Gottfried von Cramm © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | -

Tennisbaron von Cramm: Triumph des Charakters

Stand: 05.03.2023 11:41 Uhr

Sein Spiel war elegant, sein Auftreten nobel: Gottfried von Cramm steht bis heute für Ästhetik und Fairplay auf dem Tennis-Platz. Er war der erste Deutsche, der in Wimbledon das Finale erreichte. Den Titel auf dem heiligen Rasen gewann er jedoch nicht. Den Nationalsozialismus lehnte der liberale Tennisbaron ab - und wurde verhaftet.

von Bettina Lenner

Der gemeinhin wichtigste Sieg im Tennis, er gelang Gottfried Freiherr von Cramm nie. Dreimal in Folge (1935 bis 1937) bestritt er auf dem "heiligen Rasen" von Wimbledon ein Einzel-Endspiel der All England Championships - und verlor dreimal. Was für ihn allerdings kein Drama war, denn der Tennisbaron war ein Gentleman, der Niederlagen nicht nur außerordentlich gut verkraften, sondern die Leistung anderer auch neidlos anerkennen konnte.

Drei Finalniederlagen in Wimbledon

Und so hatte ihn bei seiner Finalniederlage 1936 gegen den britischen Titelverteidiger Fred Perry, den er kurz zuvor im Endspiel von Paris noch geschlagen hatte, nicht vorrangig die herbe 1:6, 1:6, 0:6-Pleite bekümmert. Vielmehr bedauerte er, dem Publikum - von einer Zerrung gehandicapt - nicht mehr geboten zu haben. Die Verletzung hatte er gleich im ersten Satz erlitten, sich aber im Sinne des Fairplays zum Weiterspielen entschlossen. Nach 45 Minuten war alles vorbei, und von Cramm ließ über den Schiedsrichter sein tiefes Bedauern ausrichten, dass er nicht habe besser spielen können. Eine Geste, für die ihn das Publikum feierte und liebte.

Im Sommer 1937 - sein großer Kontrahent Perry war nicht angetreten - zog von Cramm bei seiner dritten und letzten Finalteilnahme in Wimbledon auch gegen den Kalifornier Donald Budge den Kürzeren - und gratulierte artig: Er habe das beste Tennis seines Lebens gespielt. Es sei ihm eine Freude, gegen einen Besseren zu verlieren.

Im Visier der Gestapo

Doch Fairplay und Anstand, das muss auch der noble Verlierer von Cramm lernen, sind in Deutschland im Juli 1937 nicht mehr unbedingt die Tugenden der Stunde. Als er nur wenige Wochen nach der Endspiel-Niederlage beim Davis-Cup-Interzonenfinale erneut im englischen Tennis-Mekka gegen Budge antritt, ist der Druck erheblich. Das deutsche Davis-Cup-Team spielt gegen die USA, und das internationale Publikum zollt der Mannschaft unter dem Hakenkreuz noch Respekt.

Gottfried Freiherr von Cramm © picture-alliance / dpa
Leichtfüßig und geschmeidig: Gottfried von Cramm.

Für den Freiherrn, der als einer der elegantesten und anmutigsten Spieler aller Zeiten gilt, wohl eine zwiespältige Situation: Mit seiner Reputation als untadeliger Sportsmann und vorbildlicher Stilist ist er neben Max Schmeling der populärste Sportler Deutschlands, trägt somit entscheidend zur Anerkennung seines Teams bei.

Doch der wenig linientreue Aristokrat, der beharrlich den Beitritt in die NSDAP verweigert, ist schon längst ins Visier der Gestapo gerückt. Einen Sieger, so hofft der als Freidenker geltende Freiherr, lässt das Regime vielleicht in Ruhe. Seinem Kapitän Bill Tilden, der seinem erschöpften Schützling eine halbjährige Pause nahelegt, erklärt er: "Du verstehst das nicht, Bill. Ich spiele um mein Leben. Die Nazis wissen, was ich von ihnen halte. Sie werden mich in Frieden lassen, solange ich die deutsche Nummer eins bin und gewinne.*"

* Quelle: "Ich spiele um mein Leben: Gottfried von Cramm und das beste Tennismatch aller Zeiten" von Marshall Jon Fisher, Osburg Verlag, ISBN 3940731315

Legendäres Davis-Cup-Match gegen Budge

Im entscheidenden Spiel gegen die USA unterliegt von Cramm, der bei Fehlentscheidungen des Schiedsrichters nie auch nur das leiseste Anzeichen von Widerspruch zeigt und falsche Entscheidungen zu Gunsten des Gegners korrigiert, dem Weltranglisten-Ersten Budge mit 8:6, 7:5, 4:6, 2:6, 6:8. Die Partie geht als eines der besten Tennismatches in die Geschichte ein, und dem kultivierten Tennis-Ästheten mit formvollendeter Etikette droht trotz der Niederlage zunächst kein weiteres Ungemach: Er geht mit anderen Spitzensportlern auf eine siebenmonatige Weltreise, spielt in den USA, Japan, Indonesien und Australien.

Gottfried Freiherr von Cramm 1952 bei einem Davis-Cup-Match © picture-alliance / dpa
AUDIO: Interview mit Gottfried von Cramm (4 Min)

Verhaftung im März 1938

Auf der Tour, wo er den nationalsozialistischen Sport und Standpunkt keineswegs im Sinne des Regimes vertritt, bringt er das Fass endgültig zum Überlaufen: Bei einer Rede in Japan lässt er sich zu keinem Hoch auf die nationalsozialistische Bewegung und keinem Dank an Hitler hinreißen. In Australien sieht er die Verfilmung des in Deutschland verbotenen Antikriegsromans "Der Weg zurück" von Erich Maria Remarque, sorgt damit für Schlagzeilen. Die Nazis toben - und reagieren: Einen Tag nach seiner Rückkehr, am 5. März 1938, wird er auf dem elterlichen Schloss Brüggen in Niedersachsen verhaftet.

Vorwurf: Verstoß gegen den Paragrafen 175

Wie schon im Gestapoverhör ein Jahr zuvor lautet der Vorwurf auf Verstoß gegen den Paragrafen 175. Von Cramm soll eine homosexuelle Beziehung zu dem jüdischen Schauspieler Manasse Herbst unterhalten und ihm zudem durch finanzielle Unterstützung die Flucht aus Deutschland ermöglicht haben. Bei einem - offenkundigen - Schauprozess wird er zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Eine denkbare Homo- oder Bisexualität bestätigt von Cramm nie.

Nach sieben Monaten Haft kommt er im Oktober 1938 wieder frei, offiziell wegen guter Führung. Doch die Bemühungen von Sportkollegen und Freunden wie Budge, die Unterschriften sammeln, des schwedischen Königs Gustav V., der mit von Cramm häufiger im Doppel angetreten war, sowie der Familie haben wohl ihren Teil zur vorzeitigen Entlassung beigetragen.

Rückkehr nach Wimbledon mit 41

Von Cramm, der schon als kleiner Junge Tennis-Weltmeister werden wollte und sich auch vom Verlust der rechten Zeigefingerkuppe durch einen Pferdebiss nicht bremsen ließ, kehrt auf den Court zurück. Beim Vorbereitungsturnier im Londoner Queens Club fegt der liberale Sportsmann mit dem herausragenden Grundlinien- und Volleyspiel den späteren Wimbledonsieger Bobby Riggs mit 6:0, 6:1 vom Platz.

Die Teilnahme an Wimbledon und zahlreichen anderen Turnieren bleibt dem Publikumsliebling jedoch verwehrt: Er ist nunmehr vorbestraft, wird erst im Mai 2002 posthum rehabilitiert. Ein Umstand, der ihm während des Kriegs auch die Offizierslaufbahn versperrt. 1940 wird er einberufen. Im Januar 1942 kommt er an die Ostfront und wird kurz danach unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen.

Hochzeit mit Barbara Hutton

Tennis bleibt auch nach dem Krieg von Cramms Leben, er setzt seine Karriere fort. Im April 1946 erhält er von der britischen Besatzung als erster deutscher Sportler die Genehmigung zu einer Auslandsreise. 1947 und 1948 wird der zweimalige French-Open- (1934 und 1936) und sechsmalige Rothenbaum-Sieger (1932 bis 1935, 1948 und 1949) zum ersten Sportler des Jahres gewählt. 1948 ist er Mitbegründer des Deutschen Tennis Bundes (DTB).

Gottfried Freiherr von Cramm während der Trauung mit Barbara Hutton im November 1955 in Versailles © picture-alliance / dpa
Gottfried von Cramm während der Trauung mit Barbara Hutton im November 1955 in Versailles.

1951, mit 41 Jahren, kehrt von Cramm noch einmal auf den heiligen Rasen von Wimbledon zurück, wo er von den Zuschauern stürmisch empfangen wird. Sportlich mithalten kann der Mixed-Gewinner von 1933 (mit Hilde Krahwinkel) aber nicht mehr. Dafür begegnet dem Frauenschwarm Woolworth-Erbin Barbara Hutton wieder, die er Jahre zuvor während seiner ersten Ehe mit Baronesse Elisabeth von Dobeneck kennen gelernt hat. 1955 heiratet er die Ex-Gattin von Cary Grant. Zwei Jahre später ist die Ehe, die 1960 geschieden wird, gescheitert.

"Beneidenswert schönes Tennis"

Sein letztes Davis-Cup-Match (Bilanz: 82 Siege in 102 Matches) bestreitet von Cramm 1953, 1957 beendet er seine Karriere. Sechs Jahre zuvor hat er in Hamburg eine Importfirma für ägyptische Baumwolle gegründet. Am 9. November 1976 kommt er mit 67 Jahren während einer Geschäftsreise bei einem Autounfall in der Nähe von Kairo ums Leben. Posthum wird der Mann, der als bester Tennisspieler gilt, der nie einen Einzeltitel in Wimbledon gewinnen konnte, 1977 als erster Deutscher in die International Tennis Hall of Fame aufgenommen.

Unsterblich aber machte den Niedersachsen, der sich nie verbiegen ließ und an nichts zerbrach, vor allem seine Haltung auf und neben dem Platz. So lobte ihn Donald Budge: "Er spielte schönes, einfach beneidenswert schönes Tennis. Das war ihm wichtiger als der Sieg."

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 05.03.2023 | 23:35 Uhr

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