Nadal schmerzt der Fuß © IMAGO / Shutterstock

Warum Rafael Nadals Umgang mit Schmerzen ein Problem ist

Stand: 27.06.2022 12:55 Uhr

Rafael Nadal leidet schon lange unter einer chronischen Erkrankung, spielte zuletzt unter lokaler Betäubung. Nun schlägt er nach umstrittener Behandlung in Wimbledon auf. Doping-Experte Fritz Sörgel spricht von "Quacksalberei" - und verfehlter Vorbildwirkung.

von Anne Armbrecht und Hendrik Maaßen

Pünktlich zum Start des wohl renommiertesten Tennisturniers der Welt hat Rafael Nadal seine Fußprobleme offenbar doch noch in den Griff bekommen. Erleichtert trat er am Wochenende vor Wimbledon vor die Kameras. "Ich kann nahezu jeden Tag normal gehen, das ist für mich die Hauptsache", sagte der 36-Jährige: "Wenn ich aufwache, habe ich nicht mehr diese Schmerzen wie in den vergangenen anderthalb Jahren." Die Behandlung habe die Verletzung selbst zwar nicht verbessert, aber das Leid wohl für den Moment lindern können.

Wegen der Schmerzen war der Start des Spaniers in London lange ungewiss gewesen. Nun darf der spanische Grand-Slam-Rekordsieger im traditionellen Wimbledon-Weiß auf Rasen den nächsten Rekord jagen.

Der Fuß bereitet Nadal schon lange Probleme

Nadal leidet schon seit einigen Jahren am Müller-Weiss-Syndrom, einer seltenen Erkrankung, bei der Knochengewebe des Kahnbeins am Fuß abstirbt. Schon in der Vergangenheit bereitete ihm sein linker Fuß deshalb immer wieder Probleme. Wegen der Erkrankung hatte Nadal im vergangenen Jahr fast den kompletten zweiten Saisonteil auslassen müssen.

Umso eindrucksvoller war sein Comeback zu Beginn des Jahres, als er in Australien seinen 21. Grand-Slam-Titel holte. Noch mehr staunte das Publikum dann in Paris, als Nadal Nummer 22 gewann. Bei der Pressekonferenz danach gestand er, was ihm dieser Triumph abverlangt hatte: "Ich will nicht darüber sprechen, wie viele Spritzen ich bekommen habe, aber ja, vor jedem Spiel brauchte es einige, um den Nerv zu betäuben."

Wer Schmerz nicht spürt, weiß nicht, wann es zuviel ist

Ein Tennisspieler, der stundenlang über den Court fegt und dabei seinen Fuß nicht spürt. Sein Leibarzt Angel Ruiz Cotorro hatte ihm dutzendfach ein Anästhetikum gespritzt. "Das war der einzige Weg hier eine Chance zu haben", sagte Nadal. "Ich hab's gemacht, ich bin glücklich und ich kann meinem Arzt nicht oft genug Danke sagen für das, was er in meiner ganzen Tenniskarriere für mich gemacht hat."

Als Außenstehender ist man angesichts solcher Sätze hin- und hergerissen. Der Spitzensport verlangt von seinen Akteuren oft Unmenschliches, immer wieder treibt er sie an und über die Grenzen des Zumutbaren. Man kann Leistungen wie die Rekorde Nadals bewundern - aber kann man sie guten Gewissens gutheißen? Am Ende ist der Schmerz doch ein Signal des Körpers: Bis hier hin und nicht weiter, sonst setzt du deine Gesundheit aufs Spiel.

Doping-Experte Sörgel: "Das hat eine verheerende Wirkung"

Wer Schmerz nicht spürt, weiß nicht, wann es zu viel ist, noch schlimmere Verletzungen, womöglich bleibende Schäden drohen. Und auch die Schmerzmittel selbst haben Nebenwirkungen. Darf ein Spitzensportler wie Nadal, einer mit Fans auf der ganzen Welt, mit Vorbildwirkung für Millionen, ihren Konsum einfach so verharmlosen? Als selbstverständlich im Sport darstellen?

Für den Doping-Experten und Pharmakologen Fritz Sörgel lautet die Antwort ganz klar Nein. Vor allem mit Blick auf den Nachwuchs, der zu seinem Tennis-Idol aufschaut. "Das hat natürlich eine verheerende Wirkung! Denn diese Dinge werden sehr früh an junge Menschen herangeführt. Die Statements von Nadal erreichen vielleicht nicht die 12-, 13-Jährigen. Aber bei 14- bis 15-Jährigen (Sportler*innen) sind sie sehr wohl angekommen", sagt Sörgel im Gespräch mit dem NDR.

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Zu Vorbildfragen schweigt der Weltverband

Es ist ein Problem, wenn dem Nachwuchs signalisiert wird: Mit Schmerzen zu spielen oder Schmerzmittel zu schlucken ist normal - das musst du machen, musst du aushalten, wenn du es an die Spitze schaffen willst.

Rafael Nadal leitet auf Mallorca selbst eine Tennis-Akadamie für Talente. Schriftlich an die Einrichtung gestellte Fragen zu seiner Vorbildfunktion, den konsumierten Schmerzmitteln oder etwa der Aufklärung von Nachwuchsspielern über Schmerzmittel, beantwortet der Spanier innerhalb einer Frist nicht. Auch der Tennis-Weltverband (ITF) reagiert nicht auf die Fragen. Ob es mit dem Selbstverständnis des Sports korrespondiere, wenn ein Spieler verletzt spiele und dabei auf Schmerzmittel angewiesen sei, um überhaupt am Wettkampf teilnehmen zu können? Keine Antwort.

Sörgel: Schmerzmittel lassen sich nicht verbieten

Die Internationale Tennis-Integritäts-Agentur (ITIA), für Korruption und Doping zuständig, verweist wiederum an die Welt-Antidoping-Agentur (WADA). Doch die WADA will sich auf Anfrage ebenfalls nicht zur Vorbildfunktion Nadals äußern: Es handele sich um eine medizinische Sache und nicht eine Antidoping-Angelegenheit. Bei Fragen nach den Schmerzmitteln verweist die WADA auf die Persönlichkeitsrechte des Spielers. Nur bei einer Frage wird die Agentur deutlich: Um Doping handelt es sich bei Schmerzmitteln nicht - auch wenn die Stoffe Nadal in Paris überhaupt erst in die Lage versetzt hatten, am Wettkampf teilnehmen zu können.

Pharmakologe Sörgel sieht das anders. "Ein Lokalanästhetikum mit Vitaminen und allem, was da noch so reingespritzt wird, ist natürlich von seinem Charakter her Doping, das ist ja klar." Weil es den Sportler in die Lage versetzt, etwas zu tun, was er sonst nicht tun könnte. "Aber das ist eben ziemlich schwer das so in den WADA-Code einzubringen, weil sie einem Menschen nicht verbieten können, seine Schmerzen mit einem Schmerzmittel zu betäuben."

In Paris gab es Spekulationen über Nadals Karriereende

Am Rande des French-Open-Finals, das Nadal schließlich deutlich gewann, war wegen der Beschwerden sogar über ein nahes Karriereende spekuliert worden. Stattdessen unterzog er sich in Barcelona nach Medienberichten einer Radiofrequenztherapie: Die betroffenen Nerven im Fuß sollten damit betäubt und der Schmerzreiz nicht mehr an das Gehirn weitergeleitet werden, hieß es. Danach reichten offenbar ein paar Tage Erholung auf Mallorca, ehe er den Wimbledon-Start verkündete.

Für den Doping-Experten Sörgel alles Augenwischerei. "Wenn diese Technik eine wissenschaftlich etablierte Technik wäre, dann wäre das kein Problem. Aber das sind im Sport einfach Dinge, die werden gemacht. Und da setzt man sich dann eben noch Strahlen aus. Welche Art von Strahlen das sind, ich weiß nicht genau - auch nicht, ob das jemals bekannt gegeben wird. Aber generell muss ich schon sagen, dass solche Art von Quacksalberei ein großes Problem im Sport ist."

Rafael Nadal scheint angesichts solcher Kritik schmerzfrei zu sein. Der aktuelle Weltranglistenvierte bekommt nun in Wimbledon die Chance, auch den dritten Grand Slam des Jahres zu gewinnen.

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Sport aktuell | 27.06.2022 | 12:17 Uhr

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