Sendedatum: 23.02.2020 19:30 Uhr

Zeitreise: Der Mann im Feuersturm

von Karl Dahmen

Kann man sich vorstellen, was Detlef Boelck vom Rathausturm aus während des Zweiten Weltkriegs gesehen hat? Wahrscheinlich nicht, denn das Grauen von insgesamt 90 schweren Bombenangriffen auf Kiel ist kaum zu fassen. Auf dem Turm war Boelck als Alarmposten abgestellt, er notierte die Bombenangriffe und wie lange sie dauerten. Zugleich war er für den Bunker im Rathaus zuständig. Als Angestellter des Statistischen Amtes sah er vom Turm aus die Stadt in Schutt und Asche fallen. Kiel gehört zu den am schwersten zerstörten Städten im Zweiten Weltkrieg. Als Haupt-Militärhafen des Deutschen Reiches war Kiel ein vorrangiges Angriffsziel der Briten und US-Amerikaner.

Tagebuch und Statistik Kieler Bombenangriffe

Die Betroffenen stehen in den Überresten der zertrümmerten Gebäude. © NDR
Später schrieb Detlef Boelck in sein Tagebuch: "Die einzelnen Schäden aufzuführen, ist nicht möglich. Man fragt sich manchmal, gibt es überhaupt noch heile Häuser?"

Als am 2. Juli 1940 der erste Großangriff zu Ende war, kamen noch viele Schaulustige, um sich die Schäden anzusehen. Die ehemalige Kieler Stadtpräsidentin Ida Hinz meinte, die "paar Bömbchen" wurden von den Kielern gar nicht richtig ernst genommen. Als es dann aber so richtig losging, "war es die Hölle". Detlef Boelck schrieb die Alarme in Kiel auf, notierte Datum und Uhrzeit. Gleichzeitig aber führte er ein Tagebuch, in dem er die Schäden, die in der Stadt angerichtet wurden, notierte. Und während er sich bei den ersten Einträgen noch um einen teils leichten Ton bemühte, wurde die Sprache seiner späteren Einträge immer dunkler und trauriger. Und er schrieb: "Die einzelnen Schäden aufzuführen, ist nicht möglich. Man fragt sich manchmal, gibt es überhaupt noch heile Häuser?"

Nach dem 633. Alarm war Schluss

Vom Kieler Rathausturm hatte Detlef Boelck den Militärhafen im Blick. © NDR
Vom Kieler Rathausturm verfolgte Detlef Boelck die Angriffe auf den Haupt-Militärhafen des Deutschen Reiches.

Am 4. Mai 1945 notierte Detlef Boelck in seinem Tagebuch den letzten Alarm, den 633. Die Bevölkerung registrierte erleichtert, dass Kiel nicht verteidigt werden sollte und zur "offenen Stadt" erklärt wurde. Boelcks Tagebuch schließt mit dem 8. Mai 1945 und der Meldung von der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Laut Boelck gingen nun viele Menschen mit einem Gefühl der Befreiung durch die Straßen und hatten keine Angst mehr. Nicht vor dem Terror der Nazis und nicht vor den nächtlichen Bombenangriffen. Dennoch war Kiel stark zerstört, der Wiederaufbau sollte Jahrzehnte dauern.

Rückkehr an den Schreibtisch

Detlef Boelck kehrte zurück an seinen Schreibtisch im Statistischen Amt der Stadt, zehn Jahre später wurde er pensioniert - der Mann, der während der Bombenangriffe auf Kiel "das Auge der Stadt" war.

Weitere Informationen
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Schleswig-Holstein Magazin | 23.02.2020 | 19:30 Uhr

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