1946 beginnt die neue "Zeit"

Stand: 03.05.2023 12:20 Uhr

Nach dem Kriegsende liegt Deutschland noch in Trümmern, als am 21. Februar 1946 die erste Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" erscheint. Ihr Ziel: stets "ungeschminkt die Wahrheit sagen".

von Irene Altenmüller

"Die Jahre, die hinter uns liegen, haben den deutschen Leser von der Welt abgeschlossen, ihn in den Nebel der Propaganda gehüllt und der harten Sprache der Tatsachen entwöhnt. Es gilt heute, Trümmer nicht nur in den Straßen der zerbombten Städte wegzuräumen, sondern auch geistige Belastungen einer untergegangenen Epoche, und das kann nur geschehen, wenn wir den Mut haben, ungeschminkt die Wahrheit zu sagen. Nur in der Atmosphäre unbestechlicher Wahrheit kann Vertrauen erwachsen."

Mit diesen Worten beschreibt die Redaktion der "Zeit" in ihrer Erstausgabe vom 21. Februar 1946, wie sie ihre Aufgabe im vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Deutschland sieht. Die Herausgeber gehören zu den ersten, die der freien Presse in Deutschland nach zwölf Jahren NS-Diktatur wieder auf die Beine helfen.

Britische Militärregierung vergibt die Lizenz

Lizenträger Lovis Lorenz (l) nimmt am 15. Februar 1946 in Hamburg vom britischen Militärgouverneur von Hamburg (r) die Lizenz-Urkunde für die Wochenzeitung "Die Zeit" entgegen. © picture-alliance / dpa Foto: dpa gns
Am 15. Februar 1945 nimmt Lovis Lorenz die Lizenz-Urkunde vom britischen Militärgouverneur entgegen.

Nach einem Gewerkschaftsblatt ist "Die Zeit" die zweite in Hamburg erscheinende Zeitung nach dem Kriegsende. Nur acht Seiten dick ist die Erstausgabe. Erst eine Woche zuvor hatte die britische Militärregierung den vier Gründern - neben dem späteren Alleininhaber Gerd Bucerius sind das der ehemalige Hamburger Baudirektor Richard Tüngel, der frühere Verlagskaufmann Ewald Schmidt di Simoni sowie der Kunsthistoriker Lovis Lorenz - die Lizenz zur Herausgabe erteilt. Zunächst werden 25.000 Exemplare gedruckt. Sie sind für einen Preis von 40 Pfennig zu haben und finden reißenden Absatz - angeblich weniger wegen der Inhalte, sondern vor allem, weil Fisch- und Gemüsehändler das Papier dringend zum Einwickeln ihrer Ware benötigen.

Flucht und Vertreibung - Themen der ersten Ausgabe

Ausschnitt der Titelseite der Erstausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 21. Februar 1946 © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Die Folgen des Zweiten Weltkriegs beherrschen 1946 die erste Ausgabe der "Zeit".

Neben Artikeln zur ersten Tagung der Vereinten Nationen oder zur neuen Regierung in Brasilien beschäftigen sich die Autoren der ersten Ausgabe vor allem mit der Situation im zerstörten Deutschland. Ein Dreivierteljahr nach Kriegsende sind Millionen Menschen heimatlos und von Flucht und Vertreibung betroffen. Auf der Titelseite zieht ein expressiver Holzschnitt den Blick auf sich: Eine Abbildung dreier Menschen - Entwurzelte, Flüchtlinge -, die auf einer Eisscholle im Meer treiben. Darunter ein Text, der siebeneinhalb Jahrzehnte später wieder auf eigentümliche Art aktuell wirkt:

"15 Millionen Menschen irren durch Deutschland oder haben nur ein dürftiges Notquartier gefunden, Flüchtlinge aus den bombenzerschlagenen Städten, aus den kriegsverheerten Gauen, ... Ausgewiesene aus Nachbarländern."

Ausschnitt der Titelseite der Erstausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 21. Februar 1946 © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
AUDIO: Deutschlands erfolgreichste Wochenzeitung (15 Min)

Hamburg-Wappen weicht dem Bremer Schlüssel

Das Pressehaus  - heute Helmut-Schmidt-Haus - am Speersort in Hamburg © imago Foto: Winfried Rothermel
Das Pressehaus am Speersort ist bereits 1946 Sitz der "Zeit"-Redaktion. Seit Anfang 2016 heißt es Helmut-Schmidt-Haus.

Jeder Artikel geht in der Anfangszeit durch die britische Zensur. Doch nicht nur die Briten beobachten "Die Zeit", sondern auch der Hamburger Senat. Er untersagt der Zeitung die Nutzung des Hamburger Stadtwappens im Titelkopf als Missbrauch von Hoheitszeichen. Auch ein verändertes Wappen mit geöffnetem Stadttor stößt auf Missfallen. Ab Ausgabe 19 ziert daher bis heute der Schlüssel aus dem Bremer Stadtwappen den Titel - mit offizieller Erlaubnis der Stadt Bremen.

Den ersten Chefredakteur, Ernst Samhaber, entfernen die Briten bereits im August 1946 von seinem Posten. Nicht nur hatte er die britische Besatzungspolitik scharf kritisiert. Es kam auch ans Licht, dass er sowohl für NS-Zeitungen als auch für das NS-Propagandaministerium gearbeitet hatte. Als Chefredakteur folgt ihm der rechtskonservative Richard Tüngel nach.

Gräfin Dönhoff bringt "Die Zeit" auf liberalen Kurs

Marion Gräfin Dönhoff als Leiterin des Politikressorts bei der ZEIT, 1960er Jahre. © NDR/Marion Dönhoff Stiftung
Marion Gräfin Dönhoff in den 60er-Jahren. Sie beginnt 1946 bei der "Zeit" mit einem Anfangssalär von monatlich 600 Mark.

Liberales Gegengewicht in der Redaktion ist Marion Gräfin Dönhoff. Sie ist ab Ausgabe 5 dabei. "Es war ein großer geistiger Aufbruch nach einer fürchterlichen Zeit der Rechtlosigkeit", erinnert sich die 2002 verstorbene spätere Chefredakteurin und Herausgeberin im Jahr 1996 an die Anfänge. Man habe den Menschen eine Orientierung geben und "eine wirklich gute Zeitung" schaffen wollen, "die Argumente liefern könnte und nicht irgendwelche Doktrin".

Unter Chefredakteur Tüngel driftet "Die Zeit" bis in die 50er-Jahre weiter nach rechts. Als mit Carl Schmitt gar ein ehemaliger NS-Jurist in dem Blatt zu Wort kommt, kündigt Gräfin Dönhoff 1954 und kehrt erst zurück, nachdem Tüngel die Redaktion verlassen hat. Gemeinsam mit Gerd Bucerius, der ab 1957 Alleininhaber der Zeitung ist, bringt sie "Die Zeit" auf einen liberalen Kurs, den die Wochenzeitung bis heute beibehalten hat.

1983: Helmut Schmidt wird Herausgeber

Helmut Schmidt 1983 in seinem Büro bei der "Zeit". © dpa
Altkanzler Helmut Schmidt übernimmt 1983 das Ruder bei der Wochenzeitung.

In den 60er-Jahren kritisiert "Die Zeit" die starre Ostpolitik der CDU und plädiert für eine Annäherung. Später sagt Willy Brandt, "Die Zeit" habe seine Ostpolitik in Deutschland vorbereitet. 1983 wird Helmut Schmidt nach seiner Abwahl als Bundeskanzler neuer Herausgeber. "Als mich Gerd Bucerius fragte, habe ich das sehr gerne gemacht", erinnert sich Schmidt im Jahr 2006. Er sei erfreut gewesen, nach der langen Zeit als Berufspolitiker "etwas ganz anderes, etwas Neues" machen zu können.

"Die Zeit" bleibt erfolgreich

Chefredakteur Theo Sommer, Mitverlegerin Hilde von Lang, Mitbegründer Gerd Bucerius, Mitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff und Mitherausgeber Helmut Schmidt auf der Feier zum 40-jährigen Bestehen der "Zeit" am 21. Februar 1986 in Hamburg. © dpa Foto: Chris Pohlert
1986 feiern Theo Sommer, Hilde von Lang, Gerd Bucerius, Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt (v. l.) den 40. Geburtstag der "Zeit".

Viele prominente Namen sind mit der "Zeit" verbunden: Neben Bucerius, Schmidt und Dönhoff sind das unter anderem Theo Sommer, Michael Naumann und Giovanni di Lorenzo. Etliche Politiker, Wissenschaftler und Schriftsteller haben Gastbeiträge geschrieben. Bis heute gilt die Wochenzeitung trotz vieler Veränderungen und Anpassungen als Blatt der Akademiker und Intellektuellen - und trifft damit offenbar weiter den Geschmack der Leser. Während viele Zeitungen mit der Digitalisierung an Auflage verloren haben, konnte "Die Zeit" in den letzten Jahren bei den Verkaufszahlen zulegen, sowohl bei den Digitalkunden wie auch bei den Abonnenten der Papier-Ausgabe. sogar leicht steigern.

Weitere Informationen
Gerd Bucerius am 23. August 1985 mit einer einer Ausgabe der Zeitung "Die Zeit". © picture-alliance / Sven Simon Foto: Sven Simon

Gerd Bucerius: Der Herr über die "Zeit"

Der streitbare Politiker und Verleger hat die Nachkriegszeit geprägt. Als sein Vermächtnis gilt die "Zeit"-Stiftung. mehr

Marion Gräfin Dönhoff 1972. © picture-alliance/ dpa Foto: Lothar Heidtmann

Marion Gräfin Dönhoff - Mit Mut Meinung bilden

Ob in der Schule oder im Widerstand: Marion Gräfin Dönhoff war oft die einzige Frau unter Männern. Auch bei der "Zeit" stellte sie Weichen. mehr

Helmut-Schmidt © dpa/picture alliance Foto: Ulrich Perrey

Verehrt und gefragt: Altkanzler Helmut Schmidt

Er führte das Land durch Krisen, doch erst den Altkanzler begannen die Deutschen zu lieben. Die Stationen nach seiner politischen Laufbahn. mehr

Sogenannte Trümmerfrauen entsorgen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Schutt mit Loren. © picture alliance / akg-images

Nachkriegszeit: Trauer, Trümmer, Teilung - und Aufbruch

Nach dem Krieg sind die deutschen Städte eine Trümmerlandschaft. Das Land wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt. mehr

Dieses Thema im Programm:

Doku & Reportage | 17.02.2021 | 21:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Zeitgeschichte

Presse

Medien

Hamburger Geschichte

Mehr Geschichte

Aus Hamburg kommende Demonstranten auf ihrem Marsch am 18. April 1960: Demonstranten in Regenkleidung halten Plakate wie 'Atomare Aufrüstung bedeutet Krieg und Elend'. © picture-alliance / dpa Foto: Marek

Wie sich der Ostermarsch zur Friedensbewegung entwickelte

Der erste Protestmarsch führt 1960 ab Karfreitag in die Lüneburger Heide. In diesem Jahr finden die Märsche bis zum 1. April statt. mehr

Norddeutsche Geschichte