg", so Bezirksleiterin Maren Heitmann 2013 im NDR Fernsehen.

Verschiedene Bier-Produkte stehen in einer Vitrine der Flensburger Brauerei. © picture alliance/dpa Foto: Carsten Rehder
Mit Vielfalt im Markt bestehen: Heute hat die Brauerei viele verschiedene Biersorten und alkoholfreie Getränke im Sortiment.

Doch entgegen dem Branchentrend wächst die Flensburger Brauerei, vor allem über den Export - in mehr als 30 Ländern. Die wichtigsten Märkte sind Italien, die USA und China. Besonders die Chinesen lieben das Bier von der Förde, sie verbinden damit norddeutsche Kneipengemütlichkeit. Andreas Dethleffsen sagt schon 2013: "Wir müssen uns einfach der Tatsache stellen, dass sich Menschen, dass sich Märkte, dass sich Umgebungen verändern. Und mir ist es sehr wichtig, dass wir in diesem veränderten Umfeld unseren eigenen Weg und unseren richtigen Weg finden".

Corona schmälert den Bier-Absatz

Unter anderem die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass in Deutschland insgesamt weniger Bier konsumiert wurde. Das bekommt auch die Flensburger Brauerei zu spüren, wie die Absatzzahlen von 2008 bis 2022 belegen. Im In- und Ausland setzt die Brauerei im Jahr 2022 mehr als 637.000 Hektoliter ab. Rund 600.000 davon entfallen ähnlich wie 2021 auf das Inland. Vor der Pandemie hat der Absatz allein in Deutschland bei mehr als 640.000 Hektolitern gelegen.

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Unsere Geschichte | 17.09.2022 | 12:00 Uhr

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