Fußball-Profi Kevin Pannewitz im Trikot des FC Carl Zeiss Jena (Foto aus dem Jahr 2018) © IMAGO / Christoph Worsch

Kevin Pannewitz oder das Leben ist eine Achterbahnfahrt

Stand: 28.03.2023 16:20 Uhr

Kevin Pannewitz galt als großes Fußball-Talent. Doch statt Triumphen pflasterten Eskapaden seinen Weg. Der Boulevard taufte ihn "Skandal-Kicker". Aber hinter den Schlagzeilen steht die Geschichte eines Mannes, der einmal mehr aufstand als hinfiel.

von Hanno Bode, Michael Maske und Boris Poscharsky

Dieser neue Tag im Frühling 2017 ist erst ein paar Stunden alt, als sich Kevin Pannewitz auf den Fahrersitz eines Bullis quetscht. In dem Transporter ist "Weißware" verstaut, wie im Möbelpacker-Jargon Haushaltsgeräte genannt werden. Bereits seit drei Jahren schleppt der frühere Zweitliga-Spieler in Berlin tagtäglich Waschmaschinen oder Kühlschränke Treppen hinauf. Manchmal sind es sehr, sehr viele Treppen. Die letzten Stufen sind für den 25-Jährigen, der über 120 Kilogramm auf die Waage bringt, nicht selten eine Qual. Der Knochenjob geht an die Substanz. Körperlich und mental - denn Aufstiegschancen gibt es trotz der täglichen Aufstiege kaum. 

Bevor er an diesem Morgen die erste Klingel drückt, ruft Pannewitz bei seinem Schwager und Freund Timmy Thiele an. "Er hat mir gesagt, dass er über sein Leben nachdenkt und mich gefragt, ob ich es gestern ernst gemeint habe", berichtet der heutige Angreifer des Drittligisten Viktoria Köln dem NDR.

Profi-Comeback nach vierjähriger Pause

Am Tag zuvor hatte der 29-Jährige Pannewitz in einem Gespräch das Angebot gemacht, ihm ein Probetraining bei seinem damaligen Club FC Carl Zeiss Jena zu vermitteln, falls er bereit ist, seinen Körper wieder auf Wettkampf-Niveau zu bringen. Dass "Kiki", wie Thiele Pannewitz liebevoll ruft, dieses Unterfangen in Angriff nehmen wird, glaubt der frühere England-Legionär zunächst nicht. Doch sein Schwager, der zu diesem Zeitpunkt "just for fun" für den Sechstligisten Oranienburger FC Eintracht kickt, hungert sich tatsächlich zurück ins Profifußballer-Leben. 

Vier Jahre nach seinem Aus beim VfL Wolfsburg und über 30 Kilogramm leichter als bei jenem morgendlichen Anruf einige Monate zuvor bei Thiele, unterzeichnet Pannewitz am 14. August 2017 beim Thüringer Drittligisten einen Zweijahresvertrag. Dass sein neuer Arbeitsplatz, das Ernst-Abbe-Sportfeld des FC Carl Zeiss, im Paradies (einem Park) liegt, ist eine ziemlich schmalzige Randnotiz in der Biografie des Mannes, für den zu Beginn seiner Laufbahn nur der Himmel das Limit zu sein schien. 

Zweitliga-Debüt mit 18 Jahren für Hansa Rostock

Ex-Fußball-Profi Kevin Pannewitz im Trikot des FC Hansa Rostock (Foto aus dem Jahr 2009) © IMAGO / Christoph Reichwein Foto: Christoph Reichwein
Kevin Pannewitz spielte von 2009 bis 2012 für Hansa Rostocks Profi-Team.

Rückblick: Die unglaubliche Geschichte des Profifußballers Kevin Pannewitz nimmt ihre Anfänge in einer Straßenbahn. Er ist Ende Oktober 2009 auf dem Rückweg vom Training bei Hansa Rostock nach Hause, als sein Handy klingelt. Am anderen Ende der Leitung ist Andreas Zachhuber, der damals das Zweitliga-Team der Mecklenburger coacht. Pannewitz trainiert zwar schon ab und an mit den Profis, läuft aber noch für die U19 auf. Zachhuber fragt ihn, ob er spielen möchte. Der Youngster ist völlig perplex und fragt: "Wo denn? In der Zweiten? In der A-Jugend?" Aber der Teenager irrt. Er soll ein paar Tage später in der Zweitliga-Mannschaft sein Debüt feiern. Der Gegner am 2. November heißt FC St. Pauli - und Pannewitz steht an diesem Montagabend völlig überraschend in der Startelf.

Ein Lattenschuss, eine vergebene hundertprozentige Torchance und eine insgesamt sehr anspruchsvolle Leistung schlagen für den Youngster am Ende seiner ersten Profi-Partie, die 0:2 verloren geht, zu Buche. 

Youngster erliegt Verlockungen des Nachtlebens

Pannewitz, der ein paar Monate zuvor seine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann abgebrochen und alles auf die Karte Profi-Fußball gesetzt hat, kommt hernach regelmäßig zum Einsatz. Die Türen zu Ruhm und Reichtum stehen ihm offen. Und auch jene zu den Clubs und Diskotheken in Rostock. "Der 'Kiki' ist eher der Typ gewesen, der sich die Partylöwen in der Mannschaft gesucht hat. Es ist einfach auch verlockend, einfach mal in den Club zu gehen und sich dort weiterfeiern zu lassen wie ein Großer", sagt Thiele über den teilweise unsoliden Lebenswandel seines Schwagers, ohne ihm dabei einen Vorwurf machen zu wollen: "Er war ja auch, wenn er feiern war, im Training noch einer der Besten, richtig gut." 

Die Hansa-Verantwortlichen bringen weniger Verständnis für die nächtlichen Eskapaden des Talents auf. In seiner zweiten Saison beim Zweitligisten wird Pannewitz zwischenzeitlich suspendiert, weil er verspätet und angeblich mit Alkohlfahne zum Training erscheint. Und auch einige Fans reagieren - gelinde ausgedrückt - verwundert, wenn der Defensiv-Allrounder trotz einer Hansa-Pleite Stunden später das Tanzbein schwingt. Einmal wird der spätere Möbelpacker von einem Anhänger in einem Club beinahe vermöbelt. Da sei er "gerade noch rechtzeitig abgehauen", berichtet Pannewitz später. 

2012 überraschender Wechsel nach Wolfsburg

Apropos abhauen: Trotz seines schlechten Rufs und sportlich nur bedingt überzeugender Leistungen verpflichtet Bundesligist VfL Wolfsburg den gebürtigen Berliner im Jahr 2012. Beim Werksclub hat seinerzeit Felix Magath -  Meistertrainer des VfL von 2009 - zum zweiten Mal das Sagen. Dass der Disziplinfanatiker den vermeintlichen Luftikus unter seine Fittiche nahm, überraschte auch Pannewitz: "Ich glaube, er hat eine Herausforderung gesucht." Der vormalige Hansa-Profi erscheint mit ein paar Kilos zu viel auf den Rippen zum Start der Vorbereitung und wird deshalb sofort mit Liebesentzug von seinem Coach bestraft. 

Pannewitz wird von Magath "mental ein bisschen gebrochen"

Fußball-Profi Kevin Pannewitz (l.) beim Training mit einem Medizin-Ball zu seiner Zeit beim VfL Wolfsburg. Trainer Felix Magath (r.) schaut zu. © IMAGO / Eibner
Unter Wolfsburg-Coach Felix Magath (r.) musste Pannewitz hart trainieren.

Am Mittellandkanal erlebt der zuweilen undisziplinierte, aber eben auch sensible Fußballer seine schlimmsten Monate, wie sein Kumpel Thiele berichtet. "Er hat mich damals weinend angerufen. Sie waren im Trainingslager mit Magath. Da hat er mir gesagt, 'Bruder', ich kann nicht mehr. Ich habe hier noch nicht einmal einen Fußball gesehen. Aber das ist doch das Einzige, was ich liebe. Ich habe hier nur Medizinbälle im Arm. Ich muss dem Bus mit dem Fahrrad hinterherfahren. Wenn ich nicht dranbleibe, bin ich nicht auf dem Trainingsplatz." Für Thiele waren die Magathschen Erziehungsmaßnahmen ein Grund, warum sein Schwager trotz toller fußballerischer Anlagen ("Vom Talent her hat er in die Bundesliga gehört") beim Werksclub scheiterte: "Es hat ihn einfach mental so ein bisschen gebrochen."

Pannewitz schlägt in dieselbe Kerbe. "Ich habe das dann im Kopf nicht mehr ausgehalten", sagt der heute 29-Jährige, der Magath nach einigen Monaten darum bat, in der U23 der "Wölfe" Spielpraxis sammeln zu dürfen. Das Resultat dieses Gesuches: Pannewitz wird umgehend in die "Zweite" verbannt. Nach einem Jahr ohne einen Pflichtspiel-Einsatz löst er seinen Vertrag beim VfL auf. 

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 14.03.2021 | 23:35 Uhr

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