Tim Davie, der neue Generaldirektor der BBC © picture alliance/Andrew Milligan/PA Wire/dpa Foto: Andrew Milligan

BBC: Rechtsruck als "Neutralität"

Stand: 20.11.2020 09:20 Uhr

Angeblich, um Neutralität zu wahren, sollen BBC-Mitarbeiter auch als Privatpersonen keine politische Meinung äußern. Hinter dieser "Neutralität" stecken knallharte Interessen der politischen Rechten.

Ein Kommentar von Andrej Reisin

Bereits unmittelbar bei seiner Amtsübernahme als Generaldirektor der BBC im September sorgte der aus dem Marketing kommende Tim Davie für Aufsehen, als eine seiner ersten kolportierten internen Anweisungen darin bestanden haben soll, "linksgerichtete" Comedy- und Satire-Shows auf den Prüfstand zu stellen. BBC-Insider gaben allerdings zu bedenken, der Druck, konservative Comedians im Programm zu haben, sei vorher schon groß gewesen.

Als eine seiner ersten dokumentierten Amtshandlungen erließ Davie neue Social-Media-Richtlinien für Mitarbeiter, die im journalistischen Zeitgeschehen tätig sind. Demnach dürfen sie auch als Privatleute nicht an politischen Demonstrationen teilnehmen und kein "Virtue Signalling" auf Social Media betreiben. Die Übernahme eines Begriffs, der als rechter politischer Kampfbegriff entstanden ist, sorgte für Irritationen, erweckt er doch seinerseits kaum den Anschein der angeblich geforderten "Neutralität". Er entspricht in etwa dem deutschen "Gutmenschen" - und zielt darauf ab, Menschen, die sich auf Social Media für soziale Gerechtigkeit oder gegen Diskriminierung aussprechen, als selbstgefällig zu brandmarken.

VIDEO: Kommentar: Rechtsruck bei der BBC als "Neutralität" (4 Min)

Keine Pride Paraden, keine Black Lives Matter Proteste?

Für besonderes Aufsehen sorgte, dass es zunächst hieß, das Verbot beträfe auch die Teilnahme an den Pride-Paraden, mit der Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle für die gesellschaftliche Akzeptanz und Normalität ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität werben. Auch Anti-Rassismus-Proteste wie Black Lives Matter fallen unter die neuen Regeln. Zwar ruderte Davie im Hinblick auf die Teilnahme an Pride-Events im Nachhinein etwas zurück und erklärte, die Teilnahme sei grundsätzlich möglich, so lange man sich von "kontroversen" Inhalten fernhalte. Was das im Kontext von im konservativen Spektrum durchaus "kontroversen" Formen von Sexualität heißen soll, bleibt unklar, und damit bleibt auch die Unsicherheit.

Verwiesen wird in den Guidelines auf die Definiton von "kontroversen Themen" der britischen Medienaufsichtsbehörde "Office of Communications" (Ofcom). Diese verbietet als Meinungsäußerung gekennzeichnete "kontroverse" Beiträge aber keineswegs, sondern fordert lediglich, dass das Programm über alle Sendungen das gesamte Meinungsspektrum abbildet. Inwiefern hier eine Übertragbarkeit auf Social Media Accounts von Freien Mitarbeitern gegeben sein kann, erscheint fragwürdig. Die größte britische Mediengewerkschaft Bectu hat die Guidelines scharf kritisiert und dringend Verhandlungen gefordert.

Eine Allianz von Feinden

Seit Jahren beklagen rechtskonservative Kreise, dass die BBC zu linkslastig sei und insbesondere den Brexit nicht akzeptiert und neutral dargestellt habe. Immer wieder geäußerte Vorwürfe kommen einem dabei aus Deutschland bekannt vor: Die BBC sei zu groß, zu teuer, sie gebe zu viel Geld für prominente Stars aus, konkurriere auf Feldern, die private Sender besser bestellen könnten - und ihr öffentliches Finanzierungsmodell sei aus der Zeit gefallen, denn die Leute wollten Streamingdienste nach eigenem Gusto wie Netflix.

Der britische Politiker Boris Johnson geht an einem Gebäude mit dunkler Fassade vorbei und zeigt mit einem Finger zur Seite. © dpa picture alliance/Photoshot
Little Trump? Boris Johnson greift immer wieder kritische Medien an.

Dabei wurden der BBC seit 2010 real bereits 30 Prozent der Einnahmen gestrichen, wie die Zuschauervereinigung Voice Of The Listener & Viewer (VLV) ausgerechnet hat. Ihre Schlussfolgerung: "Der Griff der Regierung in die Kassen der BBC hat dazu geführt, dass die Beitragszahler heute wesentlich weniger Programm für ihr Geld bekommen als 2010." Was in der Folge wiederum die Akzeptanz der BBC schwächt.

Die aktuellen Kämpfe um die angebliche "Neutralität" der BBC stehen daher im Kontext einer langjährigen Entwicklung und einer Allianz von Feinden: Der rechtsgerichtete Medienmogul Rupert Murdoch, dem zahlreiche Boulevard-Blätter und "FOX News" gehören, versucht seit Jahrzenten die BBC zu schwächen. Dafür hat er sowohl politische als auch monetäre Gründe, schließlich ist sie ein Hauptkonkurrent im Bewegtbildbereich, in den auch seine Print-Titel zunehmend drängen.

Als die BBC-Moderatorin Emily Maitlis Boris Johnsons Berater Dominic Cummingsim Mai dafür kritisierte, mitten im Corona-Lockdown durchs halbe Land gefahren zu sein, wurde sie gerügt und moderierte vorübergehend auf eigenen Wunsch nicht. In Deutschland erhielt sie dagegen jüngst den Hans-Joachim-Friedrichs-Preis.

Die Zerstörung der BBC

Der mittlerweile von Boris Johnson aus anderen Gründen entlassene Dominic Cummings legte seinen Plan zur Zerstörung der BBC bereits 2004 auf den Tisch. Der damals noch unbekannte Aktivist leitete den nicht mehr existenten Think Tank "New Frontiers Foundation". Dort hieß es, die BBC sei der "Todfeind der konservativen Partei". Seine Agenda war unter anderem die Etablierung eines Rundfunks nach dem Vorbild von "Fox News".

Dominic Cummings verlässt 10 Downing Street in London © picture alliance / empics Foto: Yui Mok
Einst geschützt, jetzt geschasst: Boris Johnsons Ex-Berater Dominic Cummings.

Zunächst müsse man die BBC diskreditieren, die Leute dürften ihren Nachrichten schlichtweg nicht mehr glauben. Das kommt einem bekannt vor: So wie Donald Trump nicht müde wird, ihm gegenüber kritische Medien als "Fake News Media" zu bezeichnen, forderte Cummings, man müsse ständig betonen, BBC-Berichte seien voreingenommen oder fehlerhaft. Die "privilegierte Welt der BBC" müsse "auf den Kopf gestellt werden". Dies könne gelingen mit einem "Netzwerk von Web-Angeboten", die die BBC unterminieren und der Konkurrenz Skandale und Skandälchen zuspielen sollten.

Laut verschiedenen Berichten versucht die Regierung Johnson nun, sowohl die Spitze der Regulierungsbehörde Ofcom als auch den Aufsichtsrat der BBC mit zwei erzkonservativen BBC-Kritikern zu besetzen: dem früheren Chefredakteur der "Daily Mail", Paul Dacre und dem Ex-Chefredakteur des "Daily Telegraph" und Margaret-Thatcher-Biographen Lord Charles Moore. Die Pläne wurden von zahlreichen Medien kritisiert, sogar der wirtschaftsliberale "Economist" empfahl der Regierung, keinen "Kulturkrieg" vom Zaun zu brechen. Der ehemaliger "Guardian"-Chef Alan Rusbridger kommentierte auf Twitter, "so sieht eine Oligarchie aus".

Moore hat mittlerweile selbst seinen Verzicht erklärt, gerüchteweise reichte dem eifrigen Kritiker der "BBC-Verschwendung" eine Verdreifachung des Gehalts nicht aus. Dacre ist hingegen noch im Rennen. So oder so ist die Drohkulisse aufgebaut. Die alten Pläne von Dominic Cummings zur Zerstörung der BBC könnten im Mäntelchen der "Neutralität" trotz seiner Demission ans Ziel kommen.

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