Katrin Krabbe: Tiefer Fall einer Sprint-Königin

Stand: 27.08.2021 10:40 Uhr

Katrin Krabbe war Aushängeschild der gesamtdeutschen Leichtathletik - bis sie im Doping-Sumpf versank. Doch sie würde auch die schlechten Tage nicht aus ihrer Vita streichen.

von Andreas Bellinger

Sie war die "Grace Kelly der Tartanbahn" - und wenig später Hauptdarstellerin in einem der größten (Doping-)Skandale des deutschen Sports. "Katrin Krabbe war das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik, das Glanz auf die Sportart geworfen hat", sagt der langjährige DLV-Präsident Clemens Prokop dem NDR Sportclub. Groß geworden in der DDR, war sie das sportliche Gesicht der Wende, ein Star des vereinten Deutschlands. 1991 gewann sie in Tokio zwei Weltmeistertitel und galt als große Medaillenhoffnung für Olympia in Barcelona. Doch die Neubrandenburgerin stürzte ab, versank im Dopingsumpf und endete "auf dem Scheiterhaufen", wie der italienische "Corriere della Sera" titelte. Noch ehe die Olympischen Spiele begannen, beendete sie am 23. Juli 1992 ihre Karriere. "Sie ist hoch geflogen; für viele in Deutschland zu hoch", sagt rückblickend ihr Vater Klaus-Peter Krabbe.

Es ging fast nur bergauf

Im Sportforum der damaligen Bezirksstadt Neubrandenburg im ländlich geprägten Mecklenburg-Vorpommern begann der sportliche Aufstieg der am 22. November 1969 geborenen Krabbe. Ihr Trainer war schon damals, Anfang der 1980er-Jahre, Thomas Springstein. Ehrgeizig war er wie die ganze Leichtathletik-Gruppe, zu der außerdem Grit Breuer und Manuela Derr gehörten. "Schon im Training das Außergewöhnliche leisten", lautete sein Credo. "Ich bin manchmal zum Training gegangen und hab' mir zwei Schmerztabletten eingeworfen, um die Einheiten überhaupt durchstehen zu können", erzählt Krabbe. Sie war schnell, brachte alles mit, was eine Sprinterin wohl haben sollte, und wurde als 13-Jährige ins Sportinternat ihrer Heimatstadt geschickt. Es ging fast nur bergauf - bis in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit.

"Es war schon grenzwertig"

Trainer Thomas Springstein und Katrin Krabbe © dpa Foto: Jens Kalaene
Krabbe mit ihrem langjährigen Trainer Thomas Springstein.

Bei den Junioren-Weltmeisterschaften im kanadischen Sudbury stürmte sie 1988 über 200 m (22,34 Sekunden) sowie in der 4x100-m-Staffel (43,48) zur Goldmedaille und stand sogleich im Blickfeld der Sport-Welt. Ein paar Wochen später folgte der nächste Leistungssprung, als sie bei einem Sportfest in Ostberlin ihre Bestzeit über 100 m um sechs Zehntelsekunden auf 10,89 Sekunden schraubte. Dieser Junioren-Weltrekord war zugleich die Fahrkarte zu den Olympischen Spielen in Seoul. Im 200-m-Halbfinale war in Südkorea aber Endstation. Springstein, ihr Trainer mit den eigenwilligen wie umstrittenen Methoden, reagierte mit noch intensiverer Arbeit, zog die Schrauben weiter an, was Krabbe & Co. bis zum Anschlag gefordert hat: "Es war schon grenzwertig", so Krabbe.

Triumphläufe in Tokio

Doch der Erfolg schien dem unnachgiebigen Übungsleiter Recht zu geben. Bei den Europameisterschaften 1990 in Split gewann die Pädagogik-Studentin dreimal Gold über 100 m (10,89), 200 m (21,95) und mit der Staffel. Die Erwartungen beim letzten großen Auftritt der damals 20-Jährigen für die DDR erfüllte sie souverän. Ein Jahr später landete sie einen Doppelsieg auf den Sprintstrecken bei den ersten gemeinsamen deutschen Meisterschaften in Hannover. Locker qualifiziert, fuhr sie 1991 zu den Weltmeisterschaften nach Tokio, wo ihr der Durchbruch in die Weltelite gelang.

10,99 Sekunden (100 m) und 22,09 (200 m) brauchte sie für ihre Triumphläufe und ließ sich dabei weder von der US-Amerikanerin Gwen Torrence noch von Merlene Ottey aus Jamaika aus der Erfolgsspur drängen. "Ich wusste, dass ich richtig gut drauf bin. Dieses Gefühl hatte ich bei keinem anderen Lauf in meiner Laufbahn", erinnert sich Krabbe. Eine der weltweit prominentesten Sportlerinnen war sie zu der Zeit, wurde zweimal Sportlerin des Jahres in Deutschland (1990/1991), Europas Sportlerin des Jahres (1990) und von der italienischen "Gazzetta dello Sport" sogar zur Weltsportlerin des Jahres (1991) gekürt. In Wachs gab es sie auch, bis "Madame Tussauds" ihr Ebenbild im Zuge der Manipulationsvorwürfe entfernen ließ.  

Leistungssprünge schüren Misstrauen

Der sportliche Olymp lockte, aber der Stress quälte. "Irgendwann hatte ich keine Privatsphäre mehr", sagt sie. Die Fotografen ließen sie auch jenseits der Tartanbahn nicht mehr in Ruhe. "Sie hat durch ihr Auftreten und ihre optische Erscheinung, verbunden mit ihrem sportlichen Erfolg, frischen Wind in die deutsche Leichtathletik gebracht", sagt Prokop. Die schwierige Zeit des Zusammenwachsens der beiden deutschen Sportsysteme schien Krabbe ein Stück weit leichter zu machen. "Das Mädchen ist durch ihr Talent in eine Entwicklung getrieben worden", sagt der als Anti-Doping-Experte bekannte Molekularbiologe Werner Franke. Während die Leistungssprünge mit noch mehr Training, noch mehr Intensität begründet wurden, machten sich Franke und Co. ihre eigenen Gedanken.

Porträt aus 2019 von Katrin Krabbe auf einem Sportplatz © picture alliance Foto: Jens Büttner
Erst gefeierte "Sprint-Göttin", dann jähes Karriere-Ende.

Im Januar des Olympia-Jahres 1992 wurde das wachsende Misstrauen der Experten bestätigt. Während die Sportfans und Medien ihre "Sprint-Göttin" gerade noch gefeiert, Veranstalter bei Sportfesten fünfstellige Startgelder gezahlt und 1991 ein Jahreseinkommen von einer halben Million Mark zu Buche geschlagen hatten, bahnte sich in Südafrika das jähe Ende ihrer Karriere an. Im Trainingslager in Stellenbosch hatten die Doping-Kontrolleure Proben bei Krabbe, Breuer und Silke Möller genommen und festgestellt, dass dreimal derselbe Urin abgegeben worden war.

"Freispruch aus formalen Gründen"

"Jeder Laborhase hätte die nicht versiegelten Flaschen aufschrauben, den Inhalt zusammenmischen und die Flaschen wieder auffüllen können. Ich habe nicht gedopt", verteidigte sich Krabbe bei einer Pressekonferenz. Tatsächlich wurde die Suspendierung durch den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) drei Monate später aufgehoben. Anwalt Reinhard Rauball erwirkte einen "Freispruch aus formalen Gründen", wie das übergeordnete Schiedsgericht der Internationalen Leichtathletik-Föderation (IAAF) es formulierte. Kritiker Franke schüttelt noch immer den Kopf über das Urteil: "Man kann ihr nur wünschen: Erzähl' endlich, wie es war mit Springstein, Breuer und den Kontroll-Urin-Abnahmen in Südafrika."

Nächster Skandal: Clenbuterol

Krabbes Traum von Olympia war geplatzt. Der Skandal aber noch lange nicht zu Ende. Bei einer weiteren Doping-Kontrolle wurde Clenbuterol in ihrem Urin nachgewiesen. Springstein hatte das rezeptpflichtige Medikament mit anaboler Wirkung illegal beschafft. "Ich fühle mich schon schuldig, dass ich mich nicht ausreichend sachkundig gemacht habe", sagte er öffentlich. Krabbe ("Ich denke nicht, dass er uns absichtlich schaden wollte") wurde für drei Jahre wegen Medikamentenmissbrauchs gesperrt. Weil Clenbuterol damals aber nicht auf der Liste der verbotenen Substanzen stand, wurde ihr, so Prokop, "ein Verstoß gegen das ethische Grundverständnis des Sports" zur Last gelegt.

Vom Prozessmarathon zur Privat-Insolvenz

Das endgültige Aus der Sprinterin Katrin Krabbe war der Startschuss zu einem acht Jahre währenden Prozessmarathon. An dessen Ende urteilte das Gericht, "dass bei einem Doping-Ersttäter maximal eine zweijährige Wettkampfsperre ausgesprochen werden darf" und sprach Krabbe für entgangene Start- und Sponsorengelder Schadenersatz in Höhe von 1,5 Millionen Mark zu. "Der Fall hat Rechtsgeschichte geschrieben", sagt Prokop.

Doch der Konflikt mit der Justiz ging weiter: Springstein bekam 2006 wegen eines anderen Doping-Vergehens eine Bewährungsstrafe von 16 Monaten. Krabbes Ehemann, der Rechtsanwalt und Ruder-Weltmeister Michael Zimmermann, wurde 2008 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Das Paar musste Privat-Insolvenz anmelden. "Katrin hat lange gebraucht, bis sie sich wieder normalisiert hatte", sagt ihr Vater. Ihre dunkelste Stunde sollte sie aber erst sieben Jahre später erleben.

"Gab Momente, die richtig schlecht waren"

"Mein Mann kam eines Abends nicht nach Hause", erzählt Krabbe im Sportclub von der Nacht auf den 5. Mai 2015. An diesem Tag meldete sich die Polizei mit der furchtbaren Nachricht, "dass er sich das Leben genommen hat". 21 Jahre verheiratet. Kein Abschiedsbrief. Mit ihrem Partner Karsten, einem Immobilienunternehmer, hat sie neues Glück gefunden. Bei ihm feierte sie im November 2019 in Chemnitz gemeinsam mit der Familie und Freunden ihren 50. Geburtstag. "Ich nehme das nicht zum Anlass, mich an dem Tag hinzusetzen und auf mein Leben zurückzuschauen. Das ist viele Jahre vorher passiert", erzählt sie.

"Ich bin stolz auf das, was ich in meiner sportlichen Karriere erreicht habe, weil ich weiß, wie hart ich dafür gearbeitet habe. Es gab Jahre, da war es nicht so, aber mittlerweile schaue ich sehr gerne zurück und bin dankbar für die Zeit." Katrin Krabbe

"Es gab Momente in meinem Leben, die richtig schlecht waren. Aber egal, was in meinem Leben passiert ist und wie schlimm die Zeiten auch waren: Wenn mir das nicht passiert wäre - ich wäre heute nicht dieser Mensch", sagt die Mutter zweier Söhne nachdenklich. "Das Rad kann man nicht zurückdrehen, aber man kann aus Fehlern und Erfahrungen lernen. Ich glaube, ich habe bis jetzt mein Leben ganz gut gemeistert", so die Mecklenburgerin, die neben ihrem Halbtagsjob in einem Autohaus als Sterbebegleiterin in einem Neubrandenburger Hospiz arbeitet; ehrenamtlich nach einer zehnmonatigen Ausbildung. Für Franke indes trägt die "Schnellste Lügnerin der Welt" (Zeitungs-Schlagzeile) bis heute Schuld, "weil sie auch nach einem Vierteljahrhundert nichts erzählt und die Wahrheit sagt".

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 24.11.2019 | 23:35 Uhr

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