Rudolf Hell feiert am 19. Dezember 1991 in Kiel mit seiner Frau Jutta seinen 90. Geburtstag und hebt ein Glas Sekt in die Luft. © picture-alliance / dpa Foto: Wulf Pfeiffer

Rudolf Hell: Revolutionär der Nachrichtentechnik

Stand: 16.04.2024 00:00 Uhr

Am 16. April 1949 wird der Blatt-Schreiber von seinem Erfinder Rudolf Hell im NWDR-Funkhaus in Hamburg vorgestellt. Die Weltnachrichten laufen nicht mehr auf Lochstreifen, sondern auf Endlospapier geschrieben in den Redaktionen ein.

von Daniel Sprenger, NDR.de

"Bei der Presse ist ja die Zeit das Wesentliche." Rudolf Hell bei der Präsentation des Blatt-Schreibers, 16. April 1949

Dass es im Nachrichtengeschäft auf Schnelligkeit ankommt, hat der Elektroingenieur und Erfinder Rudolf Hell schon früh erkannt. Sein eigener Werdegang verläuft ebenfalls recht rasant: Als Sohn eines Bahnhofsvorstehers am 19. Dezember 1901 in Bayern geboren, studiert er Elektrotechnik, ist mit 22 Jahren Diplom-Ingenieur und mit 26 Doktor. 1929 gründet er in Neubabelsberg bei Berlin seine erste Firma und produziert noch im selben Jahr den Prototypen eines Typenbildfeldfernschreibers. Dafür meldet er ein Patent an, eines von insgesamt 131 in seinem Erfinderleben. Die Geräte werden unter dem Namen Hell-Schreiber bekannt.

NDR Retro: Eine Frau im Laborkittel und ein Mann im Anzug vor einem Experiment © NDR
AUDIO: Der Erfinder des Klischographen: Rudolf Hell im Interview (4 Min)

Hell gilt damit als Urvater des Faxgerätes. Denn seine Grundidee besteht schon in den 1920er-Jahren darin, Buchstaben und Linien in kleine Punkte zu zerlegen und sie als elektronische Pixel im Telefonnetz zu übertragen. Nach dem Krieg verlässt Hell die sowjetische Besatzungszone und gründet sein von Kriegszerstörungen und Demontage betroffenes Unternehmen 1947 in Kiel-Dietrichsdorf neu. Zwei Jahre später stellt Hell die Weiterentwicklung seines Fernschreibers vor.

Neuer Funkfernschreiber ein Meilenstein der Nachrichtentechnik

Ein Textstreifen läuft aus einem Hellschreiber. © Screenshot
Beim Hell-Schreiber wird die Schrift in doppelten Reihen mittels elektrischer Impulse übertragen.

Bei den zuvor genutzten Hell-Schreibern wurde die mittels elektronischer Impulse übertragene Schrift auf einen Streifen aufgeschrieben. Doch dieser musste dann von den Empfängern wieder abgeschrieben werden. "Durch das Abschreiben des Streifens entstand ein immerhin wesentlicher Zeitverlust und auch ein wesentlicher Arbeitsaufwand", sagt Hell bei der Vorstellung des neuen von ihm entwickelten Blatt-Schreibers im NWDR-Funkhaus in Hamburg. Dort präsentiert der Erfinder am 16. April 1949 selbst seine neueste Errungenschaft und stellt die Vorzüge heraus: "Dieser neue Blatt-Schreiber, der erlaubt im Gegensatz dazu die Niederschrift unmittelbar auf ein Schreibblatt, welches auch als Manuskript verwendet werden kann und unmittelbar in die Redaktion geht."

Das funktioniert über ein breites Blatt, welches von einer Rolle abrollt und langsam vorwärts transportiert wird. Das laufe "ähnlich wie bei der Schreibmaschine ein Farbband", sagt Hell. "Vor dem Farbband sind kleine Hämmerchen, die sich langsam von links nach rechts bewegen, und zwar mit der Geschwindigkeit, mit der die Schrift niedergeschrieben wird."

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Schriftzeichen werden in 49 Bildpunkte zerlegt

Jedes Schriftzeichen wird vor dem Senden in ein Raster von sieben Zeilen und sieben Spalten, also 49 Bildpunkte, zerlegt. Dadurch kann das Gerät jedes Zeichen übertragen, das sich auf dem Raster abbilden lässt. Deshalb kann das Verfahren auch im asiatischen Raum erfolgreich eingesetzt werden. Die Empfänger erhalten die Texte "jetzt mit der besonderen Raffinesse, dass es eben nicht auf einem Streifen ist, sondern dass das Manuskript so entsteht, als sei es mit einer Schreibmaschine geschrieben", wie der Reporter im NWDR-Funkhaus anmerkt. Er bittet den Erfinder, die Funktionsweise des neuen Übertragungswegs von Informationen aus der Nachrichtenagentur Reuters in London nach Hamburg so zu erklären, dass sie auch Laien verstehen können. Der Gesprächsausschnitt im Orginal:

Reporter: Ganz einfach gesagt: Was geschieht dort bei Reuters in London, in dem Augenblick, wo wir hier den englischen Text auf dem Papier sehen?

Rudolf Hell: Bei Reuters in London wurde der Text mit einer Art Schreibmaschine niedergeschrieben und in einen Lochstreifen gestanzt, der auch von der normalen Fernschreibe-Maschine, die bei Radio-Übermittlung bekannt ist, verwendet wird. Dieser Lochstreifen läuft dann durch den sogenannten Umsetzer und bewirkt, dass der Funksender, der in London steht, mit den einzelnen Hell-Zeichen moduliert wird.

Reporter: Herr Doktor, dieses Gerät ist hier im Hamburger Rundfunk zur Probe aufgestellt, ist es schon anderwärts in Benutzung?

Hell: Das sind jetzt die ersten Muster, die gefertigt wurden, und die Firma Siemens wird die Fabrikation der Geräte übernehmen. Die Geräte sollen dann bei allen Zeitungsredaktionen aufgestellt werden, im Inland und auch im Ausland. Zum Empfang der ganz normalen Presse-Nachrichten jedenfalls kann die eingehende Nachricht sofort weitergeleitet werden. Bei der Presse ist ja die Zeit das Wesentliche.

1956 stellt Hell das Faxgerät vor, doch Erfolg bleibt zunächst aus

Bis in die 1980er-Jahre hinein bleiben Hell-Schreiber die wesentliche Technik in der weltweiten Nachrichtenübertragung. Sie werden von Presse, Post, Polizei und Wetterdienst eingesetzt. Schon 1956 präsentiert Hell ein funktionsfähiges Faxgerät. Der Elektrogigant Siemens winkt ab, steigt nicht in die Vermarktung der Geräte ein und setzt stattdessen weiter auf Fernschreiber. 20 Jahre später erkennen die Japaner das Potenzial - denn Schriftzeichen lassen sich am besten per Fax übertragen. Das Kieler Unternehmen setzt derweil auf Drucktechnik und Bildtelegrafie und entwickelt mit dem Chromagraph einen Scanner, der den weltweiten Durchbruch schafft.

Mitte der 1960er-Jahre leistet Hell Pionierarbeit beim elektronischen Schriftsatz, der unter dem Namen "Digiset" bekannt wird. Damit war das Ende des Bleisatzes in der Druckindustrie gekommen. "Eigentlich habe ich dem Gutenberg ja ins Handwerk gepfuscht", sagt Hell einmal dazu.

Zum 50-jährigen Bestehen der Firma im Jahr 1979 erscheint in den Berichten vom Tage im NDR ein Porträt des Unternehmens.

"Hell-Produkte der Nachrichtentechnik, der Farbdruckvorlagen und Zeitungssatz-Vorlagentechnik sind so erfolgreich, dass das Umsatzvolumen von 95 Millionen Mark im Jahre 1972 auf heute über 200 Millionen Mark gesteigert werden konnte. Der Exportanteil liegt bei 70 Prozent. 140 Länder der Erde werden mit Hell-Technik beliefert." Berichte vom Tage, "50 Jahre Hell in Kiel", 3. Mai 1979

Kieler Ehrenbürger und Auszeichnung mit Bundesverdienstkreuz

Rudolf Hell (rechts) wird am 7. Mai 1980 in Kiel von Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. © picture-alliance / dpa Foto: Wolf-Dieter Pfeiffer
1980 erhält Rudolf Hell von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Stoltenberg das Bundesverdienstkreuz.

Rudolf Hell erfährt im Laufe der Jahre viel Anerkennungen und Ehrungen. So wird er 1980 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg (CDU) überreicht es ihm. Ein Jahr später wird der Erfinder zum Kieler Ehrenbürger ernannt. Seine Firma gehört zu diesem Zeitpunkt bereits komplett zu Siemens, das bereits seit 1971 größere Anteile gekauft hat. Erst im Jahr 1989 zieht sich Firmengründer Hell komplett aus dem aktiven Geschäftsleben zurück.

Mitarbeiter erinnert sich: "Er fand die schwachen Punkte heraus"

Zu seinem 100. Geburtstag am 19. Dezember 2001 gibt es einen offiziellen Festakt im Kieler Rathaus. Dem Schleswig-Holstein Magazin erzählen zwei Mitarbeiter, was die Arbeit bei Hell so besonders machte. "Mein erstes Erlebnis war die Einstellung bei Dr. Hell", sagt Christian Onnasch. "Im Rückblick würde ich sagen, das war schon lustig. Ich kam hin, ging erst mal durch die Labors, dann saß ich in seinem Büro, vielleicht zehn, fünfzehn Minuten. Wir haben uns ein bisschen unterhalten und dann war ich Mitarbeiter der Firma Hell. So einfach ging das - ohne Zeugnis, ohne Bewerbung, ohne alles."  

Peter Grupen erinnert sich: "Er gab die Ideen vor und die Richtlinien, überließ dann die Ausführung seinen Ingenieuren, aber kam immer wieder ins Labor, erkundigte sich, diskutierte mit. Beeindruckend war, dass er bei solchen Diskussionen mit Sicherheit die schwachen Punkte herausfand, die noch nicht genug durchdacht waren." 

Schon früh einen Blick für die Zukunft gehabt

Bereits 1977 hat sich Hell prophetisch in Bezug auf die noch bevorstehenden Revolutionen in der Nachrichtentechnik geäußert:

"Es wird noch sehr viele Fortschritte geben. Es ist eine völlige Revolution in der Druckindustrie im Gange zur Zeit. Das redaktionelle System wird völlig umgewandelt. Es wird alles am Bildschirm gemacht. Der Redakteur am Bildschirm kann den Setzer ersetzen." Abendjournal - Blick ins Land vom 22. Juni 1977

Das alles ist längst eingetreten. Und noch etwas: "Der Speicher im Computer wird immer wichtiger. Die Entwicklung war vor zehn Jahren noch nicht möglich", so Hell 1977. "Da sagte man, wenn ich ein Bild speichern will, dann brauche ich einen Riesenraum dazu. Heute können Sie ein Bild speichern auf ein paar Quadratzentimetern."

Hell stirbt mit 100 Jahren in Kiel

Ein Bild auf ein paar Quadratzentimetern: Seither sind 47 Jahre vergangen - heute passen Millionen Fotos auf einen USB-Stick. Eine Entwicklung, die Hell selbst nicht mehr miterlebt hat. Wenige Monate nach seinem 100. Geburtstag stirbt Hell, der Erfinder von Blatt-Schreiber und Faxgerät, am 11. März 2002 in Kiel.

Die einst hypermodernen Faxgeräte, die in Gesundheitsämtern zur Zeit der Corona-Pandemie noch einmal einen teils unrühmlichen Auftritt hatten, prägen auch das Arbeitsleben im NDR über Jahrzehnte. Heute sind sie dort weitestgehend abgebaut.

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