Juri Schlünz, Vereinslegende Hansa Rostock © Picture Alliance

Juri Schlünz: Ein Leben lang Hansa Rostock

Stand: 15.08.2023 15:56 Uhr

Ob als Spieler, Trainer oder Scout: Von 1968 bis 2016 war Juri Schlünz für Hansa Rostock im Einsatz. Es ist die Geschichte einer im Profisport außergewöhnlichen Verbundenheit.

von Hanno Bode

Es war ein stürmischer Tag an der Küste. Und die Bundesliga-Fußballer des FC Hansa Rostock waren an diesem 14. November des Jahres 2004 mit fliegenden Fahnen untergegangen. Ein 0:6 leuchtete von der Anzeigetafel des Ostseestadions, als Referee Jürgen Jansen (SV Burgaltendorf) das Nordderby gegen den Hamburger SV abpfiff. Während die Rostocker Profis trotz des Debakels mehr oder minder gleichgültig vom Platz schlichen, vergrub Juri Schlünz das Gesicht peinlich berührt in seiner dicken Winterjacke. Ratlos und desillusioniert wirkte er. Und unendlich traurig.

Eine solche sportliche Bankrotterklärung hatte der Mann, der seit 1968 zunächst als Spieler und später als Trainer für Hansa tätig war, bis dato nicht erlebt. Und nun trug er auch noch die Verantwortung dafür. Da war es nur wenig tröstlich, dass die Fans in dem Coach nicht den Schuldigen sahen: "Außer Juri könnt ihr alle gehen", hallte es durch die Arena. Der stets geradlinige und konsequente Schlünz trat dennoch zurück. Nie ging es ihm um seine Person, sondern einzig um den Verein. "Der FC Hansa war und ist sein Leben", titelte die "taz" einmal treffend.

Hansa wird zur Ersatzfamilie

Schlünz und Hansa - das ist die Geschichte einer tiefen und ehrlichen emotionalen Verbundenheit. Bereits im Alter von sieben Jahren tritt der am 27. Juli 1961 in Ost-Berlin geborene Schlünz in den Club ein. Die Wohnung der Familie liegt nur fünf Minuten vom Stadion entfernt. Der kleine Steppke mit den außergewöhnlichen technischen Fähigkeiten nutzt jede freie Sekunde, um an seinen Defiziten zu arbeiten oder einfach nur mit seinen Freunden zu kicken. "Ich weiß, wie wir bei unserem Lehrmeister Horst Brettschneider Rückpässe übten bis sie ankamen. Ich weiß noch, wie wir als Kinder quer über den Rasen das Vorspiel vor den Männern machten, vor 8.000 Zuschauern. Wie das Stadion im Rohbau, erst ohne, dann mit Zaun, aussah", erinnert sich Schlünz.

Seine Jugend ist dennoch nicht unbeschwert. Mit 14 Jahren ist er Waise, droht, ohne Eltern den Halt zu verlieren. Hansa nimmt sich Schlünz noch fürsorglicher an. Der Club wird für ihn zu einer Art Ersatzfamilie. Solche Erlebnisse prägen. Ein maßgeblicher Grund, warum der Ausnahmefußballer später nie den Lockrufen anderer Profivereine erliegt.

Freistoßspezialist und Sportstudent

So durfte sich Hansa nicht nur eines außergewöhnlich vereinstreuen und bodenständigen Spielers erfreuen, sondern hatte in Schlünz auch einen dieser ganz wenigen Akteure in seinen Reihen, die durch ihre Genialität das Publikum verzaubern können. Schlünz war mehr Künstler, denn Kicker - ein Feingeist in Stutzen. Sein Fleiß und sein Talent ermöglichen dem abseits des Feldes schüchtern auftretenden Fußballer eine bemerkenswerte Laufbahn.

Bereits im Alter von 18 Jahren debütiert Schlünz im Herrenbereich und erzielt bei Rostocks 3:0-Erfolg in der zweitklassigen DDR-Liga gegen Schifffahrt/Hafen Rostock zwei Treffer. Schlünz trägt maßgeblich dazu bei, dass den Mecklenburgern 1979 die Rückkehr in die Oberliga gelingt. Es ist sein Durchbruch. Fortan ist der sensible Techniker fester Bestandteil der Hansa-Elf. Mit seinen gefühlvollen Freistößen und präzisen Pässen verzückt Schlünz den Anhang. Sein Leben aber dreht sich nicht nur um Tore und Punkte. Schlünz studiert nebenher Sport und schreibt seine Diplom-Arbeit über die "Laufleistungen von Fußballern im Wettkampf am Beispiel Hansa Rostock".

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Wie tief der gebürtige Ost-Berliner in Rostock verwurzelt ist, zeigt sich 1986, als Hansa aus der Oberliga absteigt. Trotz einiger lukrativer Offerten hält der Freistoß-Spezialist den Ostseestädtern die Treue. Er führt den Club, der in der DDR stets im Schatten der großen Vereine wie dem BFC Dynamo oder Dynamo Dresden steht, zurück ins Oberhaus. Es ist der Beginn eines kleinen Sportmärchens. Plötzlich spielen die vergleichsweise finanzschwachen Mecklenburger im Konzert der Großen mit.

Nach dem Fall der Mauer sichert sich Hansa 1991 die letzte DDR-Meisterschaft und den Aufstieg in die Bundesliga. Der Kapitän heißt Juri Schlünz und ist zum Auftakt der Eliteliga gesperrt, weil er im Semifinale des Supercups gegen den 1. FC Kaiserslautern als erster deutscher Profi mit einer Gelb-Roten Karte des Feldes verwiesen wird. Im Anschluss muss der Mittelfeldlenker sich ins Team zurückkämpfen. Unter Coach Uwe Reinders ist der sechsmalige U21-Nationalspieler der DDR nicht immer erste Wahl. Schlünz kann den von eigentlich allen sogenannten Experten vorausgesagten Abstieg der Mecklenburger nicht verhindern. Trotz Angeboten aus Magdeburg und Erfurt hält er Hansa erneut die Treue. "Wir haben die verdammte Pflicht, die Menschen hier nicht zu enttäuschen", sagt Schlünz.

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"Ich möchte nicht in der Öffentlichkeit stehen"

Einmal kehrt der zweifache Familienvater seinem Verein dann aber doch den Rücken. 1994 schließt er sich nach 406 Pflichtspieleinsätzen für Hansa dem Amateurclub Parchimer FC an, um seine Karriere leise ausklingen zu lassen. Zwei Jahre später hängt Schlünz seine Fußballschuhe endgültig an den Nagel und kehrt als Jugendcoach zu den Rostockern zurück. Wenig später übernimmt er die Rolle des Co-Trainers bei den Profis. Der "Rudi Völler von Hansa Rostock" ("Frankfurter Allgemeine Zeitung") hat eigentlich keine Ambitionen, selbst Chefcoach zu werden. "Ich möchte nicht in der Öffentlichkeit stehen", erklärt er. Aus Verbundenheit zu seinem Arbeitgeber übernimmt er nach den Entlassungen von Andreas Zachhuber (2000) und Friedhelm Funkel (2001) jeweils interimsmäßig das Ruder bei den Ostseestädtern.

Leiter der Nachwuchsakademie

Obgleich Schlünz die Mannschaft jeweils auf Kurs bringt, wehrt er sich gegen das Amt des Cheftrainers. Erst am 15. Oktober 2003, als die Hansa-Kogge unter Armin Veh zu sinken droht, übernimmt der "beste Torwarttrainer Deutschlands" (Funkel) hauptverantwortlich das Ruder. "Ich sehe das nicht als Chance, mich zu profilieren. Ich will nur meinem Verein helfen", sagt Schlünz. Er führt die Norddeutschen vom letzten auf den neunten Tabellenplatz. Doch in der Serie darauf kann auch die Rostocker Legende den Absturz des Teams nicht verhindern. In der ihm eigenen Konsequenz zieht er von sich aus nach dem HSV-Debakel einen Schlussstrich und tritt zurück. Schlünz - in der Ostseestadt liebevoll "ein Kind des Vereins" genannt - findet anschließend als Leiter der vereinseigenen Nachwuchsakademie eine neue Aufgabe bei Hansa, ehe er 2012 wieder in den Vorstand einzieht und das Vakuum nach dem Rücktritt von Manager Stefan Beinlich füllt. 2016 verkündet er schließlich seinen Abschied.

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Sportclub | 09.04.2011 | 13:55 Uhr

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