Sendedatum: 20.01.2015 21:15 Uhr

Pflegereform: Keine Entlastung für Pflegekräfte

von Djamila Benkhelouf & Philipp Kafsack

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt ständig - vor allem die der Demenzkranken. Bis zum Jahr 2020 werden insgesamt drei Millionen Menschen pflegebedürftig sein. Doch schon jetzt gibt es zu wenige Pflegefachkräfte. Viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen klagen über mangelnde Unterstützung. Und die Pflegekräfte selbst leisten jeden Tag einen Knochenjob: Schichtdienst, Stress durch Zeitdruck und schlechte Bezahlung. Je nach Pflegestufe ist für einen Patienten beispielsweise nur eine Grundpflege wie Waschen, Zahnhygiene und Toilettengang vorgesehen. Von einem Gespräch, einem Lächeln, Zeit für Betreuung steht da nichts.

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Betreuung ist anspruchsvoll - und zeitintensiv

Panorama 3 Autoren Philipp Kafsack und Djamila Benkhelouf haben den Alltag von zwei Pflegefachkräften in einem Haus für Menschen mit Demenz begleitet. Eigentlich müssen sich Erika Jüntgen und Roswitha Winter strikt an die Pflegepläne halten und die Grundpflege der Menschen schnell erledigen. Doch das Bersenbrücker Heim, in dem sie arbeiten, setzt auf aktivierende Pflege und legt viel Wert darauf, sich individuell Zeit für die Bewohner zu nehmen. Das funktioniert nur, weil das Haus nicht mehr als 15 Bewohner hat und somit mehr Zeit für die Menschen bleibt. Viele Einrichtungen können sich diesen Luxus nicht leisten.

Erika Jüntgen
Erika Jüntgen arbeitet in dem Heim in Bersenbrück. Dort kann sie sich Zeit für einzelne Bewohner nehmen, doch das ist die Ausnahme.

Neben der Pflege ist vor allem die Betreuung sehr anspruchsvoll. Demente Menschen können sehr emotional sein, Gemütsverfassungen können sich plötzlich ändern, auch aggressives Verhalten gehört dazu. Deshalb sei es wichtig, sagt Pflegefachkraft Roswitha Winter, dass man die Personen und ihre Biographien kennt, und weiß wie man mit diesen Situationen umzugehen hat. Für sie gehören Pflege und Betreuung zusammen, gerade im Bereich der demenziell erkrankten Menschen. Doch im bestehenden Pflegesystem kommen Einrichtungen und Pflegekräfte mit diesem Anspruch schnell an ihre Grenzen.

Sind 20.000 Betreuungskräfte der große Wurf?

Dass bereits heute ein gewisser Pflegenotstand herrscht und die Pflegesituation für Betroffene und ihre Angehörigen sich verbessern muss, weiß auch die Politik. Die Bundesregierung hat deshalb zwei "Pflegestärkungsgesetze" auf den Weg gebracht. Das erste ist im Januar 2015 in Kraft getreten; das zweite soll in dieser Wahlperiode umgesetzt werden. Seit Anfang dieses Jahres gibt es zum Beispiel mehr Geld für die Betreuung und Pflege von Demenzkranken. Ein wichtiger Schritt, denn bisher hatten sie wenig finanzielle Unterstützung erhalten.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der neuen Regelung: Die Zahl der so genannten "Betreuungskräfte" in stationären Pflegeeinrichtungen soll erhöht werden. Betreuungskräfte sind ungelernte Mitarbeiter, die die examinierten Pflegefachkräfte unterstützen sollen. Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe (CDU) ist auf die 20.000 neuen Betreuungskräfte, die er finanzieren will, stolz. Er verspricht "spürbare Verbesserungen des Alltags und der Lebenssituationen in unseren Pflegeeinrichtungen". Dafür nimmt der Minister immerhin eine halbe Milliarde Euro pro Jahr in die Hand.

Keinerlei Vorerfahrung

Qualifizierungsmaßnahme in Hamburg
Ein guter Anfang, aber grundsätzlich zu wenig Betreuungskräfte: Qualifizierungsmaßnahme in Hamburg.

Panorama 3 hat sich die zukünftigen Betreuungskräfte angeschaut und eine Qualifizierungsmaßnahme in Hamburg besucht. Viele Teilnehmer hatten mit Pflege keinerlei Vorerfahrung, die meisten wurden vom Arbeitsamt geschickt. Seit die Pläne, die Zahl der Betreuungskräfte zu erhöhen bekannt sind, gibt es in den Schulungen einen regen Zulauf an Teilnehmern. Die Schulungen seien ein guter Anfang, so die Lehrerin Ulrike Schripprack, aber es seien grundsätzlich zu wenig Betreuungskräfte.

In Bersenbrück kann man mit den neuen Betreuungskräften nicht viel anfangen. "Ich bin nicht davon überzeugt, dass das den eigentlichen Betreuungsrahmen abdeckt, weil man da schon gewisse Kompetenzen mitbringen muss, um jemanden zu betreuen und zu begleiten. Das bedeutet nicht, mal eben ein bisschen rumtüddeln und denken, betreuen kann ja jeder. Das ist eine hochanspruchsvolle Aufgabe", sagt Pflegefachkraft Kathrin Wojtun. 

Gröhe verteidigt sein Konzept

Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe
Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe verspricht spürbare Verbesserungen in Pflegeeinrichtungen.

Herrmann Gröhe bleibt trotz Kritik bei den Betreuungskräften. "Ich bin sehr auf der Seite der Fachpfleger, die sagen, Pflege will gelernt sein. Und gleichzeitig werden wir uns die kleinen Unterstützungsdienste des Alltags ob im Heim oder zu Hause, das werden wir uns nicht leisten können, wenn das alles nur durch Fachkräfte geschehen sollte", sagte Gröhe.

Immerhin: Nachdem das Ansehen des Altenpflege-Berufs in den vergangenen Jahren stark gelitten hat, gab es im Schuljahr 2013/14 bundesweit 26.740 Frauen und Männer, die sich für eine Ausbildung zum Altenpfleger entschieden haben, ein Anstieg um 14,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bleibt zu hoffen, dass die künftigen Altenpfleger bessere Arbeitsbedingungen vorfinden werden und ihnen genug Zeit im Alltag bleibt, um neben der Pflege auch ganz schlicht für die Menschen da zu sein.

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Eine Krankenpflegerin überprüft auf der Intesivstation die Dialyse bei einem Patienten. © dpa Foto: Angelika Warmuth

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 20.01.2015 | 21:15 Uhr

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