Ein Lufthansa-Mitarbeiter hält einen Regenschirm, während eine Boeing 707 der Lufthansa auf dem Rollfeld des Hamburger Flughafens steht. © imago images

Wie das Düsenzeitalter für Hamburg begann

Stand: 11.06.2021 17:15 Uhr

Zehntausende Hamburger strömen am 13. Oktober 1959 zum Flughafen in Fuhlsbüttel, um die Landung des ersten Passagier-Düsenflugzeugs zu erleben. Aber kaum einer sieht den Jet.

von Marc-Oliver Rehrmann, NDR.de

Solch einen Auflauf hat der Hamburger Flughafen bis dahin nicht erlebt. Mehr als 25.000 Neugierige machen sich am Abend des 13. Oktober 1959 zum Gelände in Fuhlsbüttel auf, um die erste Landung eines Passagier-Düsenflugzeugs in der Stadt zu verfolgen - einer Boeing 707 der US-Fluggesellschaft PanAm. "Es war, als wäre das Rollfeld zum Superstadion geworden, in dem das Fußball-Länderspiel des Jahres über den Rasen laufen würde", schreibt das "Hamburger Abendblatt" über das Spektakel. Ein Riesenaufgebot an Polizisten sorgt für Absperrungen. Rund um den Flughafen drehen Autofahrer vergeblich ihre Runden, um noch eine Parklücke zu ergattern. Vor den besten Aussichtsplätzen bilden sich lange Schlangen.

Boeing 707 bleibt nur acht Minuten in Fuhlsbüttel

Die Vorfreude unter den Schaulustigen ist groß - die Enttäuschung dann auch. Denn inmitten des Massenauflaufs verkündet eine Stimme aus den Lautsprechern, dass der Jet schon wieder fort sei. Was ist geschehen? Die Boeing 707 ist 20 Minuten früher als angekündigt eingetroffen. Sie bleibt auch nicht wie geplant 50 Minuten auf dem Rollfeld in Fuhlsbüttel, sondern startet bereits nach acht Minuten wieder in Richtung London.

Landung verpasst: "Halbwüchsige spielten verrückt"

So bekommen nur die wenigsten das neuartige Düsenflugzeug zu Gesicht. "Aus Enttäuschung spielten einige Halbwüchsige verrückt, stimmten ein Pfeifkonzert an und warfen die Scheiben einer Baubude ein", ist später im "Abendblatt" zu lesen.

Der Zeitplan gerät durcheinander, weil der Pilot des Düsenflugzeugs in Zeitnot ist. Für denselben Abend steht noch der Rückflug nach New York auf dem Plan. Deshalb fällt die Stippvisite in der Hansestadt viel kürzer als gedacht aus. Und doch leitet der Abend eine neue Ära ein: das Zeitalter der Düsenflugzeuge für den Passagier-Verkehr in Norddeutschland.

Reicht die Startbahn für die Düsenflugzeuge?

Blick in das Cockpit einer Boeing 707 der Lufthansa (um 1960) © dpa
Blick in das Cockpit einer Boeing 707 um 1960: Es waren viel weniger Instrumente notwendig als in Propeller-Flugzeugen.

Bei dem Premierenflug steigt auf dem Hamburger Flughafen nur einer aus der Boeing 707 aus: Chef-Pilot Thomas Flanaghan. Er berichtet, dass die Landung aus der Sicht der Piloten absolut glatt verlaufen sei. Trotz des Bodendunstes habe man die Befeuerung von Fuhlsbüttel bereits über der Elbe in Sicht gehabt. Der Flug galt als Probeflug. Denn die US-Fluggesellschaft PanAm will Hamburg bald in ihr Streckennetz aufnehmen. Das Problem: Die längste Startbahn in Fuhlsbüttel ist mit ihren 2.259 Metern nicht lang genug für die neuartigen Jets - zumindest nicht für eine vollbetankte Boeing 707. Die Lösung: Das Düsenflugzeug geht in der Hansestadt mit nur etwa 70 Prozent seines Maximalgewichts an den Start. Für die geplanten Atlantikflüge von Hamburg aus wird die Maschine erst in London voll aufgetankt. "Für eine halbvoll betankte Maschine ist die Länge der Start- und Landebahn in Hamburg völlig ausreichend", befindet dann auch Chef-Pilot Flanaghan nach der ersten Landung.

Die schnellste Verbindung aller Zeiten

Und so steht regelmäßigen Starts und Landungen der Jets in Hamburg nichts im Wege. Knapp zwei Wochen nach dem Premierenbesuch startet PanAm mit ihren Trans-Atlantik-Flügen. Ab dem 26. Oktober 1959 fliegt die Boeing 707 dreimal wöchentlich (montags, mittwochs und freitags) die Route Kopenhagen-Hamburg-London-New York. "Es ist die schnellste Verbindung von der Alten zur Neuen Welt, die es je gegeben hat", schreibt das "Abendblatt". Die reine Flugzeit nach New York beträgt nur noch neuneinhalb Stunden, nahezu die Hälfte der bisherigen Flugzeit.

"Kein Schütteln, ruhiges Summen"

Fluggäste steigen auf dem Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel in eine Boeing 707. © dpa Foto: Lothar Heidtmann
Zunächst eine kostspielige Angelegenheit, doch Reisende schätzen den Flug mit dem Düsenflieger auch wegen des gestiegenen Komforts.

Für die Reisenden ist das Fliegen in einem Düsenflugzeug ein völlig neues Erlebnis. "Beim Start dauert es nur drei Minuten, bis alle vier Turbinen laufen", wundert sich ein "Abendblatt"-Reporter. "Kein Schütteln und Stoßen wie bei Kolbenmotoren der Propellermaschinen. Ruhiges Summen. Lautstärke in der Kabine wie in der S-Bahn." An Bord der Boeing 707 gibt es 113 Plätze, darunter 36 Sitze in der 1. Klasse. Zudem fliegt eine elfköpfige Besatzung mit. Ein Ticket für die Strecke Hamburg-New York kostet damals 2.324 DM in der Touristen-Klasse und 4.266 DM in der 1. Klasse. An Bord darf noch geraucht werden. Kurz nach dem Start in Hamburg wird ein Cocktail gereicht, später ein warmes Frühstück.

Düsenflugzeuge: Höher und schneller

Die US-Fluggesellschaft bietet aber nicht nur Reisen nach London und New York an - auch Frankfurt (täglich) und Düsseldorf (viermal wöchentlich) werden fortan mit Düsenflugzeugen angeflogen. Insgesamt stehen in jeder Woche 28 Flüge von und nach Hamburg auf dem Plan.

"Jets haben das Fliegen sicherer gemacht"

Eine Lufthansa-Maschine vom Typ Boeing 707-430 im Flug © dpa
Die Boeing 707 gilt zu Beginn des Düsenflugzeug-Zeitalters als ein "Gigant der Lüfte".

Mit den Jets wird das Flugzeug zum Massenverkehrsmittel. "Die Düsenflugzeuge konnten mehr als doppelt so viele Passagiere transportieren wie die meisten Propellermaschinen", weiß Robert Kluge, Kurator für moderne Luftfahrt am Deutschen Museum in München. In der Folge seien auch die Tickets deutlich günstiger geworden. Die Reisezeit verkürzte sich enorm, da die Jets mit wesentlich höherer Geschwindigkeit flogen. "Zudem kam man mit den Düsenmaschinen erstmals ohne Zwischenlandung von Europa aus in die USA", sagt Kluge im Gespräch mit NDR.de. "Und nicht zu vergessen: Die Düsenflugzeuge haben das Fliegen sicherer gemacht."

Startbahnen werden für die Jets verlängert

Um den Flughafen für die Zukunft fit zu machen, hat der Hamburger Senat schon im August 1959 beschlossen, Fuhlsbüttel zum Düsenflugplatz umzubauen. Zunächst soll die Startbahn I um knapp 1.000 Meter auf 3.250 Meter verlängert werden, später die kürzere Startbahn II von 1.466 Meter auf 3.620 Meter ausgebaut werden. Außerdem wird das Abfertigungsgebäude "großzügig erweitert". Der Vorschlag aus Schleswig-Holstein, den Flughafen ins rund 40 Kilometer entfernte Kaltenkirchen zu verlegen, lehnt der Senat ab.

Wie laut sind die Düsenflugzeuge?

Doch die neuartigen Flugzeuge stoßen im Herbst 1959 zunächst auf Sorgen bei den Anwohnern: Sind die neuen Düsenflugzeuge wie die Boeing 707 lauter als die bisherigen Propellermaschinen? Einige Monate zuvor war eine französische Düsenmaschine vom Typ Caravelle in der Hansestadt gelandet und hatte "höllischen Lärm" verursacht. Wie laut müsste dann erst die wesentlich größere Boeing 707 sein, fragen sich viele Anwohner. Aber Flugzeug-Experten beschwichtigen, die Boeing sei moderner und geräuscharm. Messungen zeigen dann auch: Die Triebwerke der 707 sind nicht viel lauter als ein Moped, das durch die Straßen knattert.

Eine weitere gute Nachricht folgt für die Anwohner, die um ihren Schlaf fürchten: Die Jets in Richtung New York starten am helllichten Tage und nicht wie anfangs befürchtet in der Nacht. Auch weil der Hamburger Flughafen zuvor klargestellt hat, dass man einem Start in der Zeit zwischen 21 Uhr und 7 Uhr früh nicht zustimmen werde. "Unter allen Umständen" solle den Anwohnern des Flughafens die Nachtruhe sicher sein.

Die Lufthansa zieht bald nach

Aus der Vogelperspektive ist ein Düsenflugzeug der Lufthansa auf dem Rollfeld des Hamburger Flughafens zu sehen. © Hamburg Airport
In achteinhalb Stunden überquert die Lufthansa mit ihrer Boeing 707 ab 1960 den Atlantik.

Die Lufthansa sattelt ebenfalls auf die neuen Jets um. Und so erlebt der Hamburger Flughafen im Frühjahr 1960 eine weitere Premiere: Die Lufthansa-Piloten Rudolf Mayr und Werner Utter landen am 2. März 1960 eine frisch in Seattle ausgelieferte Boeing 707 in der Hansestadt. Sie ist das erste Lufthansa-Düsenflugzeug. Die ersten Fluggäste steigen am 17. März 1960 in Fuhlsbüttel in die Maschine. Mit 14 Pressevertretern an Bord macht die Boeing 707-430 einen Einführungsflug von Hamburg über Frankfurt am Main nach New York. Mit diesem Flug nimmt die Lufthansa den kommerziellen Düsenverkehr auf. Die Maschine braucht damals 40 Minuten bis nach Frankfurt und überquert von dort aus in achteinhalb Stunden den Atlantik.

Und dann kommt der Jumbo

Im Oktober 1960 geht dann die verlängerte Startbahn I in Betrieb. Und für das Jahr 1961 zählt der Hamburger Flughafen erstmals mehr als eine Million Fluggäste. Noch mehr Passagiere können ab 1970 mit dem Großraumjet Boeing 747, auch Jumbo genannt, zu Interkontinentalflügen starten. Das Vorfeld des Hamburger Flughafens wird für die 350 Tonnen schweren Maschinen verstärkt, während der Flughafen-Terminal extra für den Jumbo eine neue Abfertigungsposition samt den beiden ersten Fluggastbrücken erhält.

Die Passagier-Zahlen des Hamburger Flughafens sind seitdem weiter rasant gestiegen: von gut drei Millionen Passagieren im Jahr 1970 auf mehr als 17 Millionen im Jahr 2019. Dann drückt im Jahr 2020 die Corona-Krise die Abfertigungszahlen auf lediglich 4,56 Millionen. Zwar geht Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler für diesen Sommer davon aus, dass die Passagierzahlen wieder merklich steigen. Mit einem Ende der Krise rechnet er aber erst im Jahr 2023.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 11.06.2021 | 13:00 Uhr

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